Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Ranke, Leopold von
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Ranke, Leopold von

Ranke, Leopold (ab 1865) von, deutscher Historiker, Wiehe a. d. Unstrut (Thüringen) 21.12.1795, † Berlin 23.05.1886.

Leben

 Bereits in den frühen Jahren seiner Lehrtätigkeit an der Berliner Friedrich-Wilhelms- Universität wandte sich R. in seiner Forschungsarbeit Themen aus der Geschichte Süd- und Südosteuropas zu. So erschien im Sommer 1827 der erste Band der „Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert“, eine Studie über „Die Osmanen und die spanische Monarchie“, die als erstes seiner Werke ungedruckte Quellen mit wichtigem venezianischen Material über die Türkenherrschaft in Südosteuropa zur Grundlage hatte. In einem weniger des Umfanges als des Inhalts nach bedeutenden Teil dieses Bandes behandelt R. die Geschichte des osmanischen Reiches und der Balkanhalbinsel zwischen Selim II. und Murad IV., dazu angeregt von der durch den griechischen Freiheitskampf hervorgerufenen Hellenenbegeisterung seiner Zeit. Entscheidend für den Beitrag R.s zur Südostforschung gestaltete sich jedoch sein einjähriger Aufenthalt in Wien. Durch die Begegnung mit dem großen Slawisten Bartholomäus Kopitar gewann Kultur und Geschichte der Südslawen für R. eine derartige Anziehungskraft, daß er - der Anregung Kopitars folgend - ein Werk von einzigartiger Originalität auch in der Reihe seiner früheren und späteren Arbeiten verfaßte: „Die serbische Revolution“ (erschienen 1829 bei Friedrich Perthes in Hamburg). In der R. eigenen weltgeschichtlichen Deutung der geistigen und politischen Kämpfe der europäischen Mächte mit den Osmanen als Sieg des abendländischen über den morgenländischen Geist des Islams interessierte R. vor allem Serbiens Stellung zwischen den Osmanen und Europa, ein Thema, das er Zeit seines Lebens immer wieder aufgriff und weiter verfolgte. In der Vermittlung der notwendigen Quellen und Materialien kam dem serbischen Sprachforscher Karadžić eine zentrale Schlüsselstellung zu. R. verstand nicht serbisch, so blieb er ganz auf die Dienste seines Freundes angewiesen, der ihm in engster Zusammenarbeit den Zugang zum Stoff ermöglichte. Trotz dieser Abhängigkeit bleibt R.s „Serbische Revolution“ voll und ganz sein geistiges Eigentum, das aus einer im Rahmen der modernen Geschichtsliteratur recht seltenen Kombination von höchst verschiedenen literarischen und zeitgeschichtlichen Quellen, darunter auch persönlichen Mitteilungen von meist durch Karadžić vermittelten Zeitgenossen erwachsen, eine der anschaulichsten und reizvollsten Werke der deutschen Geschichtsliteratur bildet. Auf Veranlassung des Verlegers erschien das Buch 1844 in zweiter, die neueste politische Entwicklung mit verarbeiteter Auflage. Noch in hohem Alter führte R. die Darstellung der serbischen Geschichte bis zur Abdankung Michaels im Jahre 1868 fort. Das Material beschaffte ihm der serbische Minister Jovan Ristić, der 1851 seine Berliner Vorlesungen besucht hatte. Eine Zusammenstellung seiner Arbeiten über serbische Geschichte erschien im Sommer 1879 unter dem Titel: „Serbien und die Türkei im 19. Jahrhundert“, worin R. auch die Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Slawistik berücksichtigte, - so unter anderem auch die Monumenta Serbica des Wiener Slawisten Franz Miklosich, mit dem R. engere Beziehungen unterhalten und dem er schließlich den Orden „Pour le merke“ vermittelt hat. R.s „Serbische Revolution“ erschien 1864 erstmals in serbischer Übersetzung, doch unter Einwirkung der staatlichen Zensur auf den ersten Teil gekürzt. Erst im Jahre 1892 wurde diese Übersetzung vervollständigt. Zwei Jahre vorher war sein Werk „Serbien und die Türkei im 19. Jahrhundert“ in ungarischer Sprache erschienen. Im Gegensatz zur slawischen Welt fand R. bei seinen ungarischen Fachkollegen erst späte Anerkennung, obwohl er deren Literatur, soweit sie ihm sprachlich zugänglich war, in seine Arbeiten häufig ein bezogen hat. Die bisher unerforschte Bedeutung R.s und seines Werkes für die ungarische Historiographie wird deutlich greifbar in den Werken von Henrik Marczali, der sich auch ausdrücklich zu R. bekannte (Emlékbeszéd Ranke Lipótról, in: Budapesti Szemle 23 (1896), im 20. Jh. in den Werken Gyula Szekf'űs und dessen Schüler. Doch hat nach Szekf'ű zu urteilen R. bereits das Werk von Pál Jászay in Stil und Methode stark beeinflußt; mit dessen Darstellung „A magyar nemzet napjai a mohácsi vész után“ (Pest 1846) nimmt die moderne kritische Geschichtsschreibung in Ungarn ihren Anfang. Befruchtend hat R. auch auf die moderne rumänische Geschichtsschreibung gewirkt, vor allem auf ihren Begründer Mihail Kogălniceanu. Dieser hat in den Jahren 1835-1838 bei R. in Berlin Geschichte studiert und unter seinem Einfluß die erste nationale Geschichte der Rumänen verfaßt (Histoire de la Valachie, de la Moldavie et des Valaques transda- nubiens. T. 1 (1241-1792), Berlin 1837). In der berühmten „Einleitung zum Kurs für völkische Geschichte“ (Civînt pentru deschiderea cursului de Istorie Naţională, Bukarest 1909) faßte Kogălniceanu an der Academia Mihăileană zu Jassy am 24. November 1843 seine Konzeption der rumänischen Geschichtsschreibung zusammen, die Forderung nach einer genetischen Synthese der Geschichte aller Rumänen und ihrer damals noch in verschiedenen Ländern verstreut lebenden Volksteile, die in Verbindung mit der von ihm erstmals vorgeführten quellenkritischen Forschungsmethode allen rumänischen Historikern nach ihm den Weg gewiesen hat. Prinzipiell kam den slawischen wie den finno-ugrischen Völkern in der universalistischen Geschichtsbetrachtung R.s eine dem Missionsgedanken des deutschen Geistes untergeordnete Bedeutung zu. In hoher Wertschätzung des österreichischen Gesamtstaates betrachtete R. es als die besondere Aufgabe der Habsburgermonarchie, Ungarn und die Slawen für das europäisch Gemeinsame, repräsentiert durch die germanisch-romanischen Völker, und für das Deutsche als den nach R. ausgezeichnetsten Träger der abendländischen Kultur zu gewinnen.

Literatur

Pavlović, Dragoljub-Draža: Leopold Ranke. Povodom stogodišnjice rodjenja njegovog. In: Delo 2 (1895) 428-444.
Helmolt, Hans F.: Leopold Rankes Leben und Wirken. Leipzig 1921.
Srbik, Heinrich von: Zu Leopold Rankes Universalismus und Nationalbewußtsein. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 52 (1938) 355-384.
Lupaş, Ioan: Leopold von Ranke und Mihail Kogălniceanu. In: Jb. Gesch. Osteuropas 4 (1939) 322-330.
Selesković, Momčilo Tade: Einige Quellenangaben zu Rankes „Fürstentum Serbien“. In: Z. slav. Philol. 17 (1941) 42-48.
Valjavec, Fritz: Ranke und der Südosten. In: Ders.: Ausgewählte Aufsätze. München 1963, 82-103.
Stojančević, Vladimir: Leopold Ranke i njegova srpska revolucija. In: Ranke, Leopold: Srpska revolucija. Beograd 1965, 9-23.
Heyer, Friedrich: Leopold von Rankes Orthodoxie-Verständnis in seiner Darstellung der „serbischen Revolution“. In: Glaube, Geist, Geschichte. Festschrift E. Benz. Leiden 1967, 402-421.
Kemiläinen, Aira: Die historische Sendung der Deutschen in Leopold von Rankes Geschichtsdenken. In: Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia (Annales Academiae Scientiarum Fennicae) Serie B, Bd 147. Helsinki 1968, 1-192.
Grimm, Gerhard: Leopold von Ranke und die Geschichte Albaniens. In: Dissertationes Albanicae. In honorem Josephi Valentini et Ernest Koliqi. München 1971, 20-28.
Berding, Helmut: Leopold von Ranke. In: Deutsche Historiker. Hrsg. Hans-Ulrich Wehler. Bd 1. Göttingen 1971, 7-24 (mit Bibliographie).

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Ranke, Leopold von, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 33-35 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1589, abgerufen am: (Abrufdatum)

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