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Schmerling, Anton Ritter von, österreichischer Staatsmann, * Wien 23.08.1805, † ebd. 23.05.1893.
Leben
Der Jurist Sch. kam aufgrund seiner Herkunft aus einer ständischen Familie Niederösterreichs zum Liberalismus; „er war stets ein Mann des Fortschritts“ (Wurzbach), wenn es galt, dem Großbürgertum politischen Einfluß zu verschaffen und die Macht der Krone zu vermindern: als „ständischer Verordneter“, als er in den Märztagen 1848 auf die Absetzung Metternichs drängte, als Justizminister im Ministerium Schwarzenberg 1849-1851, als er die Vereinigung von Justiz und Verwaltung auf unterster Instanz bekämpfte und als Abgeordneter der Stadt Tulln in der Frankfurter Paulskirche bzw. als Reichsinnenminister unter dem Reichsverweser Erzherzog Johann. Am 15. November 1860 trat er in das österreichische Kabinett als Staatsminister ein; am 4. Februar 1861 übernahm Erzherzog Rainer das Amt des Ministerpräsidenten; dem damit begründeten Ministerium Rainer-Schmerling gehörten mit Anton von Lasser, Ignaz von Plener und Adolf von Pratobevera bedeutende Liberale an. Sch.s Amt war erst 1860 mit dem Oktoberdiplom für die „oberste Leitung der administrativ-politischen Angelegenheiten“ der späteren cisleithanischen Länder geschaffen worden. Mit Recht wurde in der Literatur betont, daß mit dem Staatsministerium bereits eine weitgehende Zusammenfassung der österreichischen Länder erfolgt war und das „Februarpatent“ von Sch. vom 26. Februar 1861 nur Durchführungsbestimmungen zum Diplom darstellte, indem es ein Reichsratsstatut umfaßte und die Landesordnungen, da das Parlament von den Landtagen zu beschicken war. Ungarn insbesondere berührte es nicht wesentlich, großen Einfluß hingegen hatte es auf die Gestaltung der inneren Verhältnisse Österreichs, wo es tatsächlich den Zentralismus förderte. Die früher häufig konstatierte Diskrepanz zwischen dem Oktoberdiplom (als Dokument des Föderalismus) und dem Februarpatent (als „Charte des deutschen Zentralismus“) ist daher nicht mehr unbestritten. Man wird allerdings nicht außer Acht lassen dürfen, daß im Patent dem „engeren Reichsrat“ der österreichischen Länder ein Zentralparlament untergeordnet sein sollte, eine Bestimmung, die, obwohl im Oktoberdiplom bereits vorgesehen, durch die Verminderung der Kompetenz der Landtage sicherlich einen Schritt in Richtung des gesamtstaatlichen Zentralismus bedeutete. Die Obstruktion der Ungarn richtete sich gegen jede Form eines gemeinsamen Vertretungskörpers; sie beschickten daher den Reichsrat nicht, ebenso wie zeitweilig die Kroaten und Siebenbürger; die Tschechen zogen 1863 aus, im gleichen Jahr kamen die Siebenbürger nach Wien. Ebensowenig wie in staatsrechtlichen Belangen hatte Sch. Erfolg in der „deutschen Frage“: dem deutschen Fürstentag in Frankfurt/M. 1863 blieb der preußische König fern, eine Bundesreform kam nicht zustande; mit dem Gasteiner Vertrag 1865 wurde die sich abzeichnende Gewaltpolitik Preußens nur vertagt. Doch brachte die Regierungsperiode Sch.s immerhin eine Anzahl von liberalen Gesetzen: das Protestantenpatent vom 8. April 1861, das Gemeindegesetz und das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit und des Hausrechts. Seine Haltung zum Prinzip der Ministerverantwortlichkeit beweist sein grundsätzlich liberales Bekenntnis. Er war allerdings aus Rücksicht auf den Kaiser zu vorsichtigem Taktieren genötigt: die Deklaration vom 2. Juli 1861 vor dem Abgeordnetenhaus betont gleichermaßen die „Unverantwortlichkeit des Monarchen“, die Beschränkung der kaiserlichen Rechte auf die exekutive Gewalt wie die Verantwortlichkeit der Minister „für die Aufrechterhaltung der Verfassung sowie für die genaue Vollziehung der Gesetze“ vor der Reichsvertretung. Die Regierung Rainer-Schmerling wurde am 30. Juli 1865 verabschiedet, weil Franz Joseph das ungarische Problem ohne sie regeln wollte. Sch.s Aufgabe war es gewesen, die schwierige Beginnphase des österreichischen Liberalismus zu führen und den letzten Versuch zu unternehmen, das zwiespältige Erbe von 1848 in nationaler und verfassungsmäßiger Hinsicht zu bewahren. Als sein Experiment scheiterte, gingen andere nach 1867 daran, das reduzierte Programm des Großbürgertums zu verwirklichen. - Seit 1867 Mitglied des Herrenhauses und zeitweilig dessen Präsident, kehrte Sch. wieder ins Richteramt zurück (als Präsident des obersten Gerichtshofes).
Literatur
Arneth, Alfred von: Anton Ritter von Schmerling. Episoden aus seinem Leben. Prag, Wien, Leipzig 1895.
Redlich, Josef: Das österreichische Staats- und Reichsproblem. 2 Bde. Leipzig 1920/26.
Molisch, Paul: Anton von Schmerling und der Liberalismus. In: Arch. österr. Gesch. 116 (1944) 1-59.
Slunecko, Hilde: Schmerling und das Parlament. (Diss.) Wien 1954.
Martikan, Margarete: Kritische Untersuchungen zu den Memoiren Schmerlings. (Diss.) Wien 1954.
Fellner, Fritz: Das „Februarpatent“ von 1861. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 63 (1955) 549-564.
Franz, Georg: Liberalismus. Die deutschliberale Bewegung in der habsburgischen Monarchie. München 1955.
Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867: Einleitungsband von Helmut Rumpler. Wien 1970.
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