Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Slavejkov, Petko Račov

Slavejkov, Petko Račov, bulgarischer Dichter, Journalist und Politiker, * Tŭrnovo 29.11.1827, † Sofia 13.07.1895.

Leben

 Der „alte“ S. (im Unterschied zu seinem Sohn, dem Dichter Penčo S., 1866-1912) ist einer der hervorragendsten Repräsentanten des bulgarischen geistigen und politischen Lebens im 19. Jh. Als Sohn eines armen Handwerkers (eines Kesselschmiedes) geboren, erhielt er eine unsystematische und unzulängliche Ausbildung, zumeist bei Lehrern, die Anhänger der alten kirchlichen Bildungstradition waren. Der künftige Dichter wurde, wie er später mit bitterer Ironie feststellte, im Kirchenslawischen, Griechischen und Türkischen unterrichtet, jedoch nicht in der lebendigen bulgarischen Sprache. Mit 16 Jahren wurde er selbst Lehrer. Um diese Zeit trat der Kampf für die Verselbständigung der bulgarischen Kirche vom griechischen Patriarchat in Konstantinopel in eine neue, entscheidende Phase. Die griechischen Bischöfe, die auch das bulgarische Schulwesen kontrollierten, verfolgten S.   wegen seiner offenen antigriechischen Stellungnahmen, so daß er vielfach die Stellung wechseln mußte. Seine „Wanderjahre“ als Lehrer, die zwei Jahrzehnte dauerten und ihn u. a. nach Ljaskovec, Bjala, Sevlievo, Loveč, Vraaa, Trjavna, Tŭrnovo, Eski Džumaja (Trgovište) brachten, waren auch seine „Lehrjahre“. S. lernte das bulgarische Volk und seine Probleme aus unmittelbarster Nähe kennen. Als Lehrer veröffentlichte er seine ersten Gedichte (1849) und Kalender, griff als Journalist in die öffentliche Diskussion ein, begann seine erste Zeitung, das politisch-satirische Blatt „Gajda“ (Dudelsack, 1863-1867), herauszugeben, sammelte „Volkswörter“ - Sprichwörter und Redensarten, die er dem einfachen Volk ablauschte. Ein Angebot amerikanischer Missionare, das Neue Testament ins Bulgarische zu übersetzen (die Übersetzung erschien 1871), gab ihm den notwendigen finanziellen Rückhalt, um 1864 in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches Istanbul zu übersiedeln, wo er zehn Jahre blieb. Hier entfaltete S. eine rege und vielseitige Tätigkeit - er begründete 1866 die große, äußerst populäre Zeitung „Makedonija“, gab die erste bulgarische Frauenzeitschrift „Ružica“ (Rose) und die erste bulgarische Kinderzeitschrift „Pčelica“ (Bienchen) heraus, übersetzte schöne, didaktische und Sachliteratur und veröffentlichte zahlreiche dichterische Werke. Als politischer Publizist vertrat S. eine gemäßigtere Linie als die bulgarische revolutionäre Emigration in Rumänien (Karavelov, Botev), was wegen seiner Situation - er publizierte im Osmanischen Reich - auch leicht verständlich ist. Doch gelang es ihm auch unter diesen Umständen, konsequent progressive politische Forderungen und eine offene Kritik an den Mißständen in Bulgarien vorzubringen. Im Kirchenkampf setzte sich S. für die völlige Loslösung der bulgarischen Kirche vom griechischen Patriarchat ein (was 1870 durch die Gründung eines selbständigen bulgarischen Exarchats erreicht wurde). Er bekämpfte zugleich die Versuche der katholischen Propaganda, den Kirchenkampf zur Gründung einer mit Rom unierten bulgarischen Kirche auszunutzen. 1872 wurde „Makedonija“ (nach mehreren befristeten Verboten) wegen eines Artikels, in dem die kommende nationale Revolution angedeutet wurde, endgültig eingestellt. Dies war ein schwerer Schlag für S., der bald wieder seinen Lehrerberuf aufnahm und sich 1876 in Stara Zagora niederließ. Während des russisch-türkischen Krieges 1877/78 übernahm er, als die russischen Truppen für kurze Zeit im Sommer 1877 Stara Zagora befreiten, die Leitung der bulgarischen Selbstverwaltung der Stadt. Anschließend wurde er in russischem Auftrag Kreisleiter in Trjavna und nahm als Berater bei der russischen Armee am Feldzug in Thrazien teil. Nach der Befreiung Bulgariens wurde S. einer der populärsten Führer der Liberalen Partei (zusammen mit Petko Karavelov und Dragan Cankov). Zusammen mit seinen politischen Freunden setzte er in der Konstituierenden Versammlung 1879 die Annahme des Einkammersystems und des allgemeinen Wahlrechts ohne Vermögensklausel durch. Er wurde mehrmals ins Parlament gewählt, war Vorsitzender des Parlaments (1880), Minister für Volksbildung und Innenminister in liberalen Regierungen (1880, 1884). S. war einer der Anführer der Opposition gegen den vom Fürsten Alexander Battenberg durchgeführten Staatsstreich (Suspendierung der Verfassung und „Regime der Vollmachten“ 1881-1883). Er wurde in Trjavna interniert und ging anschließend nach Ostrumelien (Plovdiv), von wo er die Polemik gegen das Regime in Sofia fortsetzte. Nach der Etablierung des diktatorischen Regimes Stambolov (1887-1894) war S. einer seiner offensten Opponenten, was ihm und seiner Familie Repressalien zuzog. Nach der Befreiung redigierte S. mehrere Zeitungen: „Osten“ (Anstoß, 1879), „Celokupna Bŭlgarija“ (Das gesamte Bulgarien, 1879), „Nezavisimost“ (Unabhängigkeit, 1881, zusammen mit Petko Karavelov), „Tŭrnovska konstitucija“ (Die Verfassung von Tŭrnovo, 1884), „Istina“ (Wahrheit, 1886), „Pravda“ (Gerechtigkeit, 1888). S. war der erste bedeutende Poet der neubulgarischen Literatur. Seine Dichtungen zeichnen sich durch eine reiche und wohlklingende Sprache, durch eine bis dahin unbekannte Vielfalt an Formen und Themen aus. S. hat Einflüsse von der Empfindsamkeit (in seiner frühesten Schaffensperiode, vor allem durch serbische und griechische Vermittlung), von der Romantik (von Aleksandr Puškin, Michail Lermontov, Aleksej Kol’cov u.a.) und besonders vom bulgarischen Volkslied empfangen. Sein dichterisches Werk umfaßt persönliche und gesellschaftliche Motive, es kennt das elegische und didaktische Pathos sowie die scherzhafte ironische und humoristische Ausdrucksweise. S. ist einer der besten bulgarischen Kinderdichter. In seinen zahlreichen - von der Literaturkritik bisher leider nur sehr unzureichend gewürdigten - autobiographischen Aufzeichnungen erscheint er als einer der hervorragendsten bulgarischen Belletristen der Epoche, der die Kunst der kurzen realistischen Erzählung lange vor ihrer Verbreitung in der bulgarischen Literatur als Gattung des fiktionalen Erzählens beherrschte. Mit seiner Sammlung „Bŭlgarski pritči ili poslovici i charakterni dumi“ (Bulgarische Redensarten oder Sprichwörter und charakteristische Wörter, 2 Bände, 1889/97, Neuauflage 1972) hat er eine bleibende Leistung auf dem Gebiet der Folkloristik vollbracht.

Literatur

Penev, Bojan: P. R. Slavejkovata prevodna i podražatelna poezija. In: Period. Spis. bŭlg. kniž. Druž. 67 (1906) 205-254.
Ders.: Petko R. Slavejkov. Život i tvorčestvo. Sofija 1919.
Slavejkova, Svetoslava: Petko R. Slavejkov. Biografičen očerk. Sofija 1959.
Literaturen archiv. Bd 1. Petko R. Slavejkov. Sofija 1959.
Baeva, Sonja: Petko Slavejkov. Život i tvorčestvo. Sofija 1968.
Gŭlŭbov, Konstantin: Petko R. Slavejkov. Život, dejnost, tvorčestvo. Sofija 1970.
Dončeva, Nevjana: Petko Slavejkov i starata bŭlgarska literatura. In: Literaturna misŭl 3(1971) 81-93.
Totev, Petko: Dva etjuda za Petko Slavjekov. In: Ders.: Literaturni statii. Sofija 1974, 60-81.
Ančev, Panko: Motivŭt za smŭrtta v poezijata na P.R. Slavejkov. In: Literaturna misŭl 10(1977) 65-72.

Verfasser

Dimiter Statkov (GND: 1051480892)


GND: 119057204

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Empfohlene Zitierweise: Dimiter Statkov, Slavejkov, Petko Račov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 141-143 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1664, abgerufen am: (Abrufdatum)

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