Szabó, Dezső, ungarischer Schriftsteller, Kritiker und Publizist, * Klausenburg (Kolozsvár) 06.07.1879, † Budapest 13.01.1945.
Leben
Sz.s Vater, József Sz., Sohn eines wohlhabenden Zimmermanns, studierte am „Református Kollegium“ in Klausenburg und nahm - erst 15jährig - als Honvéd an der Revolution von 1848 teil. Er wurde später Archivar am Klausenburger Gerichtshof. Die Mutter, Mária Mille, aus einer adligen kalvinistischen Familie stammend, brachte 13 Kinder zur Welt, von denen Dezső als zehntes geboren wurde. Die Familie kämpfte zeitlebens mit wirtschaftlicher Not. Trotzdem konnte Sz. 12 Jahre lang das Klausenburger Kollegium besuchen, welches schon immer als Hochburg des passiven politischen Widerstandes gegolten hatte. In den letzten Schuljahren besuchte er das Székler-Land, wo er das dürftige Leben der Bauern kennenlernte, wodurch seine spätere Entwicklung beeinflußt wurde. 1920 begann er am Eötvös-Kollegium sein Studium. Neben der französischen Sprache stand die Sprachwissenschaft im Mittelpunkt seines Interesses. Seine Diplomarbeit, ,,A vogul szóképzés“ (Vogulische Wortbildung, 1904) brachte ihm große Anerkennung. 1905/06 ging er als Stipendiat nach Paris, brach hier jedoch mit der Sprachwissenschaft. Nach seiner Heimkehr wirkte er in verschiedenen Städten als Gymnasiallehrer, zunächst in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) 1907/08, dann Großwardein (Nagyvárad) 1908 und Székelyudvarhely 1909-1911. Seine publizistische Tätigkeit begann Sz. in Stuhlweißenburg bei der Zeitung „Fejérmegyei Napló“ (Tagebuch des Komitats Fejér). Das Hauptmotiv seiner Artikel war bestimmt von heftiger Kritik gegen das Judentum. Seine dogmatische Gegnerschaft veränderte sich jedoch mit dem Verlassen von Stuhlweißenburg und wandelte sich weiter unter dem Einfluß der kosmopolitischeren Stadt Großwardein. Dieser Wandel drückt sich in seiner Schrift „A magyar zsidóság organikus elhelyezkedése“ (Die organische Ansiedlung des ungarischen Judentums, 1914) aus. In Groß wardein lernte er die soeben sich entfaltende ungarische Literatur und ihre wichtigsten Vertreter kennen. Bald gehörte er zum Kreis der Verehrer Endre Adys.
Ab 1911 war Sz. Mitarbeiter bei „Nyugat“ (Westen) und „Huszadik Század“ (Das 20. Jahrhundert), den bedeutendsten Foren des ungarischen geistigen Lebens. Als Wortführer beim Kampf der Lehrer um gerechtere Entlohnung erschien als seine erste wichtige Arbeit in „Nyugat“ seine Entgegnung auf die Äußerung des Ministerpräsidenten István Tisza zur materiellen Lage der ungarischen Lehrer. In seinen Studien trat Sz. für eine kollektive anstelle einer individualistischen Gesellschaftsordnung ein. Der Literatur wies er eine gesellschaftskritische Funktion zu statt einer Literatur ,,l’art pour l’art“.
1913 entfremdete sich Sz. den Zeitschriften „Nyugat“ und „Huszadik Század“ und nahm Lehrerstellen in Sümeg (1913), Ungvár (1914) und Leutschau (Löcse, 1917) an. Während der bürgerlichen Revolution vom Oktober 1918 kehrte er nach Budapest zurück und verkündete - enttäuscht über deren Ergebnisse -, daß eine echte Revolution nur eine proletarische sein könne. Zu der anschließenden Räterepublik geriet er wegen deren Bauernpolitik in Gegensatz; er verließ die Hauptstadt und zog sich nach Sümeg zurück. 1919 erschien sein aufsehenerregender Roman „Az elsodort falu“ (Das fortgeschwemmte Dorf, 3 Bde), in dem er ein Bild der ungarischen Gesellschaft in der Zeit vor dem Krieg bis zum nationalen Zusammenbruch entwarf. Nach dem Sturz der Räterepublik (01.08.1919) kehrte Sz. erneut nach Budapest zurück und organisierte den „Nationalen Bund ungarischer Schriftsteller“ (Magyar Irók Nemzeti Szövetsége). Er gab seine Lehrtätigkeit auf und lebte ausschließlich von der Herausgabe seiner Schriften. Hierdurch und durch seine Vortragsreihe gelangte er zum Höhepunkt seiner Popularität. Zentrales Thema seiner Arbeiten war die Auffassung, daß die ungarische Revolution wegen der ungelösten wirtschaftlichen und politischen Befreiung der Bauern und der noch nicht bewältigten Bodenreform immer noch aktuell sei. Die Angriffe gegen ihn sowohl aus Regierungskreisen als auch von seiten der Kommunisten wurden immer stärker. In dieser Zeit erschienen seine Studienbände „Egyenes úton“ (Auf geradem Wege, 1920) und „Tanulmányok és jegyzetek“ (Studien und Anmerkungen, 1920). Von 1920 bis 1921 warSz. Mitarbeiter der Zeitschriften „Virradat“ (Morgendämmerung) und „Nép“ (Volk). Seine neue Erzählung „Ölj!“ (Töte!, 1921) und sein Roman „Csodálatos élet“ (Ein wunderbares Leben, 1921) brachten ihm keinen großen Erfolg mehr, seine Popularität sank und seine Isolation begann sich abzuzeichnen. 1923 schwang er sich zu neuer Aktivität auf: er übernahm, zunächst als Chefredakteur, die Zeitschrift „Aurora“, die er im März in „Elet és Irodalom“ (Leben und Literatur) umwandelte und als eigenes Forum bis zum Oktober des Jahres herausgab. In dieser Zeit trat zum ersten Mal der politische Denker Sz. in Erscheinung, der so bedeutend auf die nächste Generation wirkte. In seinen Artikeln brach er endgültig mit der Politik seiner Zeit, mit dem „christlichen Kurs“ und dessen antisemitischem Zug. Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gegebenheiten skizzierte er seine Vorstellungen einer ungarischen Demokratie mit den Arbeitern und in der Hauptsache mit den Bauern als Hauptträger. Als wichtigste Grundlage hierfür sah er die Durchführung der Bodenreform und die Beseitigung des Kapitalismus an. Als größte Gefahr von außen erkannte er das deutsche Expansionsbestreben. Durch seine gesellschaftliche Kritik zog er sich eine so starke Gegnerschaft zu, daß er seine Auswanderung beschloß, 1924 zunächst nach Italien ging und danach nach Frankreich. Jedoch war er 1925 schon wieder in Ungarn und gab seinen Roman „Segitség!“ (Hilfe!) heraus, die Geschichte eines in den Tod getriebenen genialen Künstlers. Anläßlich des Protestanten-Kongresses 1926 versuchte er durch die Veröffentlichung der Studie ,,A magyar protestantizmus problémái“ (Ungarische Protestantenprobleme), den ungarischen Kalvinismus neu in Bewegung zu bringen: anstelle des „Germanischen Kurses“ der ungarischen Politik sollte der Kalvinismus seine historische Rolle wieder übernehmen. Im gleichen Jahr erschienen seine gesammelten Arbeiten (Összegyűtött munkái) in 16 Bänden in Budapest. 1928 war Sz. für kurze Zeit Mitarbeiter an dem von Bajcsy-Zsilinszky herausgegebenen politischen Wochenblatt „Előörs“ (Vorposten). 1929 schuf er sich ein eigenes Forum, die „Kritikai Füzetek“ (Kritische Hefte). In seinem außenpolitischen Programm begründete er die Idee einer losen Konföderation der kleinen Donaustaaten. Nach einem Jahr stellte „Kritikai Füzetek“ ihr Erscheinen ein. 1931 erschien sein Roman „Megered az eső“ (Es fängt an zu regnen), worin die Zeit der Nachkriegsrevolutionen beschrieben wird. Seine letzte große Unternehmung war 1934 die Herausgabe der „Ludas Mátyás Füzetek“ (Mátyás Ludas-Hefte), die bis zu ihrem Verbot 1942 erschienen. Immer wieder stand im Mittelpunkt seiner hierin veröffentlichten Schriften die von Hitler-Deutschland ausgehende Gefahr, z.B. in „Az Anschluß“ (vor dem Anschluß!), „A magyar miniszterelnökhöz“ (Brief an den Ministerpräsidenten Kálmán Darányi), „A Querelae Magyarorum“ (Brief an den Ministerpräsidenten Béla Imrédy). 1939 erschien Sz.s Studiensammlung „Az egész látóhatár“ (Der ganze Horizont, 3 Bde). Nach dem Verbot seiner Hefte wurde Sz. Mitarbeiter der Zeitschrift „Film-Szinhaz-Irodalom“ (Film-Theater-Literatur) und schrieb hierfür zwischen 1942 und 1944 die Reihe „Levelek Kolozsvárra“ (Briefe nach Klausenburg) und als Fortsetzung seinen Roman „A megfojtott kakas“ (Der erdrosselte Hahn). Seine letzte Schrift „Búcsú és testamentum“ (Abschied und Testament) erschien im November 1944 in der Wochenzeitschrift „Onnep“ (Feiertag). Während der Bombardierung Budapests im Januar 1945 schrieb Sz. noch an seiner Autobiographie „Életeim“, die 1965 in Budapest in zwei Bänden erschien. Er starb während der Belagerung der Stadt in einem Luftschutzkeller.
Die endgültige Beurteilung der politischen Gedankenwelt Sz.s hängt davon ab, ob man ihn der rassistischen Voreingenommenheit zeihen kann. Dadurch ist sein Platz im ungarischen Geistesleben noch umstritten.
Literatur
Juhász, Gyula: Szabó Dezső. Budapest 1925.
Gergely, Gergely: Szabó Dezső stílusa. Szeged 1937.
Nagy, Péter: Szabó Dezső. Budapest 1964.
Gombos, Gyula: Szabó Dezső. München 1966, 1969(2).