Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Thun-Hohenstein, Leo Graf
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Thun-Hohenstein, Leo Graf

Thun-Hohenstein, Leo Graf, österreichischer Staatsmann, * Tetschen (Böhmen) 7.04.1811, † Wien 17.12.1888, aus einem altadeligen, ursprünglich in Südtirol beheimateten und im 17. Jh. nach Böhmen übersiedelten Geschlecht, Sohn des Grafen Franz Anton Th.

Leben

Nach dem Studium der Rechte in Prag (1827-1831) folgten Studienreisen nach Deutschland, England und Frankreich (1831-1835). 1836 trat Th. beim Prager Kriminal- und Zivilgericht ein. 1840 zum Auskultant beim k.k. böhmischen Landrecht ernannt, wurde er 1842 Kreiskommissär in mehreren böhmischen Kreisämtern. 1845 erfolgte seine Ernennung zum Sekretär bei der niederösterreichischen Landesregierung mit Verwendung bei der Vereinigten Hofkanzlei in Wien. 1847 folgte die Verehelichung mit der Gräfin Caroline Clam-Martinic. Schließlich wurde er zum Gubernialrat bei der galizischen Landesstelle ernannt. Aufgewachsen in einem böhmischen Landespatriotismus, der das Deutsche wie das Tschechische gleichermaßen schätzte, wandte Th. in den beginnenden 1840er Jahren seine Sympathie den aufstrebenden Tschechen und Slowaken zu, die zum Kampfe gegen die deutsche und ungarische Führungsschicht antraten.
Im April 1848 wurde Th. als Gubernialpräsident mit gleichzeitiger Ernennung zum wirklichen Geheimen Rat nach Prag berufen. Er war jedoch nur wenige Monate - bis zu den Prager Juniereignissen - Landesgouverneur von Böhmen. Im Juli 1849 wurde Th. zum Minister für Kultus und Unterricht ernannt. Dieses Amt bekleidete er dann bis Oktober 1860.
Als Minister wurde Th. Schöpfer des modernen Unterrichtswesens in Österreich und zu dem Mann, der den österreichischen Universitäten die Lehr- und Lernfreiheit gab. Seit der Revolution von 1848 bemühte man sich, das schulmäßige Studiensystem des Vormärz nach preußischem Muster zu reformieren. Th. setzte dann die im wesentlichen von Franz Exner und Hermann Bonitz ausgearbeiteten Gesetzesentwürfe im Ministerrat und beim Kaiser durch und brachte so das Reformwerk zum Abschluß. Aufgrund von Verordnungen erfolgte in den Jahren 1849/50 die Reorganisation der Mittelschulen, Gymnasien und Realschulen sowie der Universitäten in liberalem Geiste. Auch die technischen Hochschulen wurden reformiert. Die dringend nötige Umgestaltung der Volksschule unterblieb jedoch. Mit dem Übergang zum Neoabsolutismus wuchs allerdings der Widerstand der Anhänger des vormärzlichen Studiensystems gegen das neue Unterrichtssystem, und hier vor allem gegen die Reform des juristischen Studiums. Doch konnte sich Th. mit der endgültigen Ordnung der Gymnasialeinrichtungen (1854) und der Neuordnung der juridischen Studien (1855) behaupten.
Neben der Unterrichtsreform fiel die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Th.s Amtsbereich. Hier bemühte er sich um das Zustandekommen eines Konkordates mit dem Heiligen Stuhl. Das Konkordat von 1855 entsprach Th.s innersten Überzeugungen, war er doch einer der Befürworter der katholisch-klerikalen Richtung. Das Konkordat rief Widerstand hervor. Besonders die ungarischen Bischöfe erblickten in diesem Gesetz eine Verletzung ihrer Sonderrechte, ähnlich wie die Protestanten Ungarns, die den Eingriff des österreichischen Staates in ihr autonomes Kirchen- und Schulwesen schon bald nach 1849 zu spüren bekamen. Ausdruck des Staatskirchentums in der neoabsolutistischen Ära war dann schließlich das am 1. September 1859 oktroyierte ungarische Protestantenpatent, das aber wegen des hartnäckigen Widerstandes des überwiegenden Teiles der ungarländischen Protestanten bald wieder zurückgenommen wurde.
Dem Oktoberdiplom des Jahres 1860 fiel das Ministerium für Kultus und Unterricht zum Opfer. Gleichzeitig mit seiner Enthebung wurde Th. in den ständigen Reichsrat berufen. Schon 1861 lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses, wurde er im selben Jahr in den böhmischen Landtag gewählt, dem er in den Jahren 1861-1867, 1870 und 1883-1888 angehörte. Weltanschaulich gehörte Th. innerhalb des konservativen Lagers zur Gruppe der böhmischen Feudalen. Er war ein überzeugter Vertreter der katholischen und universalen Reichsidee und der übernationalen Sendung Österreichs. In seinen politischen Vorstellungen stand ein historischer Föderalismus im Vordergrund. Nach dem Scheitern des Neoabsolutismus wurde Th. zum Vorkämpfer für eine Reorganisation des Reiches auf autonomistisch-föderalistischer Grundlage. Aus dieser Überzeugung heraus führte er dann über ein Vierteljahrhundert einen Kampf gegen das Februarpatent sowie gegen dessen dualistische Fortsetzung in der Ausgleichsverfassung des Jahres 1867. Er war ein engagierter Verfechter der tschechischen Forderungen nach Gleichberechtigung. Als Gegner des politischen Liberalismus verfocht er im Herrenhaus die klerikalen Interessen. Besonderen Einfluß gewann Th. auf das konservative Zentralorgan „Das Vaterland“, das er von 1865 bis kurz vor seinem Tode leitete.

Literatur

Frankfurter, Salomon: Graf Leo Thun-Hohenstein, Franz Exner und Hermann Bonitz. Beiträge zur Geschichte der österreichischen Unterrichtsreform. Wien 1893.
Meister, Richard: Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein. Inaugurationsrede. Wien 1949.
Lentze, Hans: Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein. Graz, Wien, Köln 1962.
Thienen-Adlerflycht, Christoph: Graf Leo Thun im Vormärz. Grundlagen des böhmischen Konservativismus im Kaisertum Österreich. Graz, Wien, Köln 1967.

Verfasser

Friedrich Gottas (GND: 105731153)


GND: 118757393

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Empfohlene Zitierweise: Friedrich Gottas, Thun-Hohenstein, Leo Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 314-315 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1779, abgerufen am: (Abrufdatum)

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