Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Andrić, Ivo
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Andrić, Ivo

Andrić, Ivo, jugoslawischer Dichter, * Travnik (Bosnien) 10.10. 1892, Sohn eines katholischen Handwerkers.

Leben

Nach dem frühen Tod seines Vaters besuchte A. in Višegrad die Volksschule, anschließend unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen das erste Gymnasium in Sarajevo, das er im Schuljahr 1911/12 abschloß. Danach inskribierte er an der Philosophischen Fakultät in Zagreb Slawistik und Geschichte, setzte - mit Unterbrechungen - in Wien und Krakau die Studien fort und erwarb in Graz, bereits in der Funktion als jugoslawischer Vizekonsul, mit einer Dissertation aus der Kulturgeschichte Bosniens unter der Türkenherrschaft 1924 das Doktorat der Philosophie. 1914-1917 wurde er wegen seiner Beteiligung an der bosnischen revolutionären Jugendbewegung (Mlada Bosna) zunächst in Dalmatien und dann in Maribor eingesperrt, später in Graz und Ovčarevo bei Travnik interniert, 1917 amnestiert.
Aufgrund seines aktiven Einsatzes für die jugoslawische nationalpolitische Einigungsbewegung wurde A. nach der Gründung des jugoslawischen Staates, gefördert von seinem ehemaligen Gymnasiallehrer und späteren Minister Tugomir Alaupović, in den jugoslawischen diplomatischen Dienst übernommen, und war als solcher seit 1920 in Rom, Bukarest, Graz, Marseille, Madrid und Genf als Konsul, schließlich unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als jugoslawischer Gesandter in Berlin tätig. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er teils im besetzten Belgrad, teils in einem serbischen Bad. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Abgeordneter im Regionalrat für Bosnien und Herzegowina, später im Bundesparlament der FNRJ, Vorsitzender des Jugoslawischen Schriftstellerverbandes, Mitglied der Jugoslawischen und der Serbischen Akademie der Wissenschaften. Er lebt derzeit teils in Belgrad, teils in seinem Landhaus in der Bucht von Cattaro.
Literarisch trat A. bereits 1911 mit Gedichten hervor, anschließend (1914) im Rahmen der kroatischen Moderne, nach dem Krieg in ihren Zeitschriften „Književni Jug“ (auch als Redakteur) und „Jugoslavenska Njiva“. Sein aus dem Erlebnis der Internierung entstandenes 1919 erschienenes Werk lyrischer Prosa „Ex ponto“ weist bereits alle Vorzüge seiner Kunst, die nuancierte verhaltene psychologische Ausdruckskraft, das humane Empfinden, einen außerordentlich disziplinierten und kultivierten rhythmischen Stil aufgrund der echten Volkssprache, frei von allen schillernden emphatischen Phrasen auf. Das gleiche gilt für die 1919 erschienene lyrische Prosa „Nemiri“. Seine europäische literarische Kultur stellt er auch in Übersetzungen von Whitman, Strindberg und in seiner intimen Kenntnis Goyas in seinen Essays unter Beweis. Mit der Novelle „Put Alije Djerzeleza“ wendet er sich endgültig der epischen Gestaltungsform zu, vor allem seiner eigentlichen stofflichen Thematik: nämlich Bosnien vom 16. Jh. bis in die Gegenwart. Bosnien, das Land verschiedener, über Jahrhunderte zusammenlebender Nationalitäten: Serben, Kroaten, serbokroatisch sprechende Muslime, Juden, Zigeuner, dazu die eingesiedelten Türken, Deutschen, Franzosen; Bosnien, das Land der drei bzw. vier Konfessionen, der katholischen, orthodoxen, muslimischen und jüdischen; das Land der Agas, Beys und Paschas, der Franziskaner, der hörigen Bauernkmeten; das Land vielfältiger Kontraste, die dritte Welt, wie A. gelegentlich sagt, in der Orient und Okzident ineinander wachsen. Diese Welt hat A. in ihrem spezifischen geistigen Sentiment, ihrer nostalgischen Atmosphäre, in ihren Lebensproblemen mit dem Gesichtspunkt der Vergänglichkeit und Wandelbarkeit alles Irdischen vor dem Tod, mit einer einmaligen künstlerischen Kraft in vielen Novellen (gesammelt 1924, 1931, 1936, 1948, 1960) und in den Romanen „Na Drini ćuprija“, „Travnička hronika“, „Gospodjica“, in der Methode des psychologischen Realisten gestaltet. Das literarische Werk des A. ist durch Übersetzungen nicht nur in alle slawischen und westeuropäisch angloamerikanischen Literaturen, sondern auch in die rumänische, ungarische, albanische, dänische, schwedische, finnische, indische und persische Literatur eingedrungen. A. erhielt 1961 den Nobelpreis für Literatur.

Literatur

Minde, Regina: Ivo Andrić. Studien über seine Erzählkunst. München 1962. = Slavistische Beiträge. 8. (mit Bibliographie).
Pichler, Roswitha: Motive und Motivationen im literarischen Werk von Ivo Andrić. Versuch einer Analyse. (Diss.) Graz 1970 (mit Bibliographie).

Verfasser

Josef Matl (GND: 127706267)


GND: 118503014

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Empfohlene Zitierweise: Josef Matl, Andrić, Ivo, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 72-74 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=456, abgerufen am: (Abrufdatum)

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