Brătianu, Ion (Ionel) I. C. [Abkürzung der Vornamen von Vater und Großvater], rumänischer Staatsmann, * Florica 1.09.1864, † Bukarest 24.11.1927, Sohn Ion C. B.s.
Leben
Nach dem Abschluß des Sfântul Sava-Lyzeums in Bukarest und des Polytechnischen Instituts in Paris wirkte B. anfangs als Ingenieur beim Bau der Donaubrücke bei Cernavoda, der Eisenbahnlinie zwischen Bacău und Piatra Neamţ sowie anderen Projekten mit. Bald wechselte er aber in die Politik über und machte schnell Karriere: 1895 wurde er Abgeordneter, 1897-1899 und 1901-1904 war er Minister für öffentliche Arbeiten in den Regierungen von Dimitrie A. Sturza und 1909-1927 Vorsitzender der „National-Liberalen Partei“. In der am 25. März 1907 von Sturza gebildeten Regierung wurde B. Innenminister; er veranlaßte die Niederwerfung des Bauernaufstandes, wobei elftausend Bauern ums Leben kamen.
Vom 9. Januar 1909 bis 11. Januar 1911 war B. zum ersten Male Ministerpräsident. Nach den Balkankriegen (1913), die der „Konservativen Partei“ einen beachtlichen Prestigegewinn gebracht hatten, funktionierte B. die „National-Liberale Partei“ zu einer Reform-Partei um, um die Volksmassen für sich zu gewinnen. Er veröffentlichte ein Manifest, in dem er den Bauern Boden und allen Bürgern das allgemeine Wahlrecht versprach. Am 17. Januar 1914 wurde B. erneut zum Ministerpräsidenten ernannt; er schlug dem Parlament eine Verfassungsänderung vor, um die versprochenen demokratischen Reformen in die Tat umsetzen zu können. Während seiner zweiten Amtszeit, die bis Februar 1918 dauerte, manövrierte B. Rumänien mit viel Geschick durch die schweren Neutralitätsbedingungen und die Wirrnisse des Ersten Weltkrieges. Am 1. Oktober 1914 schloß er mit Rußland einen Geheimvertrag ab, worin er seinem östlichen Nachbarn eine wohlwollende Neutralität zusicherte. Dieser Vertrag stellte eine Kursänderung der rumänischen Politik dar, die bis zu diesem Zeitpunkt auf dem 1883 mit den Mittelmächten abgeschlossenen Vertrag ruhte. Auf diese Weise geriet B. in das Kreuzfeuer der Kritik zweier entgegengesetzter Strömungen der öffentlichen Meinung: auf der einen Seite standen die Anhänger der Entente, die den Anschluß Siebenbürgens forderten, auf der anderen Seite die Freunde Deutschlands und der Zentralmächte. B. zögerte die Entscheidung bewußt hinaus, da er wohl wußte, daß Rumänien für den Eintritt in den Krieg an der Seite der Alliierten nicht genügend gerüstet war. In der Zwischenzeit handelte er mit den Mächten der Entente die politischen Bedingungen für den Eintritt Rumäniens in den Krieg aus; er legte auch einen eigenen militärischen Plan vor, der eine rumänische Offensive in Siebenbürgen, eine gleichzeitig mit Rußland unternommene Aktion in der Dobrudscha und eine alliierte Aktion an der Front von Saloniki vorsah. Zwei gute Ernten und ausländische Kredite machten die Aufrüstung des rumänischen Heeres möglich. Als der Druck auf Verdun wuchs, forderte die französische Heeresleitung B. auf, unverzüglich einzugreifen, wenn er der ihm 1916 versprochenen Vorteile nicht verlustig gehen wolle. Am 17. August 1916 Unterzeichnete B. schließlich mit den Alliierten eine politisch-militärische Konvention und am 27. August erklärte der Kronrat Österreich-Ungarn den Krieg.
Nach dem kurzen Siebenbürgenfeldzug und dem Rückzug in die Moldau entwaffneten die Rumänen die in Auflösung befindlichen russischen Truppen und evakuierten sie aus der Moldau. Daraufhin erklärte Sowjetrußland am 26. Januar 1918 Rumänien den Krieg. Dem Ruf der Volksversammlung Bessarabiens folgend, überschritt die rumänische Armee im Januar 1918 den Pruth und besiegte die sowjetischen Truppen in mehreren Gefechten (Spătăreşti, Mihăileni). Der deutsche Oberbefehlshaber Mackensen sah in der Entsendung rumänischer Truppen nach Bessarabien eine Übertretung der Waffenstillstandsbedingungen und übersandte der rumänischen Regierung ein Ultimatum, in dem er sie unter Androhung der Brechung des Waffenstillstandes aufforderte, Friedensverhandlungen aufzunehmen. B. demissionierte daraufhin am 8. Februar 1918 zugunsten General Averescus. Die Regierung Marghiloman erhob Anklage gegen B. wegen der durch den Krieg verursachten Schäden.
Am 12. Dezember 1918 wurde B. erneut zum Ministerpräsidenten ernannt und vertrat Rumänien bei den Friedensverhandlungen in Paris, wo er gegen die Unterscheidung zwischen Staaten mit unbegrenzten und solchen mit begrenzten Ansprüchen protestierte. Er weigerte sich, eine Kontrolle des Auslands über die Minderheitenregelung in Rumänien als Vorbedingung der Einigung anzunehmen. Hingegen forderte er die Anerkennung der im Vertrag von 1916 festgelegten Grenzen und wies den Rat Take lonescus zurück, sich direkt mit den Serben über die Frage des Banats zu einigen. Schließlich verließ B. die Friedensverhandlungen, ohne den Vertrag von Saint Germain unterzeichnet zu haben. In Budapest hatte sich inzwischen die Räterepublik Béla Kuns etabliert, deren Truppen die rumänischen Stellungen an der Demarkationslinie angriffen. Am 16. April 1919 erzwangen die rumänischen Truppen den Durchgang durch die Westkarpaten und besetzten sogar Budapest trotz der Proteste des Rates der Alliierten. Infolge des Ultimatums, in dem der Rat der Alliierten mit der Nichtanerkennung der politischen Forderungen der Rumänen drohte, trat B. am 27. September 1919 erneut von seinem Posten zurück.
Während seiner Regierungszeit nach dem Kriege - vom 19. Januar 1922 bis 30.März 1926 - verfolgte B. das Ziel, die innere Lage Großrumäniens durch eine moderne Gesetzgebung zu festigen. Im März 1923 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, 1925 ein neues Verwaltungsgesetz, 1926 das Wahlgesetz. B. regelte die Frage der Steuerabgaben und organisierte die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer des Landes. Er starb überraschend auf dem Höhepunkt seiner Macht, nachdem es ihm gelungen war, die Thronfolge des Prinzen Karl zu vereiteln.