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Mustafa II., osmanischer Sultan 1695-1703, * Edirne 02.06.1664, † Istanbul 30.12.1703, Sohn Mehmeds IV. und der Râbia Gülnȗş.
Leben
M. war der erste Sultan des 17. Jh.s, der nicht als Kind, Gebrochener oder Geistesschwacher den Thron bestieg (06.02.1695). Ein Handschreiben des 31jährigen an den Großwesir, drei Tage nach der Thronbesteigung, machte deutlich, in welcher Rolle er sich sah. Die Schuld an den Niederlagen und Gebietsverlusten im Krieg gegen die Heilige Allianz schrieb er der Untätigkeit seiner unmittelbaren Vorgänger zu und kündigte an, er wolle wieder, wie sein Ahn Süleyman persönlich an der Spitze des Heeres ausziehen. Es war keine Frage, daß der großherrliche Einsatz mit dem Landheer gegen den Gegner gehen sollte, von dem am meisten verlorenes Terrain zurückzuholen war - Kaiser Leopold I. Die kriegerisch-hoffnungsvolle Stimmung erhielt durch die Rückeroberung von Chios und Erfolge der Krimtataren in Polen einen Auftrieb, den auch die Eroberung der Morea durch die Venezianer nicht mehr dämpfen konnte. Der sultanische Feldzug (1695) wurde gründlich vorbereitet und mit harter Disziplin geleitet. Ein kaiserliches Heer unter Graf Friedrich Veterani wurde besiegt, Lippa, Lugos und Sebes erobert und zerstört. Temeschwar, Ausgangspunkt und Rückhalt der sultanischen Offensive, war im folgenden Jahr Ziel eines kaiserlichen Angriffes unter Kurfürst Friedrich August von Sachsen. Der zweite Feldzug M.s (1696) mußte daher dem Entsatz dieser Schlüsselfestung gelten. Die kaiserliche Armee zog ab und wurde bei Olasch an der Bega erst ausmanövriert, dann geschlagen. Mehrere Seesiege des Kapudan Mezzomorto Hüseyin Pascha brachten Venedig in Bedrängnis. Im Osten hingegen entwickelten sich die Dinge schlechter: die Tataren erlitten in Polen eine Schlappe, schlimmer war, daß die Übergabe von Azov (1696) den Russen den Zugang zum bisher osmanischen Schwarzen Meer ebnete. Der dritte Feldzug (1697) fand beim Gegner eine durch politische Entwicklungen veränderte militärische Szene vor: die Verhandlungen in Rijswijk verringerten den Druck an den Fronten im Westen, die Kandidatur des sächsischen Kurfürsten um die polnische Krone machte einen Wechsel im Oberbefehl nötig; erstmals stand M. einem hinreichend gerüsteten, organisierten und mit einheitlichem Oberbefehl geleiteten Heer gegenüber: Eugen von Savoyen hatte die nötigen Vollmachten gefordert und erlangt. Demgegenüber schwankte man im türkischen Lager über das Feldzugsziel. Nach der Eroberung von Titel zog man schließlich bei großer Hitze durch schwieriges Gelände die Theiß entlang Richtung Szegedin. Den Übergang über die Theiß bei Zenta nützte Prinz Eugen zum Angriff. Das osmanische Heer, in dem auch gewalttätiger innerer Zwist ausgebrochen war, erlebte unter den Augen des Sultans eine fürchterliche Niederlage (11.09.1697). Elmas Mehmed Pascha, der Großwesir, und über zwanzig Kommandeure waren unter den Toten. Der Sultan war zutiefst getroffen und gab die persönliche Feldzugsteilnahme für immer auf. Den Neffen des alten Köprülü, Amcazade Hüseyin Pascha, der vor dem mißlungenen Zug gewarnt hatte, berief er ins Großwesirat. 1698 stellte Amcazade noch einmal ein starkes Heer auf, größere Auseinandersetzungen vermied man aber beiderseits und zeigte sich verhandlungsbereit. Der Friedensschluß von Karlowitz (26.01.1699) gab das militärisch längst Verlorene auch politisch preis, die Räumung von Kamenec Podol’skij allerdings war ein bitteres Zugeständnis. Zur Kriegsfinanzierung hatte M. Vermögensabgaben verlangt, hatte Steuern erhöht, neu eingeführt und im voraus erhoben. Nach dem Friedensschluß wurde die Steuerlast besonders der Bevölkerung der Kriegsgebiete erleichtert. Da auch Aufstände Bebe Süleymans in Schehrizor, Husayn al-Abbas in Syrien und Schejch Manis in Basra unterdrückt werden konnten, und da die jahrelange Bekämpfung des Räuberunwesens nicht ohne Erfolg blieb, kehrte langsam eine gewisse Ordnung in Staat und Finanzen ein. Der Sultan änderte sich. Die Aktivität seiner ersten Jahre war vorbei. Er hielt sich nun fast ständig in Edirne auf, beschäftigte sich mit Jagd, Kalligraphie und Verseschmieden. Maßgeblichen Einfluß, weit über den Rahmen seines Amtes hinaus, übte der Sultanslehrer und Schejch ül-Islam Seyyid Feyzullah Efendi aus. Amcazade soll, seiner Einmischerei müde geworden, resignierend um Entlassung gebeten haben (1702). Daltaban Mustafa Pascha beugte sich und wurde dennoch von ihm beseitigt. Rami Mehmed Pascha suchte ihn auszuschalten: Eine Meuterei von Cebecis in Istanbul sollte der Hebel sein. Doch als Istanbuler Janitscharen, Ulema und Bevölkerung aus Unzufriedenheit dazustießen, entstand eine eigene Dynamik. Die Forderung nach Absetzung Seyyid Feyzullahs und Rückkehr des Sultans in die Hauptstadt radikalisierte sich, die Rebellen nahmen die geforderten Absetzungen und Ernennungen selbst vor, die legale Führung versagte. Ein Aufständischenheer zog nach Edirne, ein sultanisches diesem entgegen. Man schrieb den Thronwechsel auf die Fahnen, obwohl der Sultan schließlich seinen Lehrer hatte fallen lassen. Geheime Kontakte zwischen den Heeren führten zum Abfall der Edirner Janitscharen. Ernst, Ordnung und Militärmacht der Aufrührer ließen dem verlassenen Sultan keine Wahl: er selbst holte seinen Bruder Ahmed (III.) als neuen Herrscher aus der Gefangenschaft seiner Gemächer (23.08.1703). M. seinerseits zog sich zurück und starb nur vier Monate später.
Literatur
Derin, Fahri Çetin: Mustafa II'ya dair bir risale. In: Tarih Dergisi IX/13 (1958), 45-70.
Orhonlu, Cengiz: Mustafa II. In: Islâm Ansiklopedisi. Bd 8. Istanbul 1960, 695- 700.
Silâhdar Fındıklılı Mehmed Ağa: Nusretnâme (Sadeleştiren: Ismet Parmaksızoğlu). 2 Bde. Istanbul 1962/66.
Abou-El-Haj, Rifaat A.: Ottoman Diplomacy at Karlowitz. In: Journal of the American Oriental Society 87 (1967) 498-512.
Ders.: The Formal Closure of the Ottoman Frontier in Europe 1699-1703. In: Ebd. 89 (1969) 467-475.
Ders.: The Narcissism of Mustafa II (1695-1703): A Psychohistorical Study. In: Studia Islamica 40 (1974) 115-131.
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