Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Leopold I.
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Leopold I.

Leopold I., römisch-deutscher Kaiser 1658-1705, König von Ungarn und Böhmen, * Wien 9.06.1640, † ebd. 5.05.1705, zweiter Sohn Kaiser Ferdinands III. und dessen erster Gattin Maria Anna von Spanien.

Leben

 Seit seiner Geburt für den geistlichen Stand bestimmt, wurde L. nach dem Tode des älteren Bruders, König Ferdinand IV., 1655 zum König von Ungarn und ein Jahr später zum König von Böhmen gewählt. Als 1657 Ferdinand III. starb, übernahm L. die Leitung der österreichischen Erbländer, die Kaiserkrone gewann er erst am 18. Juli 1658 nach hartem Wahlkampf gegen französische Ambitionen. Nachdem der problematische Friede mit den Türken den Habsburgern während des Dreißigjährigen Krieges Rückenfreiheit gewährt hatte, rief nun die unruhige Politik Georgs II. Rákóczy von Siebenbürgen, der schon in den schwedisch-polnischen Krieg (1655-1660) eingegriffen hatte, die Osmanen auf den Plan, die an seiner Stelle Ákos Barcsay als Fürsten einsetzen wollten. Barcsay konnte sich nicht durchsetzen, aber auch Rákóczy unterlag im Mai 1660 bei Klausenburg einem türkischen Heer und starb kurz nach der Schlacht. Daraufhin unterstützte eine kaiserliche Armee unter Graf Raimund Montecuccoli einen ehemaligen Feldherrn Rákóczys, János Kemény, der sich um das Fürstentum bewarb, während die Türkei Mihály Apafi protegierte. Nachdem sich Montecuccoli aus dem Land zurückgezogen und Kemény 1662 bei Schäßburg gegen Apafi gefallen war, schien der Kampf um Siebenbürgen entschieden. Als die folgenden Verhandlungen zwischen dem Wiener Hof und der Pforte zu keinem Ergebnis führten, griffen die Türken im Frühjahr 1663 an und eroberten Ende September die Festung Neuhäusel. Die kaiserlichen Streitkräfte wurden von ungarischen Aufgeboten unter Miklós Zrínyi und durch Reichstruppen unterstützt, aber auch der Rheinbund und sogar Frankreich sandten Subsidien. Die Operationen gegen die Osmanen verliefen ohne Erfolge bis zum großen Sieg Montecuccolis bei Mogersdorf/St. Gotthard (01.08.1664), worauf der türkische Großwesir Köprülü Fazil Ahmed Pascha Verhandlungen aufnahm, die am 10. August zum Frieden von Eisenburg (Vasvár) führten: Apafi blieb Fürst von Siebenbürgen, L. mußte den Türken wieder ein „Ehrengeschenk“ von 200 000 Talern leisten und ihnen Großwardein und Neuhäusel überlassen. Während der folgenden militärischen Verwicklungen im Westen galt die Hauptsorge L.s Ungarn, wo sich der protestantische Adel durch die Gegenreformation und die Willkür der Regierung bedroht fühlte. Dies führte zur „Magnatenverschwörung“, die auf das Ende der habsburgischen Herrschaft in Ungarn abzielte. Ihre Führer waren der Palatin Graf Ferenc Wesselényi (er starb bereits 1667) und der kroatische Banus Graf Péter Zrínyi, später kamen der Hofrichter Graf Ferenc Nádasdy, Graf Fran Krsto Frankapan, der Schwager Zrínyis, und der steirische Graf Erasmus von Tattenbach hinzu. Durch eine Warnung der Pforte am Wiener Hof und eine wenig entschlossene Haltung der Aufständischen brach die Erhebung in Oberungarn bald zusammen, 1671 wurden die Häupter der Verschwörung hingerichtet. Nachdem 1668 durch den Frieden von Aachen der erste französische Raubkrieg („Devolutionskrieg“) beendet worden war, konnte Ungarn nun von 1672 bis 1679 wie ein erobertes Land behandelt werden: die Verfassung wurde aufgehoben, 1673 eine absolute Regierung unter Johann Caspar von Ampringen eingesetzt und neuerlich gegenreformatorische Maßnahmen getroffen. Die Antwort auf diesen Kurs waren Unruhen in den nördlichen Komitaten, die von Siebenbürgen und den Türken unterstützt wurden. Die aufständischen „Kuruzzen“ (cruciatus) und die kaisertreuen „Labanczen“ (wahrscheinlich Lanzer) bekämpften sich gerade zu einer Zeit, in der sich L. wieder im Kriegszustand mit Ludwig XIV. von Frankreich befand, der erst am 5. Februar 1679 durch den Frieden von Nymwegen beendet wurde. Infolge der ungarischen Rebellion unter Graf Imre Thököly wurde die Regierung des Gubernators aufgelöst und die Verfassung wiederhergestellt, 1681 gewährte L. auf dem Reichstag von Ödenburg den Protestanten freie Religionsausübung. Von Thököly und Ludwig XIV. gedrängt, begann 1683 unter dem Großwesir Kara Mustafa Pascha ein türkischer Angriffskrieg, nach der erfolglosen zweiten Türkenbelagerung Wiens (Entsatzschlacht am Kahlenberg am 12. September 1683 unter Johann III. Sobieski und Karl von Lothringen) kam es jedoch in den folgenden Jahren zum Niedergang des türkischen Paschaliks in Ungarn: 1685 wurde Neuhäusel, 1686 Ofen und in der Folge die meisten ungarischen Festungen erobert, 1687 der Sieg bei Harsány in der Nähe von Mohács errungen. Eine Offensive in Siebenbürgen und Versuche zur Errichtung eines absolutistischen Regimes durch General Antonio Caraffa endeten für L. mit einem Mißerfolg. 1687 wurden in den Verhandlungen mit dem ungarischen Reichstag zu Preßburg die gegenreformatorischen Bestimmungen zurückgenommen, worauf der Adel auf das Widerstandsrecht aus der Goldenen Bulle König Andreas' II. (1222) verzichtete; der Reichstag erkannte den Erbanspruch des habsburgischen Mannesstammes auf die Stephanskrone an. Gleichzeitig wurde auch Kontakt zu Fürst und Ständen Siebenbürgens aufgenommen: Gemäß dem Vertrag von Blasendorf (Balázsfalva) behielt Apafi die Fürstenwürde bis zu seinem Tod (1690). Sein Sohn Mihály verzichtete nach langem Widerstreben 1697 auf das Fürstentum, das seit 1688 durch die kaiserlichen Truppen gesichert war und auch nach einer Niederlage gegen Thököly bei Zernest (Zărnesţi, 1690) behauptet werden konnte. Durch ein Diplom L.s vom 4. Dezember 1691 erhielt Siebenbürgen schließlich seine alte Verfassung mit der politischen Autonomie der Nationen zurück. Nachdem im September 1688 Belgrad erobert worden war, marschierten die Kaiserlichen in Bosnien und in der Walachei ein. Ein neuerlicher Angriffskrieg Ludwigs XIV. führte zu Rückschlägen im Südosten, im Herbst 1690 gingen die Eroberungen südlich der Save einschließlich Belgrads wieder verloren, was den Zustrom einer großen Zahl serbischer Flüchtlinge unter ihrem Patriarchen Arsenije III. Crnojević nach Slawonien und Syrmien zur Folge hatte. L. konnte zwar seinen Einfluß im Reich durch die Wahl seines ältesten Sohnes Joseph zum römisch-deutschen König (1690) festigen und die ungarischen Eroberungen durch die Schlacht bei Slankamen (August 1691) verteidigen, vermochte jedoch gegen Frankreich und die Pforte keinen durchschlagenden Erfolg zu erzielen. 1697 wurde im Westen der Friede von Ryswyk geschlossen, auf dem östlichen Kriegsschauplatz übernahm Prinz Eugen von Savoyen das Kommando und siegte im September 1697 bei Zenta. Die sich abzeichnenden Verwicklungen um das spanische Erbe bewogen L. zum Frieden mit Mustafa II., der am 26. Januar 1699 zu Karlowitz geschlossen wurde: Ganz Ungarn und Siebenbürgen mit dem größten Teil Slawoniens, mit Ausnahme des Temescher Banats, fielen an den Kaiser. Nach dem Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges (1701) wurde für L. eine weitere ungarische Erhebung bedrohlich. Die Rebellen unter Franz II. Rákóczy, die mit Frankreich in Verbindung standen, konnten trotz eines kaiserlichen Sieges bei Tyrnau Oberungarn erobern. Die neue Bewegung der Kuruzzen band viele Jahre hindurch starke militärische Kräfte, ihre Streifscharen bedrohten zeitweise sogar Wien. In den letzten Lebensjahren durch die Wiener „Kriegspartei“ um Joseph I. und Prinz Eugen weitgehend von der Politik ausgeschaltet, erlebte L. den Ausgang der ungarischen Rebellion nicht mehr; er starb 1705 nach einer Regierungszeit von 48 Jahren. L., ein vorsichtiger und entscheidungsscheuer Monarch, der an gefaßten Entschlüssen starr festhielt, ist trotz aller Mängel als Wegbereiter der Großmachtstellung des Hauses Habsburg im südosteuropäischen Raum anzusehen.

Literatur

Wagner, Franz: Historia Leopoldi magni Caesaris. 2 Bde. Augsburg 1719/31.
Baumstark, Reinhold: Kaiser Leopold I. Freiburg i. B. 1873.
Heigel, Karl Theodor: Zur Charakteristik Kaiser Leopolds I. In: Ders.: Geschichtliche Bilder und Skizzen. München 1897, 77-103.
Eisenberg, Nana: Studien zur Historiographie über Kaiser Leopold I. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 51 (1937) 359-413.
Redlich, Oswald: Weltmacht des Barock. Österreich in der Zeit Kaiser Leopolds I. Wien 1961(4).
Benedikt, Heinrich: Kaiser Leopold I. 1640-1705. In: Gestalter der Geschicke Österreichs. Innsbruck 1962, 209-219.
Moraw, Peter: Kaiser und Geschichtsschreiber um 1700. In: Welt als Geschichte 22 (1962) 162-203; 23 (1963) 93-136.


GND: 118571869

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Empfohlene Zitierweise: Reinhard Rudolf Heinisch, Leopold I., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 22-25 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1244, abgerufen am: (Abrufdatum)

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