Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Obradović, Dositej
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Obradović, Dositej

Obradović, Dositej (Dimitrije), serbischer Aufklärungsphilosoph und erster Unterrichtsminister unter Karadjordje (1811), * Čakovo (Ciacova, Banat) um 1739/1740, † Belgrad 28.03.1811, Sohn eines Kürschners.

Leben

O. besuchte die Grundschule seines Heimatortes und kam früh mit geistlicher Lektüre in Berührung. Nach dem Tod seiner Eltern (1748 und 1752) begann er eine Handwerkslehre in Temeschwar, von wo er 1757 - einem Hang zum christlichen Mystizismus folgend - in das Kloster Hopovo in der Fruska gora (Südungarn) floh. Am 17. Februar 1758 erhielt er unter dem Namen Dositej die Mönchsweihen. In der Folgezeit lernte er die Werke der russischen Scholastiker des 17. und 18. Jh.s
kennen. Besonderen Eindruck machte auf ihn auch das Geistliche Regulament Peters des Großen von 1721. Vom Alltag des Klosterlebens bald enttäuscht und durch die Lektüre weltlicher Schriften beeinflußt, verließ er jedoch bereits am 2. November 1760 wieder das Kloster und verbrachte den folgenden Winter in Zagreb, wo er privat Latein lernte. Anschließend hielt er sich drei Jahre als Privatlehrer in Dalmatien auf, wo er unter dem Eindruck von Antun Reljković und Andrija Kačić-Miošić seine „Bukvica“ (ABC-Büchlein) in der Volkssprache schrieb und sich damit sowohl vom Kirchenslawischen serbischer Redaktion als auch von der Slaweno-serbischen Mischsprache in Südungarn löste. Schließlich brach er von Split über Korfu zu einer längeren Reise nach Griechenland auf (die Chronologie dieser Jahre ist nicht völlig geklärt), verbrachte Herbst und Winter 1765/66 auf dem Athos und hielt sich vom Frühjahr 1766 bis Ostern 1768 in Smyrna auf, wo er in der Schule des Philosophen Hierotheos Dendrinos nicht nur seine Kenntnisse des klassischen und modernen Griechisch sowie der antiken und byzantinischen Kultur vervollkommnete, sondern auch zum ersten Mal von den rationalistischen Geistesströmungen aus dem Westen Kenntnis erhielt. Nach Ausbruch des russisch-türkischen Krieges (1768-1774) kehrte O. über die albanischen Berge nach Dalmatien zurück, nicht ohne unterwegs die albanische Sprache zu erlernen. Bis Herbst 1771 verdiente er sich seinen Lebensunterhalt zumeist als Lehrer in verschiedenen Orten Dalmatiens, verfaßte ein zweites ABC-Büchlein sowie zwei weitere Schriften in der Volkssprache, bis er über Triest nach Wien gelangte, wo er griechische Kinder unterrichtete und sich selbst in lateinischer, französischer und deutscher Logik und Metaphysik fortbildete. Von den theresianischen Reformen tief beeindruckt, begrüßte er die von der Monarchie verfügte Aufhebung dreier großer und elf kleinerer serbischer Klöster, die Abschaffung zahlreicher serbischer Feiertage (1770 wurden 56, 1774/75 28 kirchliche Feiertage aufgehoben), die Reformen im Schulwesen und im sozialen Bereich sowie das unter Mitwirkung der Illyrischen Hofdeputation und ihres Präsidenten, des Grafen Franz Xaver Koller, 1770 erlassene theresianische Regulament. Ende 1776 oder Anfang 1777 wurde O. zum Erzieher der zwei Söhne des Metropoliten von Karlowitz, Vićentije Jovanović-Vidah, in Modern bei Preßburg bestellt. Auf dem dortigen Gymnasium kam er erstmals intensiver mit der deutschen Aufklärungsphilosophie (Friedrich Christian Baumeister) in Berührung. Während seines anschließenden Aufenthalts in Karlowitz begann er mit der Arbeit an seiner Autobiographie „Život i priključenija Dimitria Obradovića narečenoga u kaludjestvu Dosithea“ (Leben und Abenteuer Dimitrije Obradovičs, als Mönch genannt Dositej). 1778/79 verbrachte er mit den beiden Söhnen des Metropoliten Vidak zehn Monate in Preßburg, dem Zentrum des politischen und kulturellen Lebens der Ungarn, und reiste im Herbst 1779 nach Triest, wo er die Bekanntschaft mit dem Pfarrer der dortigen Kirche, Haralampije Mamula, machte, dem er später seinen berühmten reformerischen Aufklärer-Brief „Pismo Haralampiju“ (1783) schreiben sollte. Nach Aufenthalten in Norditalien, auf der Insel Chios und in der Moldau ging er 1782 an die Universität Halle, wo er unter dem Einfluß des Aufklärungsphilosophen Johann August Eberhard (1739-1809) seine gesellschaftspolitische Bildung im Sinne des aufgeklärten Rationalismus vertiefte und seine „Sovjeti zdravoga razuma“ (Ratschläge des gesunden Menschenverstands) verfaßte, die er 1783 bei Johann Gottlob Breitkopf in Leipzig in Druck gab. Am 16. Mai 1783 schrieb er sich an der dortigen Universität ein, um die Vorlesungen des Physikers Friedrich Gottlieb Born zu hören. Wenige Wochen später erschien - ebenfalls in Leipzig - der erste Teil seiner Autobiographie in 300 Exemplaren, ein Jahr später folgten die „Sovjeti.. .“. Eine Reise nach Paris und ein halbjähriger Aufenthalt in London schlossen sich an. 1785-1787 war er wieder in Wien, hielt sich 1788 sechs Monate in Rußland auf und kehrte im selben Jahr nach Leipzig zurück, wo der zweite Teil seiner Autobiographie und die z. T. stark an Lessing angelehnten Fabeln (Basne) erschienen. In beiden Werken kämpfte O. für den Kulturfortschritt seiner Landsleute durch freieres Denken und allseitige Bildung und kritisierte heftig den religiösen Obskurantismus, die allgemein kulturelle Rückständigkeit seiner Heimat sowie den „beschränkten“ Traditionalismus. 1789 bis 1802 lebte er abermals in Wien, wo 1793 auch sein Werk „Sobranie raznih nravoučitelnih veščej v polzu i uveselenie“ (Sammlung verschiedener moralphilosophischer Dinge zum Nutzen und zur Unterhaltung) erschien. Im Sommer 1802 folgte er der Einladung einer Gruppe fortschrittlicher und wohlhabender Serben nach Triest. Im darauf folgenden Jahr wurde seine „Etika ili filosofija naravoučitelna po sistemu g. profesora Soavi“ (Ethik oder Moralphilosophie nach dem System von Herrn Prof. [Francesco] Soave) publiziert und 1804 - nach der Kunde vom Aufstand in Serbien - sein Gedicht auf die Erhebung der Serben „Pjesma na insurekciju Serbianov“. Unter dem Eindruck der Befreiungskämpfe begab sich O. 1806 nach Syrmien, wo er zusammen mit dem dortigen Metropoliten Stefan Stratimirović die Aufständischen in Serbien unterstützte und Beziehungen zu Karadjordje anknüpfte. Am 9. August 1807 siedelte er mit seiner Bibliothek in das befreite Belgrad über und wurde Erzieher von Karadjordjes Sohn Aleksej.  Ende 1807 eröffnete er eine Grundschule in Belgrad, im folgenden Jahr die Höhere Schule und 1810 eine Theologische Bildungsanstalt (Bogoslovija). Gleichzeitig führte er 1807 im Auftrag von Karadjordje eine Mission zum russischen Hauptquartier in Bukarest durch, war Mitglied des obersten serbischen Verwaltungsrats (ab 1810) und gehörte zu den engsten politischen Beratern Karadjordjes, der ihn im Januar 1811 kurz vor O.s Tod zum ersten serbischen Unterrichtsminister (popečitelj prosvjščenija narodnja) ernannte. Eine von Mita Kostić durchgeführte Analyse der „Ideologie“ O.s hat den starken Einfluß der Leibniz-Wolffsehen Philosophie und Ethik sowie das Vorbild der deistischen und moralisierenden Aufklärungslehren durch die Vermittlung Eberhards (vgl. z. B. dessen Werk „Sittenlehre der Vernunft. Zum Gebrauch seiner Vorlesungen. Berlin 1781) bis ins Detail nachgewiesen. Als anthropologisch orientierter „Philosoph“ räumt O. der weltlichen Ethik als Grundlage der menschlichen Existenz eine zentrale Stellung ein. Moralische Maximen werden jedoch nicht abstrakt in ein System eingereiht, sondern unmittelbar auf die Realität bezogen: Kampf gegen die Allmacht der Kirche, Aufklärung der breiten Volksmassen, Säkularisierung des Schulwesens, Unterricht in der Volkssprache usw. Trotz des unbestreitbaren Eklektizismus seiner Lehre bleibt die Adaption der westlichen Philosophie (erwähnt seien außer den bereits genannten Vorbildern noch die älteren Thomas Hobbes, John Locke u. a.) an die historisch-gesellschaftliche Situation der Serben eine für die weitere Entwicklung folgenreiche originelle Leistung O.s. Die Wissenschaft (nauka) wird ausschließlich an ihrer sozialen und nationalen Nützlichkeit gemessen. Nüchtern analysierende Vernünftigkeit und ein reformfreudiger Utilitarismus sind die Hauptanliegen O.s. Die konstante Forderung nach mehr Lehre, Büchern und Schulen leitete eine neue Epoche in der Geschichte der Serben ein. Der Einfluß von O.s Werken (unter den verschiedenen Neuauflagen seien lediglich die 1911 von Jovan Skerlić u. a. redigierte Staatsausgabe und die 1961 in Belgrad erschienene jüngste Auflage: Sabrana dela, 3 Bde, aufgeführt) auf sämtliche Schichten des serbischen Bürgertums sowie auf die serbische Literatur des 18.-20. Jh.s äußerte sich bisweilen bei seinen Anhängern in einem regelrechten Kult seiner Person.

Literatur

Kostić, Mita: Dositej Obradović u istoriskoj perspektivi 18 i 19 veka. Beograd 1952.
Pribić, Nikola: Dositej Obradovićs Stellung in der Geschichte der serbischen Sprache. In: Südost-Forsch. 14 (1955) 428-440.
Mihailović, Georgije: Bibliografija dela Dositeja Obradovića izdatih za njegova života. In: Pril. Knjiž., Jezik, Ist. i Folklor 27 (1961) 143-148.
Marinković, Borivoje: Radovi o Dositeju Obradoviću. In: Obradović, Dositej: Sabrana dela. Bd 3. Beograd 1961, 637-728.
Schmaus, Alois: D. Obradovićs Autobiographie. Gattungscharakter und Erzählstruktur. In: Welt der Slaven 7 (1962) 395-408.
Stojković, Andrija: Geneza dositejevih filozofskog pogleda. In: Zborn. filoz. Fak., Beograd 6 (1962) 1, 67-108.
Ostojić, Tihomir: Manastirske godine Dositeja Obradovića. In: Zbornik Matice srpske za književnost i jezik 13 (1965) 7-52 (Übers, aus: Arch. slav. Philol. 30 (1909) 89-133, 365-391, 475).
Deretić, Jovan: Dositej i njegova doba. Beograd 1969.
Begenišić, Milivoje u. Pejo Vukelić: Dositej Obradović. Novi Sad 1971.
Stojanović, Miodrag V.: Dositej i antika. Beograd 1971 (mit Bibliographie).
Živković, Mirko: Dositej Obradović u kontekstu srpsko-rumunskih odnosa. Bukurešt 1972.

Verfasser

Holm Sundhaussen (GND: 120956055)

GND: 118735845

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118735845.html


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Empfohlene Zitierweise: Holm Sundhaussen, Obradović, Dositej, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 344-347 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1470, abgerufen am: (Abrufdatum)

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