Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Ristić, Jovan
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Ristić, Jovan

 Ristić, Jovan, serbischer Staatsmann, * Kragujevac 13.02.1831, † Belgrad 05.09.1899.

Leben

 R. entstammte einer armen Familie und studierte ab 1849 als serbischer Staatsstipendiat in Berlin (bei Ranke) und Heidelberg Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften. 1852 promovierte er in Heidelberg zum Dr. phil. und begab sich dann nach Paris, wo er seine Studien fortsetzte und alte serbische Handschriften bearbeitete. 1854 kehrte er nach Belgrad zurück und war in der Folge Beamter in verschiedenen Ministerien. Nach der Rückkehr der Dynastie Obrenović 1859 schloß sich R. vorerst den Konservativen um den Fürsten Michael an, dessen volles Vertrauen er genoß. Er war 1861 erster Sekretär jener Volksversammlung (Preobraženska skupština), die mit ihren Beschlüssen die sogenannte „türkische“ Verfassung aus dem Jahre 1839 außer Kraft zu setzen begann. Seine eigentliche politische Karriere begann er 1861 als Vertreter Serbiens bei der Hohen Pforte. Gemeinsam mit dem russischen Botschafter Nikolaj P. Ignat’ev gelang es ihm 1867, die durch den Aufstand in Kreta noch verschärfte Krise im Osmanischen Reich nutzend, den Abzug der türkischen Garnisonen aus Serbien zu erreichen, was ihm den Ruf des besten serbischen Diplomaten einbrachte. Am 14. November 1867 löste er Ilija Garašanin als Außenminister ab, mußte aber schon nach wenigen Tagen, am 3. Dezember, zurücktreten, weil Fürst Michael Obrenović nicht gewillt war, die von ihm vorgeschlagenen Reformen durchzuführen. R. näherte sich jetzt der liberalen Opposition und wurde nach der baldigen Aussöhnung mit dem Fürsten Anfang 1868 nach Wien, St. Petersburg und Berlin geschickt, wo er für die Unterstützung der Bestrebungen Serbiens, die konsularische Jurisdiktion und damit die letzten Reste der Abhängigkeit zu beseitigen, werben sollte. Noch vor der Rückkehr R.s wurde Fürst Michael am 10. Juni 1868 ermordet. Durch das rasche und entschlossene Handeln des Kriegsministers Milivoje Blaznavac wurde der minderjährige Milan Obrenović, ein Großneffe des Begründers der Dynastie, Miloš Obrenović, zum Thronfolger ausgerufen und R. nach Blaznavac und vor Jovan Gavrilovič zum zweiten Regenten der dreiköpfigen Regentschaft gewählt. R. wurde bald zur bestimmenden Persönlichkeit in der Regentschaft. Er führte die Außen- und Innenpolitik und war bestrebt, bei Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zu Rußland, den Einfluß Österreich-Ungarns auf Serbien in Grenzen zu halten. Die Verfassung von 1869, die mit der wohl noch beschränkten gesetzgebenden Funktion der Skupština (Parlament) und der Ministerverantwortlichkeit einen wichtigeren Einschnitt in der Geschichte Serbiens bedeutete, als die späteren, demokratischen Verfassungen, war im wesentlichen sein Werk. Hier setzte sich sein gemäßigter Liberalismus gegen jenen der radikaleren Liberalen des Jahres 1858 durch. Fürst Milan Obrenović (ab 1882 König) erreichte am 22. August 1872 die Großjährigkeit und löste die Regenten ab. R. wurde nun auch formell Führer der liberalen Partei und war vorerst Außenminister im Kabinett Blaznavac, um diesem von April bis Oktober 1873 als Ministerpräsident zu folgen. In der Opposition stellte er sich nach dem Ausbruch des Aufstands in der Herzegowina 1875 an die Spitze jener Kräfte, die einen Krieg gegen die Türken forderten. In der Überzeugung, daß Serbien nur mit Hilfe Rußlands einen Krieg erfolgreich führen könnte, Rußland aber gegen einen solchen Krieg war, wollte R. die zunehmend kriegerische Stimmung nur dazu nützen, die Hohe Pforte so zu Verhandlungen zu zwingen. Gegen seinen Willen kam es 1876 unter Stevča Mihailović und dessen „Aktionskabinett“ der vereinigten Liberalen, in dem er Außenminister war, zum Krieg. Alle Versuche R.s, die russische Regierung für den Krieg zu gewinnen, scheiterten. Serbien erlitt eine Niederlage, konnte aber über russische Intervention den Vorkriegsstatus erhalten. Am russisch-türkischen Krieg von 1877/78 beteiligte sich Serbien nur in der Endphase und eroberte die Gebiete von Niš, Pirot und Vranje. Die Schaffung des großbulgarischen Staats auf Rußlands Gnaden im Frieden von San Stefano brachte die nach Rußland orientierten serbischen Politiker mit R. an der Spitze in eine schwierige Situation. Noch vor dem Berliner Kongreß überließ Rußland Serbien der österreichisch-ungarischen Einflußsphäre. Um die Gewinne aus dem russisch-türkischen Krieg (volle staatliche Unabhängigkeit und Gebietserweiterung nach Südosten) auf dem Berliner Kongreß zu sichern, Unterzeichnete R. mit Österreich-Ungarn ein Abkommen, in dem sich Serbien zum Bau einer Eisenbahn von Belgrad nach Niš und weiter zur künftigen türkischen Grenze und zum Abschluß eines Handelsvertrages mit der Donaumonarchie verpflichtete. Als Vertreter Serbiens am Berliner Kongreß hatte R. zwar nur den Status eines Konsulenten, vermochte aber mit seinem großen diplomatischen Geschick und einer Broschüre über die gerechte Lösung der Orientalischen Frage bestens für die Wahrung der Interessen Serbiens zu wirken. Die vom September 1878 bis Oktober 1880 amtierende Regierung R. festigte die Selbständigkeit Serbiens durch die Schaffung einer autokephalen serbischen Kirche (20.10.1879 unter Metropolit Mihailo) und brachte das Gesetz über den Eisenbahnbau ein, sie sprach sich aber entschieden gegen einen von Österreich-Ungarn diktierten Handelsvertrag aus. Dem Druck der österreichisch-ungarischen Regierung folgend, zwang Fürst Milan das Kabinett R. zum Rücktritt. In den folgenden sieben Jahren führte Milan ohne die „Vormundschaft“ R.s eine völlig proösterreichische Politik, die am besten im Handels- und Geheimvertrag von 1881 zum Ausdruck kam, der Serbien wirtschaftlich und politisch ganz an Österreich-Ungarn band. Als König Milan seine Politik gescheitert sah, berief er R. von Juni bis Dezember 1887 zum Chef einer liberal-radikalen Koalitionsregierung. R. arbeitete aktiv an der Ausarbeitung der demokratischen Verfassung von 1888 mit, die er aber in wesentlichen Punkten für Serbien als ungeeignet hielt. Am 6. März 1889 trat schließlich König Milan zugunsten seines minderjährigen Sohns Alexander zurück und machte R. vor den Generälen Kosta Protić und Jovan Belimarković zum ersten Regenten, um damit ein Gegengewicht gegen die von der Radikalen Partei gestellte Regierung zu schaffen. R. verbesserte sofort die Beziehungen zu Rußland und stellte 1891 in St. Petersburg den serbischen Thronfolger unter den Schutz des Zaren Alexander III. Die bis dahin gute Zusammenarbeit zwischen Regentschaft und Regierung endete im Juni 1892, als R. nach dem Tod Protić’ die Wahl des Führers der Radikalen, Nikola Pašić, zum Regenten verhindern wollte. Nach dem Rücktritt des radikalen Kabinetts beauftragte er den Liberalen Jovan Avakumović mit der Bildung der Regierung, die dann die Wahlen vom 6. April 1893 auch knapp gewann. Schon am 13. April 1893 erklärte sich jedoch der Thronfolger Alexander mit einem Staatsstreich für volljährig und enthob Regierung und Regenten ihres Amtes. Damit war R.s politische Karriere beendet. In seiner Grundhaltung gemäßigt und kompromißbereit, hat R. mit großem diplomatischen Geschick die Politik Serbiens in den entscheidenden Phasen des Kampfes um die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes geführt. Er ist einer der größten Staatsmänner, die Serbien hervorgebracht hat. Seine beiden historiographischen Hauptwerke, die dreibändige Geschichte der serbischen Außenpolitik von 1848-1872 (Spoljašnji odnošaji Srbije novijega vremena, Belgrad 1887/1901) und die zweibändige serbische Diplomatiegeschichte der Kriegsjahre 1875-1878 (Diplomatska istorija Srbije ... 1875-1878, Belgrad 1896/98) übersteigen bei weitem das Memoirenhafte.

Literatur

Jovanović, Slobodan: Jovan Ristić. In: Istorijski spisi Jovana Ristića. Beograd 1940.
Živanović, Živan: Jovan Ristić. In: Ders.: Srbija u ratovima. Beograd 1958, 209-270.
Popović-Petković, Radmila: Bibliografija radova Jovana Ristića i radova o njemu. In: Arhivist 12 (1962) 217-239.
Vučković, Vojislav: Odnosi izmedju Ilije Garašanina i Jovana Ristića. In: Glas Srpske akademije nauka i umetnosti 268 (1966) 133-174.
Popović-Petković, Radmila: Autobiografija Jovana Ristića. In: Arhivski pregled (1967) 194-219.

Verfasser

Andreas Moritsch (GND: 123957184)


GND: 119524937

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Empfohlene Zitierweise: Andreas Moritsch, Ristić, Jovan, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 50-52 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1602, abgerufen am: (Abrufdatum)

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