Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Sakŭzov, Janko Ivanov

Sakŭzov, Janko Ivanov, bulgarischer Politiker, neben Dimitŭr Blagoev der Begründer des bulgarischen Sozialismus, * Šumen 24.(23.?)09.1860, † Sofia 02.02.1941.

Leben

 S. wuchs als Kaufmannssohn in Šumen (Nordostbulgarien) auf, wo er auch die Schule besuchte. Zum Studium ging er zunächst nach Rußland, nach Nikolajev und Odessa in der südlichen Ukraine. Hier kam S. mit radikalen Narodniki-Kreisen und sozialistischen Studentenzirkeln in Kontakt. Ähnlich wie Dimitŭr Blagoev und andere bedeutende bulgarische Sozialisten erhielt auch S. seine erste politische Schulung in russischen marxistischen Kreisen. Doch während Blagoev in der exklusiven Atmosphäre dieser Zirkel blieb, setzte S. sein Studium im Westen fort - 1881 in Leipzig, 1883 in London, wo er Thomas Henry Huxleys Vorlesungen hörte, und 1884 in Paris, wo er Hippolyte Adolphe Taines Lehre kennenlernte und sich auf naturwissenschaftliche und philosophische Studien konzentrierte. 1884 kehrte er nach Bulgarien zurück. 1885 nahm S. als Freiwilliger am serbisch-bulgarischen Krieg teil. In den folgenden Jahren war er vorwiegend als Lehrer tätig, u. a. in seiner Heimatstadt Šumen. Gleichzeitig bemühte er sich um den Aufbau sozialistischer Zellen und kämpfte für die Durchsetzung sozialistischer Zielsetzungen. Wegen der unter dem Stambolov-Regime (1887-1894) beschränkten Betätigungsmöglichkeiten und der Gefahr der Isolation der Bewegung von der Bevölkerung wandte sich S. gegen eine verfrühte Parteigründung und stellte den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen in den Vordergrund. Dennoch wollte er bei der von einem Teil der Sozialisten angestrebten Parteigründung nicht abseitsstehen. 1891 wurde die Bulgarische Sozialdemokratische Partei in Anlehnung an das deutsche Modell und Programm konstituiert. Doch als sich in der Führung die Anhänger einer straffen Partei, hauptsächlich der Kreis um Blagoev, durchsetzten, die „partisti“, löste sich S. von der Partei und sammelte seine Anhänger vorübergehend im Bulgarischen Sozialdemokratischen Bund (Sŭjuz), kurz „sŭjuzisti“ (1892). Von März 1892 bis Mai 1894 war S. in Haft. Nach Stambolovs Sturz wurde er freigelassen. Inzwischen hatten sich die beiden Parteiflügel wieder vereint; doch die Gegensätze blieben. Während Blagoev sich mit seiner Anhängerschaft in einer orthodox-marxistischen Gedankenwelt weitgehend abkapselte, umwarb S. nicht nur die in Bulgarien zahlenmäßig schwache Arbeiterschaft, sondern auch die Bauern und die Mittelklasse. Außerdem beteiligte er sich am Kampf der liberalen Parteien und Persönlichkeiten gegen das „persönliche Regime“ des Zaren Ferdinand. 1894 konnte er einen ersten Erfolg verbuchen, als er zusammen mit Nikola Grahovski als erster Sozialist ins Parlament einzog. Auch nahm er mit einer starken Delegation am 1. Kongreß des 1899 gegründeten Bauernbundes (Bŭlgarski zemedelski naroden sŭjuz) in Pleven teil. Doch hatte er es nicht leicht, die Besorgnisse der Bauern (die Sozialisten wollten ihnen das Land wegnehmen) zu zerstreuen, denn Blagoev hielt am Standpunkt der völligen Ablehnung des Eigentums fest. So konnte auch S. unter der Bauernschaft kaum Anhänger finden. Die sozialistische Anhängerschaft rekrutierte sich vor allem aus Intellektuellen, Lehrern, Handwerkern und der zahlenmäßig schwachen Arbeiterschaft. S. bezeichnete Blagoev wegen seiner unbeweglichen radikalen Haltung als „engstirnig“ (tesnjak), woraufhin seine Anhänger dieses Schimpfwort als Bezeichnung ihrer Gruppierung („tesnjaci“) übernahmen. Blagoev seinerseits nannte S.s Anhänger wegen ihres Kokettierens mit der „breiten Masse“, den liberalen Parteien und der Bauernschaft als „breitstirnige Kollaborateure“ mit anderen Klassen, als „siroko-obštodelci“. Zur selben Zeit wie die Russen, im Jahre 1903, spalteten sich die bulgarischen Sozialisten: Blagoevs „Engsozialisten“ hatten im Zentralkomitee die Mehrheit, S.s „Breitsozialisten“ hatten die Mehrheit der Anhängerschaft, insbesondere die mächtigen Parteiorganisationen von Sofia und Tŭrnovo, hinter sich. 1908 bildeten Breitsozialisten und Diversanten der „Engen“ die Bulgarische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Bŭlgarska rabotničeska socialdemokratičeska partija = BRSDP), die bis zum Ersten Weltkrieg größeren Anhang als die „Engen“ besaß. 1911 hatten die Breiten 3102, die Engen 2510 Mitglieder. Ab 1903 waren die Sozialisten infolge des Wahlgesetzes nicht mehr im Parlament vertreten. Erst 1912 erhielt S. wieder einen Sitz (für die Stadt Sofia) in der Kammer. Während der Balkankriege und im Ersten Weltkrieg schwankten die bulgarischen Sozialisten - wie ihre Schwesterparteien im Ausland - zwischen einer pazifistischen, international solidarischen und einer patriotischen Gesinnung. S. griff den gegen die Türkei gerichteten Balkanbund (Herbst 1912) wegen seines kriegerischen Charakters an. Nach der Niederlage Bulgariens im zweiten Balkankrieg nahm er zwar an den Beratungen des Kronrats teil, lehnte aber einen Eintritt in ein Kabinett ab. Er begrüßte die bulgarische Abwartehaltung zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Im August 1915 opponierte er gegen Bulgariens Kriegseintritt auf seiten der Mittelmächte. Doch nach Beginn des Feldzuges gegen Serbien unterstützte er die bulgarischen Territorialansprüche in Mazedonien. Seine Fraktion enthielt sich zwar bei der Abstimmung über die Kriegskredite der Stimme, doch halfen die Breitsozialisten bei der ökonomischen Mobilisierung und nahmen wichtige Posten in der Administration an. Nach der Niederlage Bulgariens und der Abdankung des Zaren Ferdinand (03.10.1918) trat S. in die Übergangskabinette Aleksandŭr Malinov (18.10.1918) und Teodor Teodorov (28.11.1918-02.10.1919) ein. Als Handels-, Industrie- und Arbeitsminister führte S. den Achtstundentag ein. Auf Konferenzen der Sozialistischen Internationale und der Sozialistischen Balkanföderation setzte sich S. immer wieder für die bulgarischen Interessen ein. Doch trotz aller Appelle an die Balkansolidarität zerstritten sich bulgarische, serbische und griechische Sozialisten über der Mazedonienfrage. In den dreißiger Jahren genoß S. immer noch das Prestige des „großen alten Mannes“ der bulgarischen Sozialdemokratie; den Kurs der Partei bestimmte aber zunehmend der um Jahre jüngere Krŭst’o Pastuchov. Die bulgarischen Sozialdemokraten, die 1919 noch die drittstärkste Partei waren, verloren in der Zwischenkriegszeit an Stimmen, während Blagoevs Engsozialisten, ab 1919 Kommunisten, nach dem Ersten Weltkrieg neben dem Bauernbund als Sammelbecken der mit der bisherigen Politik Unzufriedenen zur zweitstärksten Partei auf rückten. S. starb am 2. Februar 1941, wenige Wochen vor dem Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt (01.03.1941) und seiner Verwicklung in eine neue Katastrophe an der Seite Deutschlands. Zwei der wichtigeren veröffentlichten Schriften von S. sind „Cezarizŭm ili demokracija?“ (Caesarismus oder Demokratie?, 1905) in der er die politische Entwicklung der großen europäischen Staaten mit derjenigen Bulgariens vergleicht, und „Bŭlgarite v svojata istorija“ (Die Bulgaren in ihrer Geschichte, 1917).

Literatur

Janko Sakŭzov. Jubileen sbornik. Sofija 1930.
Kamengradov, A.: Janko Sakŭzov i negovoto delo. In: Socialističeska borba (1946) 1, 42-47.
Manev, A.: Socialističeski dejci. Sofija 1947.
Rothschild, joseph: The Communist Party of Bulgaria. Origins and Development 1883-1936. New York 1959.

Verfasser

Hans-Joachim Hoppe (GND: 143931040)

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Empfohlene Zitierweise: Hans-Joachim Hoppe, Sakŭzov, Janko Ivanov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 75-77 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1619, abgerufen am: (Abrufdatum)

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