Stojadinović, Milan, jugoslawischer Politiker, * Čačak 04.08.1888, † Buenos Aires 24.10.1961.
Leben
St. absolvierte die Rechtswissenschaftliche Fakultät in Belgrad und wurde dort im Dezember 1911 nach Studienaufenthalten in München und Berlin mit einer Arbeit über den deutschen Staatshaushalt promoviert. Nach finanzwissenschaftlichen Studien in Paris und London trat er 1914 ins Finanzministerium ein und erhielt nach dem Ersten Weltkrieg den Rang eines Generaldirektors. Im November 1919 schied er aus dem Amt aus und wurde Vizepräsident der Belgrader Filiale der British Trade Corporation. Als Mitglied der Radikalen Partei und bereits anerkannter Finanzexperte (vgl. seine Artikelsammlung über die Valuta-Probleme Jugoslawiens „Naše valutne nevolje“, Belgrad 1922) sowie als Professor an der Belgrader Universität wurde er mit 34 Jahren in das Kabinett Nikola Pašić als Finanzminister berufen (20.12.1922). Dieses Ressort leitete er auch in der anschließenden Koalitionsregierung Pašić -Pribičević bis zu deren Rücktritt am 24. Juli 1924. Nach dem kurzen Intervall des Ministerpräsidenten Ljubomir Davidović (Demokratische Partei) war St. abermals Finanzminister im Koalitionskabinett Pašić -Radić (bzw. Uzunović-Radić) bis Mitte April 1926. Als Fachminister hat er sich in diesen Jahren durch die erfolgreiche Stabilisierung des Dinar (1923) im In- und Ausland großes Ansehen erworben.
Nach dem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung wandte sich St., der bei den Parlamentswahlen von 1923, 1925 und 1927 ein Mandat errungen hatte, stärker allgemeinpolitischen und innerparteilichen Fragen zu. Während der Königsdiktatur Alexander Karadjordjevićs blieb er in der Opposition und wurde wegen seiner angeblich republikanischen Neigungen zur persona non grata im Königshaus. Erst nach der Ermordung Alexanders übernahm er im Übergangskabinett Bogoljub Jevtić wieder das Finanzressort (Dezember 1934), erhielt aber bereits im Juni des folgenden Jahres vom Prinzregenten Paul Karadjordjević das Mandat zur Bildung einer neuen Regierung. Am 23. Juni 1935 stellte er sein Kabinett vor, in dem er außer dem Posten des Ministerpräsidenten auch das Außenressort übernahm. Der neuen Regierung gehörten u.a. der Führer der Slowenischen Volkspartei Anton Korošec (als Innenminister) und der Chef der Jugoslawischen Muslimischen Organisation Mehmed Spaho (als Verkehrsminister) an. Zusammen mit diesen beiden sowie mit Unterstützung eines Teils der Altradikalen um Aca Stanojević (1852-1947) gründete St. am 20. August die „Jugoslawische Radikale Union“ (Jugoslovenska Radikalna Zajednica, JRZ) als neue Regierungspartei mit unitaristischer Zielsetzung. Auf dieser Basis konnte er sich dreieinhalb Jahre, länger als alle Vorgänger, ohne Unterbrechung im Amt halten.
Seine Regierungszeit ist außenpolitisch durch eine Lockerung der engen Zusammenarbeit mit Frankreich und der Kleinen Entente sowie durch einen (auf Anraten Großbritanniens erfolgten) Ausgleich mit Italien und Deutschland charakterisiert. Eine Ausweitung der jugoslawischen Bündnisverpflichtungen im Rahmen der Kleinen Entente und die Einbeziehung der Sowjetunion in das Paktsystem lehnte St. auf der Konferenz der Kleinen Entente vom 1.-3. April 1937 in Belgrad ab. Statt dessen forcierte er eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland, um der durch die Weltwirtschaftskrise und die Teilnahme Jugoslawiens an den Völkerbundsanktionen gegen Italien (Abessinien-Krise!) schwer geschädigten Exportwirtschaft des Landes ein Ventil zu öffnen. Der neue Kurs wurde während des Aufenthalts von Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht in Jugoslawien (11.-13.06.1936) eingehend besprochen. Durch die Unterzeichnung eines jugoslawischbulgarischen Freundschaftspakts in Belgrad am 24. Januar 1937 wurde das Verhältnis zu dem balkanischen Nachbarstaat und durch den Abschluß des jugoslawisch-italienischen „Versöhnungspakts“ am 25. März d.J. der Konflikt mit dem Anrainerstaat an der Adria beigelegt.
Die Umorientierung der jugoslawischen Außenpolitik zugunsten der revisionistischen Staaten erfuhr durch den Besuch des Reichsaußenministers Freiherr Konstantin von Neurath am 7. Juni 1937 in Belgrad und durch die Staatsbesuche St.s in Rom (Dezember 1937) und Berlin (15.-22.01.1938) eine weitere Bekräftigung. Unter diesen Voraussetzungen überraschte es nicht, daß die jugoslawische Regierung den „Anschluß“ Österreichs an Deutschland zu einer innerdeutschen Angelegenheit erklärte (13.03.1938). Während des Besuchs von Reichs wirtschaftsminister Walther Funk in Belgrad Ende September 1938 wurde die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Staaten unter dem Schlagwort der „natürlichen Ergänzungswirtschaft“ weiter intensiviert. Aber erst mit der Reise des italienischen Außenministers Graf Galeazzo Ciano nach Jugoslawien im Januar 1939 erreichte die Politik St.s ihren Kulminationspunkt. Bei dieser Gelegenheit wurde die von Mussolini geplante Besetzung Albaniens und die eventuelle Abtrennung einiger nordalbanischer Gebiete um Skutari zugunsten Jugoslawiens (sowie eine künftige Unterstützung jugoslawischer Ambitionen auf Saloniki) ausführlich erörtert. Der Verdacht, daß St. als Gegenleistung die Übergabe dalmatinischer Gebiete an Italien zugesagt habe, beruht auf einem wahrscheinlich gefälschten Dokument des jugoslawischen militärischen Geheimdienstes.
Der außenpolitische Kurswechsel unter St. schwächte die Position der kroatischen Opposition und schränkte die Aktionsmöglichkeiten der Emigranten um Ante Pavelić ein. Innenpolitisch konnte St. einen verschärften unitaristischen Kurs steuern. Seine Regierungsmethoden nahmen obendrein zusehends autoritative Merkmale an. Die durch die Ratifizierung des Konkordats im Juli 1937 ausgelöste Krise wurde durch einen Vergleich zwischen der Regierung und dem Hl. Synod im Februar 1938 überwunden. Allerdings konnte die JRZ bei den Parlamentswahlen am 11. Dezember 1938 nur eine knappe Mehrheit erringen (1,6 Mio. Stimmen gegenüber 1,4 Mio. Stimmen für die Oppositionsparteien um Vladko Maček, die jedoch infolge des Wahlgesetzes von 1931 nur 67 von 373 Mandaten erhielten!). Mit Zustimmung des Prinzregenten gelang es St., den eigenwilligen Korošec aus der Regierung auszubooten. Es scheint aber, daß seit dieser Zeit auch das Verhältnis zum Prinzregenten beeinträchtigt war. Am 3. Februar 1939 reichten fünf Minister (Mehmed Spaho, Miha Krek, Džafer Kulenović, Franc Snoj und Dragiša Cvetković) überraschend ihren Rücktritt ein. Am folgenden Tag erklärte St. die Demission des Gesamtkabinetts. Prinzregent Paul beauftragte daraufhin den wenig provilierten Cvetković mit der Bildung einer neuen Regierung.
Die Hintergründe des spektakulären Sturzes von St., der gegenüber den „Achsenmächten“ mit innenpolitischen Gründen motiviert wurde, sind auch nach den Forschungen von Dušan Biber und Ljubo Boban noch ungeklärt. Offen ist insbesondere, 1.) ob die britische Regierung oder der Prinzregent Tempo und Intensität der Annäherung an Italien und Deutschland nach dem „Anschluß“ Österreichs nicht mehr billigten, 2.) ob sich Prinzregent Paul über St.s Gespräche mit Ciano nicht ausreichend informiert fühlte, 3.) ob er in dem autoritären Führungsstil seines Ministerpräsidenten eine Bedrohung seiner eigenen Stellung oder der des Königshauses erblickte oder 4.) ob er durch die Entfernung St.s eine bessere Voraussetzung für den Ausgleich mit der kroatischen Opposition schaffen wollte, zumal die geheimen Kontakte mit Maček bereits eingeleitet worden waren.
Tatsache ist, daß die Regierung Cvetković im Sommer 1939 begann, die JRZ von Anhängern St.s zu säubern. Dieser selbst wurde am 9. Juni d. J. aus der Parteiführung ausgeschlossen. Das Statut der daraufhin von ihm gegründeten neuen serbischen Radikalen Partei wurde Anfang 1940 von der Regierung nicht gebilligt, der Parteigründer am 19. April 1940 verhaftet und konfiniert. Aus Besorgnis vor deutschen Interventionen zugunsten St.s erfolgte am 18. März 1941 die Übergabe des ehemaligen Ministerpräsidenten an die Engländer, die ihn während des Krieges auf der Insel Mauritius internierten. Deutsche Versuche, eine Versetzung St.s zu erreichen, blieben ergebnislos. Nach der Entlassung übersiedelte St. 1948 nach Buenos Aires, wo er in den folgenden Jahren seine Memoiren schrieb (Ni rat ni pakt. Jugoslavija izmedju dva rata, Buenos Aires 1963 [Weder Pakt noch Krieg. Jugoslawien zwischen den beiden Kriegen.], Neuauflage Rijeka 1970 mit einem Vorwort von Dušan Biber).
Literatur
Biber, Dušan: O padu Stojadinovićeve vlade. In: Istorija XX veka. Zbornik radova 8 (1966) 5-71.
Avramovski, Živko: Balkanske zemlje i velike sile 1935-1937. Od italijanske agresije na Etiopiju do jugoslovensko-italijanskog pakta. Beograd 1968.
Stojkov, Todor: Opozicija u vreme šestojanuarske diktature 1929-1935. Beograd 1969.
Boban, Ljubo: Maček i politika Hrvatske seljačke stranke 1928-1941. Iz povijesti hrvatskog pitanja. Bd 1. Zagreb 1974.
Biber, Dušan: Britanske ocjene Stojadinovića i njegove politike. In: Fašizam i neofašizam. Zagreb 1976, 265-277.