Szemere, Bertalan, ungarischer Politiker, * Vatta (Komitat Borsod) 27.08.1812, † Pest 18.01.1869.
Leben
Sz. stammte von jener altadeligen Familie ab, von der ein Zweig sich im Komitat Borsod niedergelassen hatte. Seine Rechtsstudien schloß er 1832 an der reformierten Hochschule von Sárospatak ab. Noch im selben Jahr nahm er an dem neueröffneten Landtag in Preßburg als Mitglied der Landtagsjugend teil. Seine Tätigkeit in der Komitatsverwaltung als Notar, ab 1840 als Oberstuhlrichter und ab 1846 als Vizegespan unterbrach Sz. für eine längere Reise nach Westeuropa (1836/37) und für die Teilnahme an den Landtagen von 1843/44 und 1847/48, wo er als Deputierter des Komitats Borsod einer der Wortführer der Opposition war.
Im ersten verantwortlichen ungarischen Ministerium übernahm Sz. das Amt des Innenministers (17.03.-28.09.1848) und trat nach dem Rücktritt der Regierung Lajos Batthyány (02.10.1848) dem von Kossuth geführten „Landesverteidigungsausschuß“ (Honvédelmi Bizottmány) bei. Nach der Absetzung des Hauses Habsburg und der Wahl Kossuth s zum provisorischen Staatsoberhaupt von Ungarn wurde Sz. Ministerpräsident des zweiten ungarischen Ministeriums (14.06.-13.08.1849), in dem er auch das Amt des Innenministers ausübte. In diese Zeit fallen die vergeblichen Waffenstillstands Verhandlungen, die Sz. zusammen mit dem ersten ungarischen Außenminister, Kázmér Graf Batthyány, mit dem zaristischen Oberbefehlshaber Ivan Fédorovic Paskevic geführt hat; verschiedene innenpolitische Entscheidungen konnten aufgrund der Kriegssituation nur bedingt ausgeführt werden. Bei allen seinen politischen Entscheidungen stand Sz. stark unter dem Einfluß von Kossuth, dessen Gegner er erst in der Emigration wurde.
Nach der Niederlage bei Világos (13.08.1849)floh Sz. über Orşova, wo er die ungarische Krone vergrub, nach Istanbul und von dort nach Paris. In Abwesenheit 1851 von den österreichischen Behörden zum Tode verurteilt, beteiligte sich Sz. aktiv an den Auseinandersetzungen der ungarischen Exilpolitiker; in diesem Zusammenhang stand er auch über mehrere Jahre im Briefwechsel mit Karl Marx. Ab 1859 setzte er sich immer stärker für einen Ausgleich mit Österreich ein. Mit kaiserlicher Amnestie kehrte Sz. 1865 nach Ungarn zurück, wo er schwer erkrankt die letzten Jahre seines Lebens in einer Nervenheilanstalt verbrachte.
Besonders in der Exilzeit entfaltete Sz. eine rege schriftstellerische Tätigkeit, die vor allem seinen Erinnerungen an die Revolutionsjahre galt: „Graf Ludwig Batthyány, Arthur Görgey, Ludwig Kossuth“ (3 Hefte, Hamburg 1853), „La question hongroise 1848-1860“ (Paris 1860), „Naplóm“ (Mein Tagebuch, Pest 1869), „Utazás keleten a világosi napok után“ (Die Reise in den Orient nach den Tagen von Világos, 2 Bde, Pest 1870), „Összegyűjtött munkái“ (Gesammelte Werke, 6 Bde, Pest 1869/70). Im Jahre 1941 wurden in Budapest zwei Bände mit amtlichen Schriftstücken aus Sz.s Zeit als Ministerpräsident herausgegeben: „Szemere Bertalan miniszterelnök emlékiratai az 1848-1849-i magyar kormányzat nemzetiségi politikájáról“ (Memoiren des Ministerpräsidenten Bertalan Szemere über die Nationalitätenpolitik der ungarischen Regierung von 1848 bis 1849) und „Szemere Bertalan miniszterelnök iratai“ (Schriften des Ministerpräsidenten Bertalan Szemere).
Literatur
Kiss, Ernő: Szemere Bertalan. Kolozsvár 1912.
Kosáry, Domokos: Marx et Szemere. In: Revue d’Histoire Comparée N.S. 4 (1946) 103-116.
Tóth, Zoltán I.: A Szemere-kormány nemzetiségi politikája. In: Magy. Tud. Akad. Filoz. Tört.-tud. Oszt. Közl. 2 (1952) 69-91.
Maller, Sándor: Marx és Szemere. In: Századok 90 (1956) 667-708.
Both, Ödön: Szemere Bertalan belügyminiszter nemzetiségi politikája 1848 nyáran. Szeged 1958. = Acta Univ. Szeged., Acta jur. et polit. 5,2.