Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Széll, Kálmán
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Széll, Kálmán

Széli, Kálmán, ungarischer Politiker, * Gasztony (Komitat Vas) 08.06.1843, † Rátót (Komitat Vas) 16.08.1915.

Leben

Die Familie, eine der angesehensten Adelsfamilien in Danubien, spielte seit mehr als 300 Jahren in der Geschichte des Komitates V as eine wichtige Rolle. Der Vater, József Antal Sz., Grundbesitzer von Gasztony, Táplánfa, beteiligte sich ständig am politischen Leben des Komitates, zuletzt (1867) war er Gespan-Statthalter im Komitat Vas. Die Mutter, Julianna Bertha, entstammte einer Grundbesitzerfamilie aus Maróc (Komitat Zala). Kálmán war der älteste der drei Brüder (Ignác * 1845, Móric * 1851). Nach seinen Schuljahren in Ödenburg bei den Benediktinern und auf dem Hl.-Norbert-Gymnasium der Prämonstratenser in Steinamanger (Szombathely) machte er 1861 das Abitur. 1863 schloß er sein Jurastudium an der Pester Universität mit dem Staatsexamen ab. 1867 heiratete er Ilona Vörösmarty, die Tochter des Dichters Mihály Vörösmarty, die nach dem Tode ihres Vaters von dem Politiker Ferenc Deák als Pflegetochter angenommen worden war. Die hochgebildete Frau, die das politische Leben und die Politiker ihrer Zeit gut gekannt hat, war ihrem Mann in seinem politischen Kampf stets ein starker Rückhalt.
Auf den Rat Deáks wurde Sz. nach 1867 Stuhlrichter in Rátót, gleichzeitig wählte ihn der Bezirk Szentgotthárd zunächst als Vertreter der Deák-Partei, von 1906 bis 1911 als Vertreter der Konstitutionalisten, zum Abgeordneten. Aufgrund seiner umfassenden Finanz- und Wirtschaftskenntnisse wählte man ihn zum Vorstandsmitglied des Ungarischen Wirtschaftsvereines. 1871 bot ihm Graf Gyula Andrássy den Posten des Staatssekretärs im Innenministerium an, den er jedoch ablehnte und sich statt dessen weiter mit dem Finanzwesen beschäftigte und Budget-Vorschläge für das Parlament erarbeitete. Vom 2. März 1875 bis 11. Oktober 1878 war Sz. Finanzminister in den Regierungen Béla Wenckheim und Kálmán Tisza. 1878 verließ er wegen der Okkupation Bosniens endgültig die Regierung, weil hierdurch die finanzielle Lage des Landes zusätzlich schwer belastet wurde. Zu seinen Verdiensten als Finanzminister zählte die Verbesserung der Kreditpolitik des Staates (Neugestaltung des Darlehenswesens, erste Goldrentenanleihe [80. Mill.] 1875) sowie der im Jahre 1878 abgeschlossene Wirtschaftsausgleich mit Österreich, der u.a. den Zoll- und Handelsvertrag auf zehn Jahre begrenzte. Nach seinem Rücktritt gründete Sz. unter Heranziehung französischen Kapitals die Hypothekar-Kredit-Bank, deren Generaldirektor und Präsident er wurde. In dieser Zeit entwickelte sich durch seine berühmte Vieh- und Pferdezucht der Széllsche Besitz in Rátót zum Mustergut. 1879 wollte Graf Aladár Andrássy Sz. zum Generaldirektor der Ungarischen Allgemeinen Kreditbank berufen, aber Sz. lehnte ab; statt dessen übernahm er bis 1898 die Führung der Diskont- und Wechselbank.
Nach dem Sturz der Regierung Dezső Bánffy schloß Sz. am 23. Februar 1899 einen Pakt mit der Opposition, der ihm die Übernahme der Regierung ermöglichte (durch die Fusion mit der Nationalpartei wurde die Regierungspartei die stärkste Partei des Landes). Die Arbeit seiner Regierung sollte sich auf Gesetz, Recht und Wahrheit gründen. Vor allem versprach Sz. saubere Wahlen - mit den Traditionen der Liberalen brechend -, jedoch ohne der Forderung nach freien geheimen Wahlen zuzustimmen. Hinsichtlich der Nationalitätenpolitik schaffte er die von der Regierung Bánffy gegründete zweifelhafte „Nationalitäten-Abteilung“ des Ministerpräsidiums ab. Auf der politischen Bühne Ungarns spielte gegen Ende des Jh.s die Zollpolitik eine wichtige Rolle. Die Agrarier (Gábor Ugron), die die Regierung Sz.s unterstützten, verlangten neue Gesetze für einen intensiveren Schutz der ungarischen Agrarprodukte. Sz. verpflichtete sich, den Rechtsstatus des selbständigen Zollgebietes zu sichern. Er verkündete sein Programm, wonach Österreich bis zum Jahre 1904 einen neuen Zollvertrag mit Ungarn abschließen solle, da sonst Ungarn ein selbständiges Zollgebiet darstellen werde. Er stimmte auch nicht der österreichischen Forderung nach Erhöhung des Industrie-Zolles zu. Zeitweise behielt er auch das Portefeuille des Innenministers. Unter seiner Regierung konsolidierte sich die Regierungspartei. Durch ständige und lebhafte Diskussionen im Parlament versuchte er die Opposition zu besiegen. Auf sozialpolitischem Gebiet zählte zu seinen Leistungen die Gründung der Dienst- und Landarbeiterkasse und die Einrichtung des Kinderschutzes. 1902 Unterzeichnete Sz. mit dem österreichischen Ministerpräsidenten Ernest von Koerber den „Széll-Koerber-Pakt“, in dem er den wirtschaftlichen Ausgleich mit Österreich nach der sogenannten „Széll-Formel“ regelte. In diesem Jahr wurde er auch zum Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Währenddessen trat die militärische Frage immer mehr in den Vordergrund des politischen Geschehens: Hof und Militärführung forderten eine Erhöhung der Mannschaftsstärken, modernere Ausrüstung der Artillerie sowie die Entwicklung der Marine. Wegen der durch den Antrag auf neue Rekrutenaushebung ausgebrochenen Obstruktion stürzte die Regierung Sz. am 27. Juni 1903. Der neue Ministerpräsident, Sándor Wekerle, bot Sz. vergeblich die Präsidentschaft der Magnatentafel an. An der neuen Parlaments wähl nahm die Liberale Partei nicht mehr teil, ihr Führer, Graf István Tisza, zog sich vom politischen Leben zurück. 1906 schloß sich Sz. den „Dissidenten“ um Graf Gyula Andrássy an, und in derZeit der Koalition wurde er Präsident der Konstitutions-Partei. Vom aktiven politischen Leben hielt sich Sz. jetzt endgültig zurück und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens auf seinem Gut in Rátót.

Literatur

Sárkányné, Halász Terézia: Széll Kálmán életrajza. Budapest 1943.
Dolmányos, István: A magyar parlamenti ellenzék történtéből (1901-1904). Budapest 1963.

Verfasser

O. Zobel


GND: 1084341417

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/1084341417

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Empfohlene Zitierweise: O. Zobel, Széll, Kálmán, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 258-260 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1736, abgerufen am: (Abrufdatum)

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