Tiso, Jozef, slowakischer Priester und Staatsmann, * Vel’ká Bytča (Nagybicscse, Komitat Trentschin) 13.10. 1887, † (hingerichtet) Preßburg (Bratislava) 18.04.1947.
Leben
Als zweites der sieben Kinder von Gašpar T. und Terézia Budíšek geboren, besuchte T. die dreisprachige, slowakisch-magyarisch-deutsche Volksschule in seinem Geburtsort. Sein Vater war ein Kleinbauer, der sich auch als Fleischhauer betätigte. Begabt und physisch etwas anfällig, wurde T. nach Sillein (Žilina) zum Studium am Unter-Gymnasium bestimmt (1898-1902). Mit fünfzehn trat er ins Priesterseminar zu Neutra (Nitra) ein und besuchte das dortige höhere Gymnasium der Piaristen (1902-1906). Nach dem Abitur sandte ihn sein Bischof zum theologischen Studium nach Wien. Als Alumnus des „Pazmaneums“ studierte T. Moraltheologie und Grundzüge der christlichen Gesellschaftslehre bei Franz Schindler und machte Seminarübungen unter der Leitung von Ignaz Seipel. Er promovierte am 15. Juli 1911. Bereits im Jahre 1910 zum Priester geweiht, wurde T. als Kaplan in der Seelsorge eingesetzt (Oščadnica 1910-1911, Rajec 1911-1913 und Bänovce 1913-1914). Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er zum Militär eingezogen, und in Laibach (Ljubljana) lernte er den slowenischen Volksführer Anton Korosec kennen. Im Jahre 1915 wegen Krankheit aus dem Militärdienst entlassen, wurde T. zum Spiritual im Seminar und zum Professor der Moraltheologie in Neutra berufen. Nach Kriegsende setzte sich T. für den neuen tschechisch-slowakischen Staat ein. Bereits im November 1918 gründete er mit Eugen Filkorn die slowakische Zeitschrift ,,Nitra“, später gab er auch das Wochenblatt „L’udovä politika“ (Volkpolitik) heraus. Bald aber von der tschechischen Besatzung der Slowakei enttäuscht, trat T. der „Slowakischen Volkspartei“ Hlinkas (Hlinková Slovenská L’udovä Strana = HSL’S) bei und entwickelte eine rege politische Tätigkeit für die Autonomie der Slowakei. Bereits im Jahre 1923 wurde er wegen „Volkshetze“ verurteilt und saß zwei Wochen im Gefängnis von Trentschin (Trenčín).
Obwohl vor allem stets als Priester tätig (Papst Benedikt XV. verlieh ihm 1922 den Ehrentitel „Monsignore“), fühlte sich T. immer stärker zum politischen Einsatz gedrängt. Schon als Kaplan wurde er stark von der wirtschaftlichen und sozialen Not des slowakischen Landvolkes beeindruckt. Um ihm wirksam helfen zu können, organisierte er als Selbsthilfe Wirtschaftsgenossenschaften und Sparkassen. Im Jahre 1924 resignierte er auf seine Ämter in der bischöflichen Kurie und übernahm die Stadtpfarrei in Bánovce, die er bis 1945 betreute. Bei den Wahlen 1925 wurde T. als Kandidat des Landkreises Tyrnau (Trnava) zum Abgeordneten ins Prager Parlament gewählt. Streng autonomistisch eingestellt, bemühte er sich aber um eine versöhnliche Haltung den Tschechen gegenüber. Unter seiner Wirkung versuchte die „Slowakische Volkspartei“ auch den Eintritt in eine Regierungskoalition, und T. wurde am 15. Januar 1927 Gesundheitsminister in Prag, was er bis 1929 blieb. Der Versuch scheiterte jedoch und die Volkspartei setzte ihren Kampf für die Autonomie in der Opposition fort. Durch seine theologisch-philosophische Ausbildung und europäisch aufgeschlossene Denkart eines Intellektuellen behauptete sich T. als der bedeutendste Theoretiker seiner Partei. Seine Schrift „Ideológia slovenskej l’udovej strany“ (Die Ideologie der Slowakischen Volkspartei, Prag 1930) wurde als ideologischer Wegweiser angenommen. Nach dem Tode Andrej Hlinkas (1938) wurde T. auch dessen Nachfolge anvertraut. In der tschechisch-slowakischen Krise im Herbst 1938 rettete T. die Tschechoslowakei vor dem Zerfall, indem er am 6. Oktober in Sillein die Autonomie der Slowakei innerhalb des zur Föderation umgebildeten gemeinsamen Staatsgebildes erklären ließ. Er wurde zum ersten Ministerpräsidenten der slowakischen Regierung ernannt (6.10.1938). Nach der Selbständigkeitserklärung der Slowakei (14.03.1939) wurde T. Ministerpräsident des neuen Staates, und am 26. Oktober 1939 wählte ihn das slowakische Parlament zum ersten Staatspräsidenten, der er bis zum 4. April 1945 blieb. Die Selbständigkeit der Slowakei wurde durch den machtpolitischen Druck des Deutschen Reiches stark beschränkt (Unterzeichnung des „Schutzvertrags“, Annahme des „Beratersystems“, Teilnahme am deutsch-russischen Krieg, Mitmachung bei der nazistischen „Lösung der Judenfrage“). Doch für die Mehrheit der Slowaken galt T. als Bürge für die Bewahrung des bedrohten Fortbestehens der slowakischen Nation in ihrer geschichtlichen Kontinuität und geistig-kulturellen Identität. Vor der russischen Besatzung nach Bayern geflüchtet, wurde T. im August 1945 von den Amerikanern ausgeliefert, in Preßburg von einem „Volksgericht“ zum Tode verurteilt und am 18. April 1947 aufgehängt. Seine Verteidigungsrede vor dem Volksgericht („Die Wahrheit über die Slowakei“, Hrsg. Jon Sekera [Dr. Jožef Paučo], o.O. [München] 1948) stellt eine wichtige Quelle zur slowakischen Zeitgeschichte dar.
Literatur
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