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Berzeviczy, Gergely, Reformpublizist der ungarischen Aufklärung, * Nagylomnic 15.06.1763, † Kakaslomnic 23.02.1822, aus einer adeligen Familie in der Zips.
Leben
B. bekam seine Schulung in der aufgeklärten evangelischen Schultradition von Késmárk und vertiefte seine Studien in Göttingen unter August Ludwig von Schlözer, der nicht nur als Historiker, sondern auch als Befürworter der josefinischen Aufklärung das Denken des jungen Ungarn bestimmte. Die Göttinger Jahre gaben B. auch Anregungen im theoretischen und praktischen Studium der Volkswirtschaft unter der Leitung von Johann Beckmann. Eine Studienreise nach Leipzig erweckte seinen Lieblingsplan der ungarischen Weinausfuhr durch Polen nach Deutschland. Längere Aufenthalte in England, Belgien und Frankreich in den Jahren 1786-1787 boten ihm Eindrücke über die Möglichkeiten und Probleme einer Gesellschaftsreform in Ungarn.
Die geistige und politische Entwicklung B.s widerspiegelt einen Zwiespalt, der auch in der ungarischen Aufklärung und Reformpolitik des späten 18. Jahrhunderts erscheint. Ähnlich anderen Reformpublizisten sympathisierte B. mit den Reformedikten des Kaisers Joseph II., doch verwarf er, dem Beispiel der kroatischen, ungarischen und belgischen adeligen Bewegungen folgend, die Zentralisierung und den Absolutismus dieser Politik. Seine Kritik des Josefinismus entsprang aber einer anderen Motivation als die der ungarischen adeligen Bewegung um 1790. Er vertrat die Meinung nämlich, daß die Gesellschaftsreform nur durch die aktive Mitwirkung aller Bevölkerungsschichten, und nicht durch kaiserliche Befehle, erzielt werden könnte. Seine zwiespältige Haltung zeigt sich auch in seiner Zurückhaltung von der Publizistik nach 1790. Als Sekretär der kommerziellen Sektion im ungarischen Statthaltereirat vertiefte er seine praktischen Kenntnisse der wirtschaftlichen Entwicklung Ungarns. Er unterhielt persönliche Beziehungen mit bekannten ungarischen Reformpublizisten, doch besteht kein Beweis, daß er in der Jakobinerbewegung von 1794 teilgenommen hätte. Sein erstes bedeutendes Werk, „De commercio et industria Hungariae“, erschien 1797. Es war die erste kritische Untersuchung der ungarischen Wirtschaftsreform im Lichte der Ideen von Adam Smith. B. vertrat das Prinzip der freien ungarischen Handelspolitik und befürwortete die Erweiterung des Handels mit Polen, Sachsen und Preußen. Er kritisierte scharf die Wiener Politik, Ungarn als rückständigen Wirtschaftspartner zu behandeln. Sein zweites großes Werk, „De conditione et indole rusticorum in Hungaria“ (1806) behandelte die wirtschaftliche und soziale Reform vom Standpunkt des Leibeigentums und der Bauernarmut. Er bezeichnete die adelige Politik der Bauernunterdrückung als das größte Hindernis zur wirtschaftlichen und sozialen Genesung Ungarns. Er empfahl dem Adel, den Bauernstand wirtschaftlich und sozial zu fördern, als den ersten Schritt zur Kräftigung der ungarischen Wirtschaft und als Vorbedingung für eine Erneuerung Ungarns. B.s Bedeutung für die Geistesgeschichte des modernen Ungarns beginnt erst jetzt erkannt zu werden, aber bereits 1802 erlangte er Anerkennung im Westen durch seine Wahl zur Mitgliedschaft der Gelehrten Gesellschaft von Göttingen.
B. kann mit seinen vom adeligen Liberalismus des 19. Jahrhunderts abweichenden Vorstellungen über die politische und soziale Reform als Vorläufer Graf István Széchenyis betrachtet werden. Seine kritische Stellungnahme zur adeligen Reformpolitik seiner Zeit erklärt auch die Vernachlässigung seiner Würdigung in der ungarischen historischen Literatur.
Literatur
Gaal, Jenő: Berzeviczy Gergely élete és művei. Budapest 1902. = Magyar Közgazdasági Könyvtár. 1.
Horváth, Róbert: Berzeviczy Gergely közgazdasági és népességi tanai. Szeged 1964. = Acta Univ. Szeged., Acta jur. et polit. 11/7.
H. Balázs, Éva: Berzeviczy Gergely, a reformpolitikus, 1763-1795. Budapest 1967.
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