Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Joseph II.
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Joseph II.

Joseph II., römisch-deutscher Kaiser 1765-1790, * Wien 13.03.1741, † ebd. 20.02.1790, ältester Sohn Franz Stephans von Lothringen (Kaiser Franz I.) und Maria Theresias.

Leben

J. war von Geburt an zum Oberhaupt des Erzhauses und zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs ausersehen, sein Bildungsweg war ausschließlich nach der dynastischen Staatsräson ausgerichtet; der hervorragend intelligente junge Erzherzog wurde zum Pflichtmenschen erzogen, der im Betreiben dessen, was er für gerecht und nützlich ansah, hart und rücksichtslos wurde - gegen sich selbst und gegen jeden anderen. Er wuchs mit den Ideen der gemäßigten Aufklärung auf: An der Kirche wurde schon ungehemmt Kritik geübt, der Kirchenglaube war noch unantastbar. Ein Schlüsselwort für den aufgeklärten Fürsten war „das öffentliche Wohl“; dem wollte J. als Herrscher dienen. Er setzte es dem Gedeihen des Staates gleich. J. hatte ein „System“. Es war eklektisch, die Grundsätze gehörten unterschiedlichen Gedankenordnungen an. In der auswärtigen Politik war er dynastischer Imperialist, von den „Populationisten“ (Johann Heinrich Gottloh von Justi) übernahm er die Forderung nach größtmöglicher Mehrung der Volkszahl, in der Wirtschaftspolitik richtete er sich einmal nach den Vorstellungen der Merkantilisten, ein andermal nach denen der Physiokraten. Archimedischer Punkt war für ihn die vollkommene Zentralisation. Um erfolgreich zentralisieren zu können, wollte er die Einrichtungen seiner Länder einander angleichen. Daher stieß er sich an den geschichtlich gewachsenen Eigenheiten, Sonderrechten der Stände in seinen Ländern. Seit 1759 nahm J. an den Sitzungen des Staats- und des Kriegsrates teil, 1764 wurde er zum römischen König gewählt, und nach dem plötzlichen Tod seines Vaters fiel ihm 1765 die Kaiserwürde zu. Nun bestimmte ihn Maria Theresia zum Mitregenten. Die anderthalb Jahrzehnte der Mitregentschaft waren von Spannungen und Konflikten zwischen Mutter und Sohn erfüllt. J. arbeitete einen umfassenden Plan zur Erneuerung des habsburgischen Staatswesens aus; die Kaiserin wollte aber nur schrittweise und behutsam reformieren, die ungestüme, ungeduldige Art des Sohnes war ihr fremd. Solange sie lebte, hatte J. im Inneren nur bei der Umgestaltung des Militärwesens wirklich freie Hand. Was das Auswärtige betraf, waren sich Mutter und Sohn in der Preußenfeindlichkeit einig; den auf Gebietsgewinne gerichteten imperialen Ehrgeiz J.s teilte Maria Theresia nicht. Doch J. konnte in den auswärtigen Angelegenheiten wiederholt seinen Willen gegen die Mutter durchsetzen; so ging er 1772 bei der ersten Teilung Polens trotz starkem Widerstreben der Kaiserin gemeinsam mit dem befreundeten Rußland und dem Gegenspieler Preußen vor; Österreich erwarb sein Kronland Galizien. 1775 gelang J. der gleichfalls kampflose Erwerb der Bukowina, die die Pforte nach dem von Österreich vermittelten russisch-türkischen Friedensschluß an den Friedensstifter abtreten mußte. J.s von Maria Theresia heftig mißbilligter Versuch, Niederbayern auf Grund zweifelhafter Erbansprüche in Besitz zu nehmen (1778), wurde aber von Friedrich II. von Preußen mit Waffengewalt vereitelt. Als Maria Theresia am 29. November 1780 starb, ging J. an die Ausführung seiner lange zurückgestellten Vorhaben. Seine ersten einschneidenden Anordnungen betrafen die katholische Kirche. Auch J. wollte, daß dem Volk die Religion - die katholische - erhalten bleibe, aber die kirchlichen Einrichtungen sollten unter die Kontrolle und in den Dienst des Staates gestellt werden, von reinen Glaubensfragen abgesehen von Rom unabhängig sein. Überdies wurde der Kirche das Amt der Pressezensur entzogen, eine weltliche Zensurbehörde wurde eingesetzt und gestattete weitgehende Pressefreiheit. Da J. die Talente der Nichtkatholiken für den Staat genutzt wissen wollte, sicherte er Lutheranern, Kalvinisten und Griechisch-Orthodoxen (nicht allerdings einigen auch weiterhin verfolgten und unterdrückten Sekten) Duldung, das Recht der nichtöffentlichen Glaubensausübung und volle Bürgerrechte zu; auch die Rechtsstellung der Juden wurde verbessert. Die Kirchenpolitik des Kaisers galt allgemein als seine persönlichste Leistung, man nannte und nennt sie heute noch „Josephinismus“. Tatsächlich hatte aber der Prozeß der Unterordnung der Kirche unter den Staat und die Eindämmung des päpstlichen Einflusses schon unter Maria Theresia begonnen - wie auch nicht wenige andere „josephinische“ Reformen (besonders die Maßnahmen zur Hebung der Lage der Bauernschaft) unter der Kaiserin angebahnt worden waren. Ein echter Widerstreit zwischen Mutter und Sohn bestand fast nur im Hinblick darauf, wie der Staat für die Moral der Staatsbewohner zu sorgen habe; die Mutter war extrem sittenstreng, der Sohn eher permissiv. In der Kirchenpolitik (wie auch in der Bauernfrage) lagen die Gegensätze hauptsächlich darin, daß Maria Theresia bedachtsam, J. aber schnell und radikal Vorgehen wollte - und daß die Kaiserin die Lösung sich aufdrängender Probleme von Fall zu Fall ins Auge faßte, während für J. jede Einzelreform stets Element seines „Systems“, eines „totalen“ Planes war. J. ließ sich in Böhmen und in Ungarn nicht krönen, um keine ständischen Vorrechte beeiden zu müssen; Privilegien, Ungleichheit der Rechte der Bürger widersprachen seiner Staatsvorstellung. Seine Bemühungen um die Beschneidung ständischer „Freiheiten“ stießen aber besonders in den österreichischen Niederlanden und im Königreich Ungarn auf erhebliche Gegnerschaft. Zunächst setzte sich der Kaiser über die Proteste hinweg. 1784 ließ er die den Magyaren heilige Stephanskrone in die Wiener Schatzkammer bringen, anstatt des althergebrachten Lateins bestimmte er Deutsch zur Amtssprache des Königreiches, und er ordnete eine Volks- und Hauszählung in Ungarn an, wobei Adelige nicht anders erfaßt wurden als die unedle Bevölkerung. Nur ein Teil der an Zahl geringen magyarischen Intelligenz und das hörige Landvolk, das von den bauernfreundlichen Anordnungen J.s Kunde erhalten hatte, begeisterten sich für den Kaiser. Als aber walachische Bauern in Siebenbürgen 1784 „im Namen des Kaisers“ Rechte forderten und sich gegen die ungarischen Gutsherren erhoben, ließ J. die Rebellion durch kaiserliches Militär unterdrücken. Allerdings traf er nach der Niederwerfung des Aufstandes Anordnungen zur Durchsetzung der (in den Erbländern bereits verwirklichten) agrarpolitischen Reformen auch in Ungarn und in Siebenbürgen. Die Proteste gegen die kaiserlichen Maßnahmen gingen von den adeligen Komitats- versammlungen aus. 1785 beseitigte J. die Komitatseinteilung, das Staatsgebiet wurde in - jeweils mehrere Komitate umfassende - Bezirke aufgeteilt, an deren Spitze vom Kaiser ernannte Kommissare gestellt wurden. 1786 ordnete J. die allgemeine Landvermessung an; sie sollte als Grundlage für eine künftige neue Bodensteuer dienen. Die Adeligen sahen in der Vermessung zu Recht den vorletzten Schritt zur Auslöschung ihres wichtigsten Privilegs, der Steuerfreiheit. Die ersten außenpolitischen Bemühungen J.s als Alleinherrscher galten 1780 Verhandlungen mit der Zarin Katharina II., die im folgenden Jahr zu einem österreichischrussischen Geheimvertrag führten; es handelte sich im Grunde um ein Verteidigungsbündnis, Kaiser und Zarin hatten aber auf weite Sicht die Aufteilung des Osmanischen Reiches im Auge. Dann betrieb J. einen abenteuerlichen Plan, den Erwerb Altbayerns im Tausch gegen die österreichischen Niederlande; auch dieser Versuch wurde, 1785, von Friedrich von Preußen durchkreuzt. Schließlich verstrickte sich J. in den Türkenkrieg Rußlands. Obwohl Österreich vertraglich nur zur Entsendung einer Hilfsarmee verpflichtet gewesen wäre, trat es 1787 als kriegführende Hauptmacht in die Kämpfe ein. Der Feldzug verlief anfangs glücklos, der Kaiser mußte vom Kriegsschauplatz schwerkrank nach Wien zurückkehren, und im Krieg wurden die Machtmittel vertan, ohne die die inneren Widersacher des josephinischen Reformwerks nicht niedergehalten werden konnten. Daran änderten späte militärische Erfolge (die Eroberung von Belgrad am 8. Oktober 1789 und Siege in Serbien) nichts mehr. Mit den Rückschlägen im Türkenkrieg kam im Reich der Stephanskrone - von Preußen kräftig gefördert - der „nationale Widerstand“ auf. Ende 1788 begannen die Komitatsversammlungen, vorerst noch „alleruntertänigst“, die „Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände“ zu erbitten; im Laufe des Jahres 1789 wurde der Ton der Adressen schärfer, drohender. Ein Aufstand der Ungarn schien möglich, die Truppen des Kaisers erlitten Ende Oktober eine Niederlage durch die rebellierenden Belgier, Preußen und Polen ließen Militär aufmarschieren; der Bestand des Gesamtstaates war in Gefahr. Angesichts dieser Bedrohung rang sich der tödlich erkrankte Kaiser zum taktischen Rückzug gegenüber dem ungarischen Adel durch. Mit Datum des 28. Januar 1790 verkündete er eine Resolution, in der er die „Rückführung“ von Verwaltung und Rechtspflege in Ungarn auf den Stand von 1780 anordnete und die Heimsendung der Stephanskrone versprach. Er verfügte aber auch, daß die Gesetze über die religiöse Toleranz, ferner die Edikte über die Regulierung der Pfarreien, über die untertänigen Bauern und deren Behandlung sowie über das Verhältnis der Bauern zu den Gutsherren in Kraft zu bleiben hatten; die Reformen, die den Kern seines Systems bedeuteten, sollten nicht angerührt werden. J. wollte Zeit gewinnen, er glaubte nicht, daß sein Reformwerk endgültig gescheitert wäre, er hoffte, es nach dem Krieg trotz der, wie er sagte, erschreckenden Undankbarkeit seiner Völker erneuern zu können. Aber er hatte nur noch drei Wochen zu leben.
 Auch wenn er keine Feldherrngaben besaß, auch wenn seine außenpolitischen Schachzüge und seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen von zweifelhaftem Wert gewesen sind, schuf J. lange Fortwirkendes. Er war ein Genie der Staatsverwaltung. Er war es, der den entscheidenden Angriff auf das altertümliche ständische Staatswesen anführte, den modernen Geist des 18. Jh.s, auch auf sozialpolitischem Gebiet, in seine Länder einströmen ließ und eine sein gesamtes Herrschaftsgebiet umfassende staatliche Organisation und ein dem Gedanken des Einheitsstaates verpflichtetes übernationales Beamtentum begründete. Wenn der Vielvölkerstaat sich in den Stürmen der napoleonischen Zeit behaupten und bis 1918 überleben konnte, war dies nicht zuletzt der josephinischen Staatsverwaltungsreform zuzuschreiben.

Literatur

Marczali, Henrik: Magyarország II. József korában. 3 Bde. Budapest 1885/88(2).
Mitrofanov, Paul von: Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit. 2 Bde. Wien, Leipzig 1910.
Walter, Friedrich: Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung in der Zeit Maria Theresias. Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung 1780-1848. Wien 1938/50. = Die österreichische Zentralverwaltung. Hrsg. Heinrich Kretschmayr. II. Abt. Bd 1/1. 1/2. (Aktenstücke dazu hrsg. Friedrich Walter, Wien 1934/50. = ebd. Bd 3. 4.).
Winter, Eduard: Der Josefinismus und seine Geschichte. Brünn 1943.
Valjavec, Fritz: Der Josephinismus. Wien 1945(2).
Sashegyi, Oskar: Zensur und Geistesfreiheit unter Joseph II. Budapest 1948.
Maaß, Ferdinand: Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte in Österreich 1760-1850. 5 Bde. Wien 1950/61.
Fejtö, François: Joseph II. Kaiser und Revolutionär. Stuttgart 1956.
Bradler-Rottmann, Elisabeth: Die Reformen Kaiser Josephs II. Göppingen 1973.

Verfasser

Denis Silagi (GND: 1032871083)

GND: 118558404

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118558404.html


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Empfohlene Zitierweise: Denis Silagi, Joseph II., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 293-296 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1055, abgerufen am: (Abrufdatum)

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