Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Dobrogeanu-Gherea, Constantin

Dobrogeanu-Gherea, Constantin (eigentlich Constantin Cass; auch Michail Nikitič Katz und Solomon Katz sind belegt), rumänischer marxistischer Philosoph, Kunsttheoretiker und Literaturkritiker, *Slavjanka (Bezirk Ekaterinoslav, Ukraine) 21.05.1855, † Bukarest 7.05.1920.

Leben

D. - Nachkomme einer ukrainisch-jüdischen Familie - studierte in Charkow, wo er wiederholt wegen revolutionärer Umtriebe in Verbindung mit Narodniki-orientierten Studentengruppen verhaftet wurde. 1875 flüchtete er nach Rumänien und nahm hier alsbald Verbindung mit russischen Emigrantenkreisen auf. In den ersten Monaten bestritt er seinen Lebensunterhalt als Gelegenheitsarbeiter in Jassy. 1877 lebte er in Brăila unter dem Namen eines amerikanischen Staatsangehörigen (Robert Jinks) und setzte unter dieser Tarnung seine konspirative Tätigkeit gegen das zaristische Regime fort. Im selben Jahr geriet er in Galatz in eine Falle des russischen Geheimdienstes, wurde entführt und nach Rußland verschleppt. Die nächsten Monate verbrachte er in den Gefängnissen von Odessa, Kursk, Orel, Tula, Moskau, St. Petersburg und Petropawlowsk. Etwa ein Jahr nach seiner Entführung gelang es ihm erneut, nach Rumänien zu flüchten, diesmal allerdings über Archangelsk, London, Paris und Wien. Nach einem kürzeren Aufenthalt in Bukarest ließ er sich in Ploeşti nieder, wo er 1882 die Bahnhofsrestauration pachtete. Von hier aus unterhielt er rege Kontakte zu vielen namhaften rumänischen Literaten und Intellektuellen.
In den achtziger Jahren nahm D. starken Anteil an der Organisierung der rumänischen Sozialdemokratie, die damals noch in ihren Anfängen steckte. Er gehörte zusammen mit Nicolae Zubcu-Codreanu (1850-1878) und dem aus Rußland emigrierten Nicolae Russel (1850-1930) der Leitung eines geheimen revolutionären Zirkels in Bukarest an und setzte sich in zahlreichen Beiträgen in den linksgerichteten Publikationen „Contemporanul“, „Revista Socială“, „Emanciparea“, „Critica Socială“, „Literatură şi Ştiinţă“, „Lumea nouă literară şi ştiinţifică“ u. a., vor allem aber in größeren theoretischen Arbeiten entschlossen für die Popularisierung des Marxismus in Rumänien ein. Seine wichtigsten ideologischen Werke, die er z. T. unter den Pseudonymen „Ion Gherea“ und „Caius Grahus“ veröffentlichte, sind die in Bukarest erschienenen Bücher: „Robia şi socializmul“ (Die Sklaverei und der Sozialismus, 1884), „Karl Marx şi economiştii noştri“ (Karl Marx und unsere Nationalökonomen, 1884), „Ce vor socialiştii români“ (Was wollen die rumänischen Sozialisten, 1886), „Concepţia materialistă a istoriei“ (Die materialistische Geschichtsauffassung, 1892), „Anarhia cugetării“ (Die Anarchie des Denkens, 1892), „Din ideile fundamentale ale socialismului ştiinţific“ (Aus den grundlegenden Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus, 1906), „Neoiobăgia“ (Die neue Leibeigenschaft, 1910) und „Socialismul în ţările înapoiate“ (Der Sozialismus in den rückständigen Ländern, 1911). Die meisten seiner marxistischen Auslegungen, vor allem aber seine Vorstellung, daß Rumänien noch nicht das kapitalistische Entwicklungsstadium erreicht habe, wodurch zunächst das noch schwache Bürgertum die ihm entsprechenden wirtschaftlichen Reformen durchzuführen brauche, wurden vom 5. Kongreß der „Rumänischen Kommunistischen Partei“ im Jahre 1931 scharf verurteilt.
In der Kunsttheorie und Literaturkritik war D. überzeugter Verfechter der engagierten Kunst, wodurch er in Gegensatz zu Titu Maiorescu geriet, der sich leidenschaftlich für eine ideologiefreie Kunst und Literatur einsetzte. Dem sozialen Faktor in Kunst und Literatur maß D. folgerichtig eine weitaus größere Bedeutung bei als den rein ästhetischen Erwägungen. Seine wichtigsten kunsttheoretischen und literaturkritischen Werke sind: „Asupra criticei“ (Über die Kritik, 1890), „Arta pentru artă şi arta cu tendinţă“ (Kunst für Kunst und engagierte Kunst, 1894), „Materialismul economic şi literatura“ (Der ökonomische Materialismus und die Literatur, 1896), „Tendenţionalismul şi tezismul în artă“ (Die Tendenz und die Ideologie in der Kunst, 1890), „Personalitatea şi morala în artă“ (Die Persönlichkeit und die Moral in der Kunst, 1891), „Artiştii cetăţeni“ (Die Bürgerkünstler, 1891), „Cauza pesimismului în literatură şi viaţă“ (Die Ursache des Pessimismus in der Literatur und im Leben, 1891) und „Idealurile sociale şi arta“ (Die sozialen Ideale und die Kunst, 1893-1894). Außerdem verfaßte D. einige monographische Untersuchungen über namhafte zeitgenössische Schriftsteller und Dichter. Seine literaturkritischen Arbeiten wurden unter dem Titel „Studii critice“ in mehreren Sammelbänden veröffentlicht (1890, 1891 und 1897 sowie postum 1925 und 1927).

Literatur

Haupt, Gheorghe: Ȋnceputul activităţii revoluţionare a lui C. Dobrogeanu-Gherea. In: Studii 10 (1957) 3, 61-84.
Hurezeanu, Damian: Gîndirea lui C. Dobrogeanu-Gherea în „Neoiobăgia“. In: An. Ist. 16 (1970) 2, 64-79.
Ders.: C. Dobrogeanu-Gherea. Bucureşti 1973.

Verfasser

Dionisie Ghermani (GND: 118893238)


GND: 129698636

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/129698636

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Empfohlene Zitierweise: Dionisie Ghermani, Dobrogeanu-Gherea, Constantin, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 414-415 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=741, abgerufen am: (Abrufdatum)

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