Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Draga, Nexhip

Draga, Nexhip, albanischer Politiker, * Kosovska Mitrovica um 1851, † Wien 21. VII. 1921.

Leben

D.s Familie gehörte zum Stamm der Këlmendi. Sein Großvater Ali Ferhat Bey stiftete eine noch heute existierende Moschee in Novi Pazar. Sein Vater Ali Pascha D., der den Paschatitel wegen seiner Verdienste im russisch-türkischen Krieg 1876/77 erhalten hatte, war Herr über 5000 Hektar Land bei Mojstir im Sandschak (d. h. Novi Pazar). Er gehörte dann der in der Liga von Prizren organisierten albanischen Nationalbewegung an, trennte sich aber von ihr, als sich ein völliger Bruch mit der Pforte abzeichnete. Als Mušr (Marschall) Ibrahim Derviş Pascha gegen die Truppen der Liga ins Feld zog, ergab er sich ihm in Ferizović (Uroševac) und wurde, zusammen mit vielen Führern der albanischen Nationalbewegung, nach Anatolien in die Verbannung geschickt.
D. besuchte das Gymnasium (idadiye) in Veles (Köprülü) und dann in Istanbul die Hochschule, die zur Ausbildung des Beamtennachwuchses bestimmt war (mülkiye). Zum Studium der französischen Sprache weilte er einige Zeit in Paris. Zu politischer Aktivität wurde D. durch Hasan Prishtina angeregt, den er 1907, noch als Student, kennenlernte. Beide bemühten sich fortan gemeinsam, zunächst die Autonomie, dann die Unabhängigkeit für Albanien zu erlangen. Eine Zeitlang amtierte D. als Kaymakam (Bürgermeister) in Novi Pazar. Nach der jungtürkischen Revolution wurde D. bei den Parlamentswahlen vom Dezember 1908 zum Abgeordneten von Skopje gewählt. Bereits zu Beginn der parlamentarischen Tätigkeit geriet D. zusammen mit der Gruppe von albanischen Abgeordneten, an deren Spitze Ismail Kemal Vlora, Hasan Prishtina, D. und Shahin Kolonja standen, in Opposition zu den Jungtürken. Zusammen mit der angeblich liberalen Partei „Ahrar“, die ebenfalls gegen das Komitee für „Einheit und Fortschritt“ (Ittihad-ve terakki) wirkte, in Wirklichkeit aber konservative Ziele verfolgte, traten D. und seine politischen Freunde für eine Dezentralisierung des Reiches ein. Nach dem Kongreß von Monastir (14.-22.11.1908), auf dem das lateinische Alphabet der albanischen Schriftsprache zugrunde gelegt worden war - gegen den Widerstand konservativer albanischer Kreise, die für das arabische Alphabet eintraten und von der türkischen Regierung unterstützt wurden - gehörte D. zu jenen albanischen Parlamentsabgeordneten, die in der Presse und in Petitionen an die Regierung für das lateinische Alphabet eintraten und sich jegliche Einmischung in eine rein albanische Angelegenheit, wie es die Alphabetfrage war, verbaten (s. „Tanin“ vom 24.1. 1910). Als Anfang 1909 im Kosovo ein Aufstand ausbrach und Cavid Pascha zu dessen Befriedung ausgeschickt wurde, kritisierte D. (in zeitgenössischen türkischen Quellen: Üsküp Meb’usu Mitroviçeli Mehmed Necib) die Maßnahmen der Regierung, die das Parlament nicht ausreichend über die Lage im Wilajet Kosovo informiert hatte. Ende 1911 gründete D. zusammen mit Hasan Prishtina ein Komitee, das die Vorbereitung eines neuen albanischen Aufstandes im Kosovogebiet zum Ziel hatte. Im Winter 1911/12 kam es zur Bildung von lokalen Filialen dieses Komitees im Kosovo. Auf Initiative D.s und Hasan Prishtinas fand vom 21. bis 25. Mai 1912 in Junik (nahe Djakovica) eine Albanerversammlung statt, an der auch Bajram Curri und Isa Buletini teilnahmen. Das Memorandum, das diese Versammlung an die Pforte und an die Großmächte richtete, forderte die Autonomie Albaniens, die Einführung des Albanischen als Unterrichtssprache und die Festlegung der albanischen Grenzen. Nach Ausbruch des ersten Balkankrieges wurde in Skopje ein „Komiteti i shpetimit“ (Rettungskomitee) gegründet, an dessen Spitze neben D. Hasan Prishtina und Bajram Curri standen. Dieses Komitee richtete eine Proklamation an die Großmächte, in der mitgeteilt wurde, daß die Albaner zu den Waffen greifen werden, allerdings nicht zur Verteidigung des Osmanischen Reiches, sondern ihres eigenen Territoriums. Das rasche Vordringen der serbischen Truppen im Kosovogebiet führte aber dazu, daß es zu keiner nennenswerten Aktivität des Komitees kam. Ende Oktober 1912 wurde D. in Belgrad interniert, wo er bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges blieb. Nach dem Sieg der Mittelmächte über Serbien kehrte D. nach Kosovska Mitrovica zurück; die Stadt gehörte damals zur österreichischen Besatzungszone. Während dieser Zeit war sein Bruder Ferhat Gemeindevorstand von Mitrovica. Nach der Proklamierung des „Königreiches Serbien, Kroatien und Slowenien“ wandte sich D. wieder dem politischen Leben zu. Dabei kam ihm zustatten, daß er bei der albanischen Bevölkerung ein hohes Ansehen genoß und auch, daß er finanziell unabhängig war (außer einem Landgut besaß er ein Sägewerk bei Kosovska Mitrovica). Zusammen mit Kenan Zija aus Bitolj gründete er im August 1919 eine Organisation der Muslime aus dem sogenannten „Süd-“ oder „Altserbien“ namens „Džemijet“ (türkisch Cemiyet, albanisch Xhemijet), die in Kosovo, Mazedonien und im Sandschak ihre Anhängerschaft hatte. In den Parlamentswahlen von 1920 erhielt die „Džemijet“ 8 Sitze. Die Regierung Nikola Pašić suchte ein gutes Einvernehmen mit der „Džemijet“, um sich die Mehrheit bei der Abstimmung über die neue Verfassung zu sichern. In der ersten Hälfte des Monats April 1921 reiste D. nach Belgrad und erreichte, daß sich noch 12 weitere muslimische Abgeordnete der „Džemijet“ anschlossen. Zwischen dem 27. und 28. Juni, am Vorabend der Verkündung der Verfassung, kam es zwischen Pašić, der große Zugeständnisse, vor allem in der Frage der Agrarreform, gemacht hatte, und der Partei D.s zur Verständigung. Die Nichteinlösung der Versprechungen der Regierung sollte D. nicht mehr erleben; er starb kurz nach der Übereinkunft mit Pašić in Wien während einer Halskrebsoperation.
Nach D.s Tod übernahm sein Bruder Ferhat (1873-1945) die Leitung der „Džemijet“. Er wurde zum populärsten Politiker der Albaner Jugoslawiens zwischen den beiden Weltkriegen. In den Parlamentswahlen von 1923 erhielt seine Partei 14 Sitze. Die „Džemijet“ forderte jetzt von der Regierung eine größere Autonomie für das Kosovogebiet, die Beendigung der Bedrückung der muslimischen Bevölkerung im Süden des Königreiches, die Rückgabe der im Zuge der Agrarreform enteigneten Ländereien, die Aufnahme von dem Grad ihrer Bildung nach geeigneten Muslimen aus dem Süden in den Verwaltungsapparat und die Einführung des Albanisch-Unterrichtes in den Schulen (anstelle der Religionslehre). Wegen dieser Forderungen führte Ferhat D. zwei Gespräche mit Pašić in Belgrad und in Skopje. Als es zu keiner Einigung kam und Ferhat D.s Verlangen zurückgewiesen wurde, gingen er und die übrigen Abgeordneten der „Džemijet“ zur Opposition über und betrieben den Sturz der Regierung Pašić. Von Regierungsseite begann man daraufhin mit einer Kampagne gegen die „Džemijet“, die die Liquidierung dieser Partei zum Ziele hatte. Am Vorabend der Wahlen von 1925 wurde Ferhat D. verhaftet und wegen angeblicher Verbindungen zu den „Kačaci“ (albanischen Banden in Mazedonien und Kosovo) zu 100 Jahren Zwangsarbeit verurteilt; diese Strafe wurde dann auf 20 Jahre abgemildert und etwas später wurde Ferhat D. begnadigt.
Nach der Verurteilung ihres Führers wurde die „Džemijet“ verboten und viele ihrer führenden Mitglieder verhaftet oder heimlich umgebracht; das Organ der Partei „Hak“ (Die Wahrheit), das in türkischer und serbischer Sprache in Skopje herauskam, mußte ebenfalls sein Erscheinen einstellen.

Literatur

Čulinović, Ferdo: Jugoslavia izmedju dva rata. Zagreb 1961.
Rahimi, Shukri: Vilajeti i Kosovës 1878-1912. Prishtinë 1969.
Kaleshi, Hasan: Disa aspekte te luftës për alfabetin shqip në Stamboll. In: Gjurmime albanologjike (1969) 1, 77-117. (Die biographischen Angaben beruhen hauptsächlich auf den mündlichen Mitteilungen des Schwagers von D., Faik Račak, aus Prishtina.)

Verfasser

Hasan Kaleshi (GND: 1084144948)


GND: 1119359678

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/1119359678

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Empfohlene Zitierweise: Hasan Kaleshi, Draga, Nexhip, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 424-426 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=750, abgerufen am: (Abrufdatum)

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