Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Friedjung, Heinrich
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Friedjung, Heinrich

Friedjung, Heinrich, österreichischer Historiker, * Roštín (Mähren) 18.1. 1851, † Wien 14.07.1920, aus einer mährischen jüdischen Kaufmannsfamilie, die 1857 nach Wien übersiedelte.

Leben

Nach dem Besuch des Akademischen und des Schottengymnasiums in Wien studierte F. in Prag, Wien (Theodor von Sickel) und Berlin (Theodor Mommsen, Leopold von Ranke) Geschichte. In der Zeit von 1873 bis 1879 unterrichtete F. Deutsch und Geschichte an der Wiener Handelsakademie und veröffentlichte 1877 sein Buch über den „Ausgleich mit Ungarn“, in dem er die dualistische Verfassung kritisierte. Nachdem F. wegen „unpatriotischer Äußerungen“ 1879 seine Stellung an der Handelsakademie aufgeben mußte, lebte er als freier Schriftsteller und setzte sich für eine stärkere Betonung deutsch-nationaler Grundsätze in der liberalen Partei ein. Der nationale Unterton in der Auseinandersetzung der demokratischen Kleinbürger mit dem Altliberalismus in Österreich manifestierte sich bei F. als deutsch-zentralistisches, zuerst auch antidualistisches Programm bei starker Hervorkehrung des deutsch-österreichischen Bündnisses; in diesem Sinn war F. auch 1880 an der Gründung des „Deutschen Schulvereins“ beteiligt. Zu Beginn der 80er Jahre gab F. seine Zusammenarbeit mit Georg von Schönerer auf, nachdem es zu Auseinandersetzungen über dessen antisemitisches Programm gekommen war. F. vertrat fortan sein deutschliberales Konzept in der von ihm in den Jahren 1883-1886 herausgegebenen „Deutschen Wochenschrift“, während die Autoren des „Linzer Programms“ (1882) nur seine sozialen und nationalen Ideen übernahmen und sie durch einen antisemitischen Zusatz ihres freiheitlichen Inhalts entfremdeten. Bei der Konstituierung des „Deutschen Klubs“ 1885, einer parlamentarischen Sammelbewegung deutschfreiheitlicher Politiker, war F. maßgeblich beteiligt. So übernahm er auch 1886 die Leitung des Kluborgans „Deutsche Zeitung“, doch mußte er bereits im folgenden Jahr, bekämpft von der antisemitischen Opposition, seine Redaktionsleitung aufgeben.
Nach vorübergehender Mitarbeit im Wiener Gemeinderat (1891-1895) wandte sich F., der sich dem von ihm früher bekämpften Altliberalismus wieder näherte, der Geschichtsforschung zu, wobei er die großen Themen seiner politischen Überzeugung zum Untersuchungsgegenstand machte: in seinem „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“ (Stuttgart, Berlin 1897) war es das deutsch-österreichische Bündnis, in „Österreich von 1848 bis 1860“ (Berlin 1908) die zentralistisch-deutsche Staatsgewalt sowie sein staatsinterventionistisches Sozialprogramm. Nun wandte sich F. auch von seinem antimagyarischen Konzept ab und engagierte sich bei der Zurückweisung der südslawischen politischen Aspirationen. Im Jahre 1909 veröffentlichte er - wie sich später herausstellte - gefälschte „Aktenstücke zur großserbischen Bewegung in Österreich-Ungarn“, an deren Echtheit F. nicht zweifelte, was ihm einen vielbeachteten politischen Prozeß einbrachte. F.s imperialistische Gesinnung erlebte im Weltkrieg einen Höhepunkt, als er 1915 mit Gleichgesinnten die „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“ herausgab, eine Propagandaschrift für jene Mitteleuropapläne, die er schon bei Karl Ludwig von Bruck bewunderte: Zentralismus, deutsche Staatssprache in Österreich, Sonderstellung von Kroatien und Slawonien sowie der polnischen und ukrainischen Reichsteile und der spätere Einschluß aller südslawischen Länder sind die wichtigsten Punkte der Schrift. Wie seinen früheren politischen Konzepten widmete F. auch seinen imperialistischen Vorstellungen eine wissenschaftliche Untersuchung: „Das Zeitalter des Imperialismus 1884-1914“ (3 Bde. Berlin 1919-1922); die vollständige Veröffentlichung dieses Werkes erlebte F. nicht mehr. Es blieb ihm erspart, die politischen Auswirkungen jener imperialistischen und - trotz gegenteiliger Behauptungen - bereits antiliberalen bürgerlichen Konzeptionen zu erleben, die er selbst durch Jahrzehnte propagiert hatte.
Von F.s umfangreichen Veröffentlichungen sind noch zu erwähnen: „Benedeks nachgelassene Papiere“ (Leipzig 1901), „Der Krimkrieg und die österreichische Politik“ (Stuttgart, Berlin 1907), „Historische Aufsätze“ (Stuttgart, Berlin 1911).

Literatur

Seton-Watson, Robert William: The Southern Slav Question and the Habsburg Monarchy. London 1911. (Neudr. New York 1969.)
Srbik, Heinrich von: Heinrich Friedjung. In: Dt. Biogr. Jb. 2 (1928) 535-545.
Graf, Franz: Heinrich Friedjung und die südslawische Frage. (Diss.) Wien 1950.
Moser, Jonny: Georg Ritter von Schönerer und Heinrich Friedjung. (Diss.) Wien 1962.

Verfasser

H. Haas (GND: 116752769)

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Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119480700.html


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Empfohlene Zitierweise: H. Haas, Friedjung, Heinrich, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 546-547 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=838, abgerufen am: (Abrufdatum)

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