Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Gradaščević, Husein-kapetan
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Gradaščević, Husein-kapetan

Gradaščević, Husein-kapetan, Wesir von Bosnien, Führer der bosnischen Opposition gegen die Reformen Sultan Mahmuds II., * Gradačac 1802, † Istanbul 17.08.1834. G. entstammte einer Familie, in der das Amt des Bezirkshauptmanns (kapetan) von Gradačac erblich war und die zu Beginn des 19. Jh.s den fruchtbarsten Teil der bosnischen Posavina mit den Städten Gradačac, Gračanica und Brčko innehatte.

Leben

Im Februar 1831 wurde G. in Tuzla von unzufriedenen Bezirkshauptleuten Bosniens und der Herzegowina, die sich durch die angekündigten Europäisierungspläne der Zentralregierung, besonders durch das neue Militär- und Finanzregime, in ihren Sozial- und Machtstellungen, aber auch in ihrem Kulturerbe, bedroht fühlten, zum Führer einer weitreichenden Autonomiebewegung gewählt. G., auch „Zmaj od Bosne“ (Drache von Bosnien) genannt, wandte sich zunächst gegen die durch den Statthalter Ali Namik Pascha verkörperte osmanische Zentralgewalt. Am 26. März 1831 zerschlug er dessen Truppen. Dadurch schwang er sich praktisch zum Herrscher von Bosnien empor. Im Oktober desselben Jahres ließ er sich von den Bürgern Sarajevos zum Wesir von Bosnien wählen. Der Unterstützung der Mehrzahl der bosnischen Beys einerseits und der reichen Kaufmannsgilde andererseits bewußt, begab er sich in die Residenzstadt Travnik, um dort die Bestätigung durch den Sultan, zu dem Bosnien nach den Plänen der Bewegung in tributärem Verhältnis bleiben sollte, abzuwarten. Dieser weigerte sich aber, dem Wunsch der Rebellen nachzukommen. Mitte Juli 1831 kam es daraufhin zu militärischen Auseinandersetzungen auf dem Kosovo polje (Amselfeld). Dort besiegte die ca. 25 000 Mann zählende Truppe G.s die zahlenmäßig schwächeren Verbände des Großwesirs Reşid Pascha, der kurz zuvor G.s albanischem Verbündeten Mustafa Pascha Bushatlliu eine empfindliche Niederlage beigebracht hatte. Mangelndes diplomatisches Geschick brachte die Bosniaken indes um die Früchte ihres Sieges. Der vom verwundeten Großwesir versprochene Bestätigungsferman blieb aus. Dafür gelang es der Hohen Pforte, die schon beim Aufkommen der Autonomiebewegung sichtbar gewordene Kluft zwischen den im engeren Bosnien beheimateten Beys und der Mehrzahl ihrer Standesgenossen in der Herzegowina zu vertiefen. So konnte der neue von ihr ernannte Wesir Kara Mahmud Hamid Pascha mit Hilfe herzegowinischer Magnaten, namentlich des von Ivan Mažuranić besungenen Smail Aga Čengić und des späteren Wesirs der Herzegowina Ali Pascha Rizvanbegović, am 4. April 1832 G. entscheidend schlagen. Der wegen seiner Überheblichkeit von den meisten alten Kampfgenossen verlassene und auf dem Schlachtfeld endgültig besiegte G. mußte flüchten und in Österreich Asyl suchen. In der Grenzstadt Esseg wurde ihm und seiner Begleitung ein vorläufiges Domizil zugewiesen. Auf Metternichs Intervention durfte er aber schon im nächsten Jahr ins Osmanische Reich zurück. Nach einer Station in Belgrad gelangte er nach Istanbul, wo ihn in angegriffener Gesundheit im August 1834 - möglicherweise durch Vergiftung- der Tod ereilte. G. wurde in Eyüp begraben.
Die jugoslawische Geschichtsforschung pflegte in der Vergangenheit der von G. geführten Autonomiebewegung ihre nationale Bedeutung abzusprechen, da G. für die fast parallel mit seiner Wirksamkeit verlaufende serbische Aufstandsbewegung kein Verständnis aufzubringen vermochte. Mit Recht wurde der Bewegung auch ihr feudaler oder halbfeudaler Charakter vorgeworfen. Die seit März 1965 sich langsam anbahnende offizielle Anerkennung des Bosniakentums als eine eigene nationale Identität verleiht indessen dem Werk G.s eine eindeutige nationale Dimension. Es liegt auf der Hand, daß ein Zusammenwirken mit der serbischen Revolution in der damaligen Situation für die Bosniaken nicht möglich war, weil beide Bewegungen divergierende kulturelle und soziale Ausgangsstellungen hatten.
G. war im Umgang mit Andersgläubigen tolerant und verständnisvoll, dies im Gegensatz zur Mehrheit seiner Gesinnungsgenossen, die sich vom religiösen Fanatismus nicht befreien konnten. Der kroatische Schriftsteller Josip Eugen Tomić (1843-1906) hat ihm deshalb in einem Roman ein dankbares Andenken bewahrt (Zmaj od Bosne, 1879). G. ist auch Held vieler Volkslieder und Erzählungen sowie zweier Dramen (von Hamid Šahinović und Ahmed Muradbegović).
In Gradačac, dem Wohnsitz seiner Familie, errichtete G. eine Medresse, eine Kuppelmoschee und einen Uhrturm. Diese Bauten bilden heute noch ein sehenswertes architektonisches Ensemble. Auch die katholische Kirche wurde von G. gefördert. Als Administrator versagte er jedoch völlig, indem er der seit Jahrzehnten im Lande herrschenden Anarchie nicht Herr werden konnte.

Literatur

Pavlović, Drag[oljub] M.: Pokret u Bosni i u Albaniji protivu reforama Mahmuda II. Beograd 1913.
Tafro, Derviš: Der Aufstand Bosniens 1831. (Diss.) Wien 1918. [Handschr.]
Schor, Martin: Hussein-Kapetans Kampf um Bosniens Unabhängigkeit. (Diss.) Wien 1927. [Maschinenschr.]
Kreševljaković, Hamdija: Husein-kapetan Gradaščević - zmaj od Bosne. Sarajevo 1931. [SA aus dem Kalender „Napredak“ (Sarajevo) 22/1932, 105-131].
Ders.: Kapetanije u Bosni i Hercegovini. Sarajevo 1954 (mit Bibliographie).
Eren, Ahmed Cevad: Mahmud II zamanında Bosna-Hersek. Istanbul 1965.

Verfasser

Smail Balić (GND: 120362201)


GND: 119316293

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/119316293

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Empfohlene Zitierweise: Smail Balić, Gradaščević, Husein-kapetan, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 78-80 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=898, abgerufen am: (Abrufdatum)

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