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Koerber, Ernest von, österreichischer Staatsmann, * Trient 6.11.1850, † Guttenbrunn bei Wien 5.03.1919, aus einer Familie von kleinem österreichischen Briefadel, Sohn eines Gendarmerieoberstleutnants.
Leben
K. ergriff nach Besuch des Theresianums und Absolvierung des Rechtsstudiums an der Universität Wien die Verwaltungslaufbahn. Ab 1874 im Handelsministerium, 1887-1895 als Chef des Präsidialbüros, erlangte er innerhalb von 19 Jahren den Rang eines Sektionschefs. 1895 übernahm er die Leitung der Generaldirektion der Staatsbahnen, aber bereits wenige Monate später, am 17. Januar 1896, trat er unter Kasimir Graf Badeni als Sektionschef in das Innenministerium über; zugleich erhielt er die Würde eines Wirklichen Geheimen Rates. Am 1. Dezember 1897 wurde er schließlich in das Beamtenkabinett des Freiherrn Paul Gautsch von Frankenthurn als Handelsminister (bis 8.03.1898), am 2. Oktober 1899 in das Kabinett von Manfred Graf Clary-Aldringen als Innenminister berufen. Auf dem Höhepunkt der tschechisehen Obstruktion wurde er als relativ neutral geltender Angehöriger der Zentralbürokratie und als Wirtschaftsfachmann am 18. Januar 1900 mit den Ämtern des Ministerpräsidenten und des Innenministers (am 17. Oktober 1902 auch mit dem des Justizministers) betraut, um die Krise des konstitutionellen Systems zu überwinden. In den fünf Jahren seiner Regierung suchte K. dieses Ziel auf den verschiedensten Wegen zu erreichen: Zum einen in dem Versuch einer gesetzlichen Regelung der Sprachenfrage mit Hilfe der „Verständigungskonferenzen“ zwischen Tschechen und Deutschen von 1900 und 1903 bzw. eines eigenen Sprachengesetzentwurfes vom Mai 1900, zum andern nach dem Scheitern dieser ersten Versuche mit dem Plan, Obstruktion und Streit bürgerlich-nationalistischer Parteien durch einen Staatsstreich und Änderungen des Wahlrechtes sowie der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses bzw. des § 14 zu beenden und die Position der Regierung gegenüber dem Parlament wesentlich zu stärken. Aufgrund des Einspruches des ungarischen Ministerpräsidenten Kálmán Széll und von Außenminister Agenor Graf Gołuchowski im Kronrat vom 6. September 1900 wurde diese Absicht jedoch nicht verwirklicht. Dadurch wurde K. auf einen dritten Weg verwiesen, der - wie die Dauer des Kabinettes zeigt - relativ erfolgreich war: Mit Hilfe eines umfangreichen Investitionsprogrammes - dem Bau einer zweiten Eisenbahnlinie Wien-Triest bzw. einer direkten Bahnverbindung nach Bosnien und dem Bau von Kanalverbindungen zwischen Elbe und Moldau und zwischen Donau und Oder - sollten die materiellen Interessen der Bevölkerung an die Regierungspolitik gebunden und so der nationale Streit gedämpft werden. 1902 gelang es K. so, zum erstenmal nach vier Jahren wieder ein Budget ordnungsgemäß vom Parlament verabschieden zu lassen, womit aber der Höhepunkt des Erfolges erreicht war. Die wieder einsetzende tschechische Obstruktion, die Auseinandersetzung mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Tis za nach dem Sturze Szélls um die Fragen des Ausgleichs und der Armee sowie die Gegnerschaft Erzherzog Franz Ferdinands wegen seiner Ablehnung von Zwang gegen die „Los-von-Rom-Bewegung“ schwächten K.s Position zusehends. Als im Herbst 1904 die italienische Rechtsfakultät in Wilten bei Innsbruck eingerichtet wurde, entzogen die deutschen Parteien K. im Abgeordnetenhaus die notwendige Unterstützung, was am 31. Dezember 1904 zur Enthebung des Politikers von seinem Amte führte. In den folgenden Jahren trat K. in der Öffentlichkeit nur als Kurator-Stellvertreter der Akademie der Wissenschaften hervor (1904 bis 1918). Am 7. Februar 1915 wurde K. plötzlich mit dem Amte des gemeinsamen Finanzministers betraut. Nach der Ermordung des Grafen Stürgkh wurde er am 28. Oktober 1916 zum zweitenmal zum Ministerpräsidenten ernannt, doch stieß er nach dem Tode Kaiser Franz Josephs auf zunehmende Ablehnung bei Kaiser Karl und seinen Ratgebern. Der Konflikt entzündete sich vor allem um die Weigerung des Kaisers, den Eid auf die Verfassung zu leisten, und um die Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs mit Ungarn, wobei Graf Tisza als ungarischer Ministerpräsident auf die Abberufung K.s drängte. Angesichts der Aussichtslosigkeit der eigenen Position dankte K. am 14. Dezember 1916 ab und zog sich wieder ins Privatleben zurück. Er starb bald nach Kriegsende in einem Sanatorium bei Wien.
Literatur
Sieghart, Rudolf: Koerber. In: Dt. Biogr. Jb. Überleitungsband II: 1917-1920. 2 (1928) 426-434.
Ders.: Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht. Menschen, Völker, Probleme des Habsburgerreiches. Berlin 1932.
Charmatz, Richard: Lebensbilder aus der Geschichte Österreichs. Wien 1947.
Leitgeb, Herwig: Die Ministerpräsidentschaft Dr. Ernest von Koerbers in den Jahren 1900 bis 1904 und Oktober bis Dezember 1916. (Diss.) Wien 1951 (mit Bibliographie).
Novotny, Alexander: Ministerpräsident Ernest von Koerber (1850-1919). In: Hantsch, Hugo (Hrsg.): Gestalter der Geschicke Österreichs. Innsbruck, Wien, München 1962, 485-500.
Kielmannsegg, Erich Graf: Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker. Aufzeichnungen des k. k. Statthalters. Einl. Walter Goldinger. Wien 1966.
Ableitinger, Alfred: Ernest von Koerber und das Verfassungsproblem im Jahre 1900. Wien, Köln, Graz 1973 (mit Bibliographie).
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