Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Kapodistrias, Ioannis
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Kapodistrias, Ioannis

Kapodistrias, Ioannis, griechischer Staatsmann und Diplomat, * Korfu 11.11. 1776, † Nauplia 9.10. 1831, aus einer alten Adelsfamilie, deren Mitglieder 1373 aus Istrien (Capo dTstria) auf Korfu übersiedelt waren. 1477 wurde sie ins Libro d’Oro der Republik Venedig aufgenommen und 1685 wurde ihr der Grafentitel verliehen. K.’ Vater, Antonio-Maria K. (1741-1819), hatte unter der venezianischen Herrschaft bis 1797 hohe Staatsämter bekleidet und war in der neu ausgerufenen Republik der Ionischen Inseln (1800-1807) Mitglied des Regierungsausschusses (Senat).

Leben

 Nach Absolvierung der Primär- und Sekundärschule in seiner Heimat (1794) wurde K. an die Universität von Padua zum Medizinstudium geschickt. 1797 auf Korfu zurückgekehrt, betätigte er sich zunächst während der französischen Besatzungszeit (1797 bis 1799) als Arzt, und wurde 1800, nach Ausrufung der Republik, zum Sekretär des 40köpfigen gesetzgebenden „Consiglio“ ernannt. Am 27. April 1801 wurde er mit der Bekämpfung des Aufstandes gegen die Feudalherrschaft in Lixurion und Argostolion beauftragt, und nach monatelangen Bemühungen konnte er mit Hilfe der russischen Flotte den Aufstand ersticken. Nach dem Bruch zwischen Rußland und der Türkei 1806 organisierte K. im Auftrag der Ionischen Regierung die erfolgreiche Verteidigung der Insel Santa Maura (Leukas) gegen die Angriffspläne des Ali Pascha von Janina, des Verbündeten Napoleons. Nach der beim Frieden von Tilsit (7./9.07.1807) vereinbarten Abtretung der Ionischen Inseln an Frankreich lehnte es K. ab, ein Staatsamt unter französischer Herrschaft anzunehmen. Am 15. Mai 1808 wurde ihm wegen seiner Verdienste der Orden der Hl. Anna II. Klasse vom Zaren Alexander I. verliehen, und im Jahre 1809 kam er auf Einladung des Zaren nach St. Petersburg, wo er am 20. April desselben Jahres zum Staatsrat ernannt wurde. Am 1. August 1811 wurde er aus gesundheitlichen Gründen in die russische Botschaft in Wien als Botschaftssekretär versetzt. Da seine Berichte zur militärischen und politischen Situation auf dem Balkan beim Zaren auf Zustimmung stießen, wurde er nach der Unterzeichnung des Bukarester Vertrages (3.05.1812) als Leiter des diplomatischen Büros beim Befehlshaber der Donau-Armee, Admiral Pavel Vasilijevič Čičagov, nach Bukarest gesandt. Wegen seiner geschickten Handhabung der mit dem Schicksal der Serben, Walachen und Moldauer zusammenhängenden Fragen zugunsten der russischen Politik wurde K. am 8. November 1812 der Grad des „Staatsrates im Dienst“ verliehen. Während der militärischen Operationen der Donau-Armee gegen Napoleon folgte K. 1813 in Wolynien und Litauen bis zur Belagerung Thorns (8.-16.04.1813) dem Generalstab und zeichnete sich durch den Ausbau eines erfolgreichen Informationsnetzes aus, so daß er seine Stellung auch unter Čičagovs Nachfolger, General Michail Bogdanovič Barclay de Tolly, behalten konnte. Nach einer diplomatischen Tätigkeit in der Schweiz versuchte K. auf dem Wiener Kongreß (November 1814 bis Juni 1815) als diplomatischer Berater des Zaren vergeblich, Alexander 1. für die Errichtung einer unabhängigen Republik auf den Ionischen Inseln, die seit Juni 1814 von England besetzt waren, zu gewinnen. Nach dem Kongreß folgte er Alexander I. nach Paris, wo dieser K. trotz dessen Widerstandes gegen den von ihm abgefaßten Vertragstext der „Heiligen Allianz“ (26.09.1815) zum (zweiten) Staatssekretär (Minister) des Äußeren neben Graf Karl Nesselrode ernannte. Nach der Unterzeichnung der Pariser Verträge (20.11.1815), an deren Formulierung er entscheidend beteiligt gewesen war, begab sich K. nach St. Petersburg, wo er im Januar 1816 sein Amt auf nahm. Er war speziell mit der Handhabung der russischen Interessen in Bessarabien beauftragt. Sein Plan zur Kündigung des Bukarester Vertrages mit der Türkei und der Errichtung unabhängiger Staaten in der Moldau, der Walachei und in Serbien stieß beim Zaren auf Ablehnung. Seine Tätigkeit im Außenministerium zielte sonst auf die Erhaltung des Status quo in Europa nach dem Fall Napoleons und die Vorbeugung neuer „Unruhen“ ab. Ende 1816 - Anfang 1817 wurde das Verhältnis K.’ zum Zaren durch den Besuch eines griechischen Abenteurers in St. Petersburg, Nikolaos Galatis, auf die Probe gestellt, der angeblich im Namen der in Odessa befindlichen Führer der ebendort 1814 gegründeten revolutionären Geheimorganisation „Filiki Eteria“ ihm die Führung der Organisation anbot. K. offenbarte dem Zaren die Pläne des Galatis, der daraufhin in die Moldau abgeschoben wurde. Im Oktober 1818 begleiteten K. und Nesselrode den Zaren zum Aachener Kongreß. Im Auftrag Aleranders I. verfaßte K. die Dokumente, mit denen der Rückzug der alliierten Armeen aus Frankreich beschlossen wurde. Nach Beendigung des Kongresses begab sich K. nach einem kurzen Besuch seiner Heimat Korfu über Paris und London, wo er den englischen Außenminister Henry Robert Stewart Lord Castlereagh zu Maßnahmen für die ionischen Griechen erfolglos zu bewegen suchte, und Warschau, wo er Ende September 1819 den Zaren traf, nach St. Petersburg zurück. Im Januar 1820 lehnte K. es ab, die Führung der „Filiki Eteria“ zu übernehmen, die ihm deren Gesandter Emmanuil Xanthos angeboten hatte. Auf den Konferenzen in Troppau (Oktober-November 1820) und Laibach (Januar-Mai 1821) mußte er eine Niederlage hinnehmen. Metternichs (und Nesselrodes) harte Politik, untermauert durch die Nachricht vom inzwischen, im Februar 1821, ausgebrochenen Aufstand des Ipsilantis in der Moldau, stieß beim Zaren auf Zustimmung. K., der trotz seines Gegensatzes zum Aufstand kompromittiert war, wurde nach dem Scheitern eines neuen Versuchs (August 1821), den Zaren zur Kriegserklärung gegen die Türkei zu bewegen, im August 1822 „auf unbestimmte Zeit“ vom Dienst beurlaubt. Er zog sich nach Genf zurück, wo er die europäischen Philhellenen, allen voran den schweizerischen Bankier Jean Gabriel Eynard, zur Unterstützung des griechischen Freiheitskampfes animierte. Am 14. (2.) April 1827 wählte ihn die in Troizen auf der Peloponnes tagende 3. Nationalversammlung zum ersten Präsidenten (Regenten) des noch im Krieg befindlichen Griechenland auf sieben Jahre. K. kam am 18. Januar 1828 in der provisorischen Hauptstadt Nauplia an und löste das provisorische Triumvirat in der Regierungsgewalt ab. Zunächst suspendierte er die von der 3. Nationalversammlung verabschiedete demokratische Verfassung, auf die er den Eid geleistet hatte, und ersetzte das Organ der Legislative (Vuli) durch einen von ihm ernannten „Staatsrat“ (Panellinion) aus 27 Mitgliedern (darunter sein Bruder Viaros) mit nur beratenden Funktionen.
 Die Finanzen des Staates suchte K. mit Anleihen bei den „Schutzmächten“, durch eine Reorganisierung des Steuersystems und durch Sparmaßnahmen zu sanieren. Die Gründung einer „Nationalen Börsenbank“ zur Auswertung des inneren Kapitals erwies sich allerdings als ein Fehlschlag. In der Innenpolitik zeichneten sich seine Bemühungen durch beträchtliche Erfolge aus: Er legte die Grundlagen zu einem - allerdings aristokratischen zur Modernisierung von Landwirtschaft, Lokalverwaltung, Justiz, Wissenschaft (Bibliothek, naturwissenschaftliches Museum), Verkehr und Post. Die Organisierung einer regulären Armee geht auf die Initiative des englischen Generals Richard Church und des Dimitrios Ipsilantis zurück. Die Bekämpfung und Ausrottung der Piraterie in der Ägäis war eine der ersten mit Erfolg durchgeführten Operationen. Die Fortsetzung des Kampfes auf dem Festland zielte auf die Schaffung eines status quo ab, wobei die griechischen Gebietsforderungen über die vom Londoner Protokoll vom 22. März 1827 festgesetzten Grenzen hinausgehen sollten. Die letzten Gefechte gegen die türkischen Streitkräfte auf Sterea Hellas führten Church (später der Bruder von K., Avgustinos) im Westen und Ipsilantis im Osten mit Erfolg (Endschlacht bei Petra in Böotien am 14.09.1829). Den Ausschlag zur Wandlung zugunsten Griechenlands hatten jedoch schon der Überfall der drei Großmächte auf die türkische Flotte vor Navarino (20.10. 1827), die Operationen des französischen Expeditionskorps unter dem General Nicolas-Joseph Maison (September 1828) und der Ausgang des russischtürkischen Krieges von 1828/29 gegeben. So spiegelten die neuen Londoner Protokolle vom 22. März 1829 und vom 3. Februar 1830, mit denen ein souveräner griechischer Staat mit einer Grenzlinie vom Golf von Arta bis zum Golf von Volos gegründet wurde, eher den Willen der Großmächte wider, als das diplomatische Geschick von K. In der Innenpolitik stieß K. auf immer größere Schwierigkeiten. Seine Manipulationen im Frühjahr 1829 bei den Wahlen zu der nach Argos zum 11. Juli 1829 einberu- fenen Nationalversammlung verhärteten die Opposition gegen ihn. Trotz kleiner Zugeständnisse (Ersetzung des Panellinion durch einen Senat, Gewährung einer schwachen Exekutive) behielt sich K. die Staatsgewalt vor. Zu den unzufriedenen Großgrundbesitzern, der Familie Mavromichalis auf Mani und Kunturiotis auf Hydra, gesellten sich nun gegen K. Politiker wie Alexandros Mavrokordatos und Spiridon Trikupis und Intellektuelle wie Alexandros Sutsos und Anastasios Polizoidis. Als K. den Aufstand auf Hydra zu brechen suchte, besetzte Andreas Miaulis zwei griechische Kriegsschiffe in Poros und setzte die Fregatte „Hellas“ in Brand (Juli 1831). Und als K. den Führer der Mavromichalis-¥a.mi\ie, Petro Bey, neun Monate lang ohne richterlichen Spruch in die Burg von Nauplia einsperrte, um einen Aufstand in Mani zu verhindern, wurde er von zwei Mitgliedern der Familie, Konstantinos und Georgios Mavromichalis, am 9. Oktober 1831 vor der St.-Spyridon-Kirche in Nauplia erschossen. K.’ Regierungspolitik in Griechenland war von seiner diplomatischen Laufbahn im Solde des Zaren vorbestimmt: Von seinen Gegnern, allen voran Metternich, wurde er zu Unrecht des „Liberalismus“ bezichtigt. Im Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen und der Nationalbewegungen vertrat er das von der Geschichte längst überholte Dogma des „aufgeklärten Despotismus“. Auch seine Landsleute haben ihn mißverstanden: Wahlrecht, einem elementaren Erziehungswesen, zur sozialen Fürsorge, seine „Vaterlandsliebe“ war in Wirklichkeit ein auf seine Heimat Korfu beschränkter Lokalpatriotismus. Feindlich eingestellt zur griechischen Revolution, nahm er sich erst dann ihrer an, als sie von anderen zum Erfolg geführt worden war. Seine Politik in Griechenland war diejenige eines wohlgesinnten Bürokraten. Aristokratisch erzogen und an demokratiefeindlichen Höfen gedient, wollte er zwar „alles für das Volk aber nichts durch das Volk tun“ (Mendelssohn-Bartholdy).

Literatur

Papadopoulos-Vrétos, André: Mémoires biographiques sur la vie du Comte Jean Capodistrias. 2 Bde. Paris 1837.
Bétant, E. A. (Hrsg.): Correspondence du Comte Jean Capodistrias. 4 Bde. Genève, Paris 1839.
Mendelssohn-Bartholdy, Karl: Graf Kapodistrias. Berlin 1864.
Kapodistrias, Ioannis: Mémoire (Aperçu sur ma carrière). In: Sbornik Russkogo Istoričeskogo Obščestva 3 (1868) 163-292 (=Aftoviografia I. Kapodistria. Hrsg. Michail Laskaris. Athen 1962, 1968(2)).
Despotopulos, Alexandros I.: O kivernitis Kapodistrias ke i apelefterosis tis Ellados. Athen 1954.
Kaldis, Peter: John Capodistrias and the Modern Greek State. Madison 1963.
Enepekidis, Polichronis: Rigas - Ipsilantis - Kapodistrias. Athen 1965, 177-255.
Crawley, Charles W.: John Capodistrias, unpublished Documents. Thessaloniki 1970.
Fleming, David C.: John Capodistrias and the Conference of London 1828-1831. Thessaloniki 1970.
Woodhouse, Chris M.: Capodistria: the Founder of Greek Independence. Oxford 1973.

Verfasser

Georg Veloudis (GND: 124116787)


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Empfohlene Zitierweise: Georg Veloudis, Kapodistrias, Ioannis, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 339-342 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1089, abgerufen am: (Abrufdatum)

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