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Leopold II., römisch-deutscher Kaiser und König von Ungarn 1790-1792, vorher als Peter Leopold I. Großherzog von Toskana 1765-1790, * Schönbrunn 5.05.1747, † Wien 1.03.1792, Sohn Kaiser Franz’ I. und Maria Theresias.
Leben
L. vermählte sich 1765 mit Maria Luisa von Bourbon-Spanien. Im selben Jahr übernahm er nach Kaiser Franz’ plötzlichem Tod die Regierung in Toskana. (Das Großherzogtum war dem Vater im Tausch gegen sein Stammland Lothringen zugefallen und wurde zur habsburgischen Sekundogenitur bestimmt.) Als überzeugter Anhänger der Naturrechtslehre schuf Großherzog L. in seinem Land in den 25 Jahren seiner Herrschaft ein Gemeinwesen, das die anderen Staaten der Epoche an Fortschrittlichkeit, Menschlichkeit und Friedfertigkeit weit übertraf. Nicht nur war L. unablässig bemüht, die Rechtstellung der nichtadeligen Städter und der Bauern zu verbessern, er steuerte sogar, seiner Zeit voraus, auf die konstitutionelle Monarchie zu. Anders als Kaiser Joseph II. versuchte L. stets, für seine Reformvorhaben im vorhinein öffentliches Verständnis zu wecken; seine Pläne waren oft radikaler als die Josephs, doch ging er behutsamer und zumeist auch erfolgreicher vor als der ältere Bruder. Nach Josephs Tod kehrte L. 1790 nach Wien zurück, um das österreichische Erbe anzutreten. Zunächst sah er sich gezwungen, auf Neuerungen zu verzichten, ja reformfeindliche Rückzieher zu machen: Er mußte die gegen Josephs ungestüme Maßnahmen anstürmenden, bereits den Fortbestand der Habsburger bedrohenden Ungarn und Belgier durch Zugeständnisse an ihre auf Wiederherstellung alter Zustände gerichteten Forderungen beschwichtigen. Dies brachte ihn um den Ruf des aufgeklärten Reformers, er wurde auch, zu Unrecht, vielfach als Feind des Fortschritts verschrien, obwohl er seine in der Naturrechtslehre wurzelnden Pläne nicht aufgegeben hatte. Südosteuropa rückte erst nach Josephs Tod in den Gesichtskreis L.s. Er führte Friedensgespräche mit der Hohen Pforte, um den Türkenkrieg, der seine militärischen Machtmittel band und damit seine politische Handlungsfähigkeit hemmte, zu beenden; und er leitete gegen den auch von Preußen geschürten Widerstand der Ungarn einen gewaltlosen Feldzug gleichzeitig an mehreren Fronten ein. Zwar gab er dem heftigsten Begehr der ungarischen Herren sogleich nach seiner Ankunft in Wien nach: Er berief ihren Reichstag (das erstemal seit Maria Theresias Zeiten) ein, und als die Versammlung am 8. Juni 1790 in Ofen zusammengetreten war, nahm er anfangs die mittlerweile schon auf die Entmachtung des Monarchen zielenden Ausfälle der ungarischen Fronde hin. Indessen arrangierte er sich aber im Juli mit Preußen, so daß die Ungarn ihrer auswärtigen Stütze verlustig wurden; am 4. August wurde in Sistowa (Svistov) der Friede mit Selim III. besiegelt; geheime Abgesandte L.s begannen mit ständefeindlicher Agitation unter den Städtern Ungarns und rüsteten sich zur Aufwiegelung der Bauern; schließlich bediente sich L. zur Einschüchterung des Ofner Reichstags auch der ersten Regungen gegen die magyarische Suprematie gerichteter nationaler Bewegungen im Stephansreich: Im September 1790 trat in Temeschwar eine aus Wien geförderte „illyrische Nationalversammlung“ zusammen, und der (schwerlich ohne Ermutigung durch leopoldinische Emissäre entstandene) „Supplex Libellus Valachorum“, die frühe Wortmeldung siebenbürgisch-rumänischen Volksbewußtseins, wurde am Wiener Hof entgegengenommen. So eingekreist brach der ungarische Widerstand zusammen, und L. ordnete daraufhin die Einstellung der verschiedenen innerungarischen Aktionen an. Er ließ sich am 9. Oktober 1790 in Frankfurt am Main zum Kaiser und erst danach, am 15. November, und zwar nicht in Ofen, sondern im Wien nahen Preßburg, zum König von Ungarn krönen. Nachdem die Gefahr im Südosten gebannt war, bereitete L. dem belgischen Aufruhr mit Waffengewalt ein Ende; mit der Besetzung Brüssels am 2. Dezember 1790 kehrte auch dort wieder die Ruhe ein. Nunmehr war der Weg frei für eine Innenpolitik der Reformen, in deren Verfolg L. einerseits in der Toskana bewährte Einrichtungen offen nach Österreich zu verpflanzen suchte, andererseits auf verborgenen Wegen in allen seinen Königreichen und Ländern auf den Abbau ständischer Vorrechte hinarbeitete. Dem seit der Preßburger Krönung weitgehend gezügelten ungarischen Reichstag kam L. insofern entgegen, als er den in Ofen versammelten Ständen die gesetzlich verankerte Bekräftigung der von Joseph II. mißachteten alten ungarischen Verfassung zubilligte. Aber die Pläne grundstürzender Veränderungen in Ungarn, die im Herbst 1790 nicht weiter vorangetrieben wurden, waren nur zeitweilig zurückgestellt. Anfang 1792 leitete L. in Ungarn neuerlich eine Unternehmung zum Zwecke einer bürger- und bauernfreundlichen Umwälzung ein; diesmal ging es ihm nicht um einen taktisch-tagespolitischen Schachzug, sondern um die Strategie der Erweckung der rechtlosen und rechtearmen Bevölkerungsschichten. Die Tragweite der französischen Ereignisse scheint L. unterschätzt zu haben; die ständefeindliche Revolution hielt er für gerechtfertigt, der antimonarchischen meinte er in seinen Ländern durch aufgeklärte Reformen Vorbeugen zu können, mit der Abschaffung des französischen Königtums dürfte er sich abgefunden haben. Eine bewaffnete Intervention in Frankreich wollte L. auch dann noch vermeiden, als er, drei Wochen vor seinem Tod, ein Verteidigungsbündnis mit Friedrich Wilhelm II. von Preußen schloß (7.02.1792) und eine scharfe Note gegen die Pariser Revolutionsregierung erließ. Was aber von L. als diplomatisches Manöver im Dienste einer Friedenspolitik konzipiert gewesen war, sollte unter dem Nachfolger, Franz II. (I.), zur Grundlage der Politik der Koalitionskriege werden. Nach L.s frühem Tod wurden die Vorarbeiten für die Verwirklichung seiner breit angelegten Reformpläne verschüttet. Nur in Ungarn kam es zu eigenartigen Spätfolgen der geheimen leopoldinischen Planung. Mit der Leitung der zweiten Ungarn- Unternehmung hatte L. den Ex-Franziskaner und ehemaligen Universitätsprofessor Ignaz Martinovics betraut; es war der geheime kaiserliche Auftrag, der Martinovics einen Weg beschreiten ließ, welcher ihn 1794 zur Anstiftung der sog. Verschwörung der ungarischen Jakobiner und 1795 aufs Schafott führte - eine Ereignisfolge, die als auslösendes Moment der „franziszeischen Reaktion“ in Ungarn gedeutet zu werden pflegt.
Literatur
Silagi, Denis: Ungarn und der geheime Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II. München 1961.
Wandruszka, Adam: Leopold II. 2 Bde. Wien 1963/65 (mit Bibliographie).
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