Princip, Gavrilo, bosnischer Revolutionär, * Gornji Obljaj (Grahovo Polje, Bosnien) 13.07.1894, † Theresienstadt (Terezín, Nordböhmen) 28.04.1918.
Leben
P. war der zweite Sohn des Kmeten Petar P., der dem im 18. Jh. aus Montenegro eingewanderten Stamm der Jovičevići entstammte, und der Maria Mičić. Aus der Familie waren unter türkischer wie österreichischer Herrschaft Polizisten und Milizionäre hervorgegangen. Nach Auflösung der Zadruga verarmte sie; nur gegen den Widerstand des Vaters erhielt P. eine Schulbildung. Zunächst für die militärische Ausbildung bestimmt, entschied sich P. für den Besuch der Handelsschule in Sarajevo, bestand 1910 die Aufnahmeprüfung am humanistischen Gymnasium in Tuzla und wechselte zum Jahresende ans Sarajevoer Gymnasium über. 1911 kam er in Berührung mit oppositionellen Gruppen der jungbosnischen Bewegung (Mlada Bosna), die sich gegen die österreichisch-ungarische Herrschaft, die Überfremdung des Landes und die durch die Ausbreitung der Marktwirtschaft und das Eindringen ungarischen und serbischen Kapitals rasch fortschreitende soziale Differenzierung auf dem Dorf wandte; die revolutionären Zirkel, die auch unter bosnischen Studenten in Wien, Prag und Zagreb entstanden, rezipierten Gedanken russischer Revolutionäre, Tomáš Garrigue Masaryks, Giuseppe Mazzinis sowie Jean Marie Guyaus und distanzierten sich immer mehr von nationalistischem und religiösem Fanatismus zugunsten einer jugoslawischen Orientierung. 1911 schloß sich P. dem von Ivo Andrić geleiteten Schülerzirkel „Srpsko-Hrvatska Napredna Organizacija“ (Serbokroatische Fortschrittsorganisation) an und wurde wegen der Teilnahme an regierungsfeindlichen Demonstrationen in Sarajevo (18./19.02.1912) von der Schule gewiesen. Im Juni 1912 trat er ins 1. Belgrader Gymnasium ein. Die Demütigung durch Major Vojislav Tankosić, Mitglied des Zentralkomitees der als „Crna ruka“ (Schwarze Hand) bekannten konspirativen Vereinigung „Ujedinjenje ili Smrt“ (Einheit oder Tod), der ihn am Vorabend der Balkankriege wegen seiner kleinen und schwächlichen Gestalt nicht in die irregulären serbischen Verbände aufnehmen wollte, stimulierte sein Bedürfnis, etwas Außerordentliches zu leisten. Am Grabe des Bogdan Žerajić, der aus Empörung über die Annexion Bosniens und der Herzegowina Kaiser Franz Joseph 1910 in Mostar ermorden wollte, stattdessen aber ein Attentat auf den Landeschef Marijan Varešanin verübte und sich anschließend das Leben nahm, schwor P., seinen Tod zu rächen. Nach seinem späteren Geständnis habe er dabei erstmals an ein Attentat gedacht. 1912 war schon ein Anschlag auf den Banus von Kroatien, Graf Slavko Cuvaj, wegen seines scharfen Kurses gegen die in den Wahlen 1911 siegreiche serbischkroatische Koalition, und gegen den Gouverneur von Dalmatien, Graf Mario Attems, verübt worden. 1913 folgte ein Attentat auf den neuen Banus, Baron Iván Skerlecz. Im Kontakt man anderen Revolutionären (Danilo Ilić, Nedeljko Čahrinović, Vladimir Gaćinović, Trifko Grabež) wurde er in seinem Vorsatz bestärkt, zumal die vom Landeschef General Oskar Potiorek am 2. Mai 1913 proklamierten außerordentlichen Maßnahmen (Suspendierung der Verfassung von 1910, Schließung der Hochschule Mostar) P. und andere bosnische Revolutionäre auch an einen Anschlag auf Potiorek denken ließen.
Im März 1914 verabredete er in Belgrad mit Čahrinović, Grabež und Milan Čiganović das Attentat auf den als Verfechter eines harten Kurses betrachteten Thronfolger Franz Ferdinand, der als „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“ Manöver des 15. und 16. Armeekorps südwestlich von Sarajevo beobachten wollte. Čiganović, der mit Vojislav Tankosić in Verbindung stand, beschaffte vier Revolver und sechs Bomben. Dank der Unterstützung durch Kontaktpersonen überschritten die Verschwörer heimlich die Grenze und trafen am 4. Juni in Sarajevo ein. Vergeblich versuchte jetzt Danilo Ilić aus Zweifeln an der Zweckmäßigkeit von Terrorakten, P. von seinem Vorhaben abzubringen.
Franz Ferdinand und seine Gemahlin, Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin, (seit 1909:) Herzogin von Hohenberg, trafen am Morgen des 28. Juni, den die Serben als Jahrestag der Ermordung Sultan Murads I. durch Milos Obilić nach dem Sieg der Türken über Fürst Lazar auf dem Amselfeld 1389 feiern, in Sarajevo ein und entgingen bei der Fahrt zum Gemeindehaus (Beledija) knapp einem Bombenattentat des Nedeljko Čahrinović. Abweichend vom Programm wollte Franz Ferdinand dann den bei dem Anschlag verwundeten Adjutanten Potioreks, Oberstleutnant Erik von Merizzi, im Militärhospital besuchen. Als der Fahrer des ersten Wagens der Kolonne versehentlich gemäß dem ursprünglichen Plan vom Appel-Quai in die Franz-Josef-Straße einbog und die Fahrt vor der Umkehr kurz unterbrochen wurde, hatte der dort wartende P. Gelegenheit, den Thronfolger und seine Gemahlin durch mehrere Schüsse tödlich zu verletzen.
Im Prozeß gegen die Verschwörer (12.-23.10. 1914) bezeichnete P. seine Tat als Tyrannenmord und bereute lediglich den Tod der Herzogin von Hohenberg; sein Fernziel sei die Zerstörung der Habsburgermonarchie gewesen, deren Politik die Interessen der Südslawen beeinträchtigt habe. P. bekannte sich, wie auch vor dem Attentat, zum Jugoslawismus. Im Unterschied zu anderen Angeklagten wurde P. während der Untersuchungshaft nicht gefoltert. Das Gericht verurteilte ihn zu 20 Jahren harter Zwangsarbeit unter verschärften Haftbedingungen.
P. wurde in das Gefängnis von Theresienstadt eingewiesen, wo er, bis 1916 ständig in Ketten, schwer erkankte, offenbar auch an einer Knochen-Tbc. Nach einem Selbstmordversuch (Januar 1916) lieferte man ihn am 7. April 1916 ins Spital ein, wo ihm ein Arm amputiert wurde. Nachdem der serbische Ministerpräsident Nikola Pašić vom Grenzübertritt der Verschwörergruppe, deren Ziele er im einzelnen nicht kannte, erfahren hatte, veranlaßte er Maßnahmen zur Unterbindung solcher Vorfälle. Die von Österreich-Ungarn zu Unrecht mit dem Attentat in Verbindung gebrachte serbisch-patriotische Geheimorganisation „Narodna Odbrana“ (Landesverteidigung) scheint durch Danilo Ilić versucht zu haben, den Anschlag zu verhindern.
Ungeklärt ist weiterhin die Frage, ob der Chef der revolutionären Geheimorganisation „Ujedinjenje ili Smrt“, Oberst Dragutin Dimitrijević-Apis, ebenfalls in diesem Sinne tätig wurde oder den Anschlag dieser oder einer anderen Gruppe wünschte, weil er sich von einer Zuspitzung der Beziehungen zwischen Serbien und Österreich-Ungarn Vorteile für seinen Kurs gegen die Regierung der Altradikalen des Nikola Pašić versprach. Hingegen halten die zahlreichen Vermutungen über österreichische, ungarische, deutsche, russische oder freimaurerische Hintermänner einer Analyse der zugänglichen Quellen nicht stand.
Die Ermordung Franz Ferdinands löste die Julikrise des Jahres 1914 aus, die am 23. Juli zum Ultimatum, am 28. Juli zur Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien und schließlich zum Ersten Weltkrieg führte. Noch vor seinem Ausbruch veranlaßte die Verwaltung in Bosnien, um die serbischen Zirkel und oppositionellen Gruppen zu zerschlagen, Massenverhaftungen und -aburteilungen von Serben; aus Kroaten und muslimischen Bosniern bestehende Schutzkorps taten sich in Serbenprogromen hervor, in denen viele Unschuldige umkamen.
Literatur
Obtužnica i obrazloženije protiv Gavrila Principa i drugova radi atentata Njeg. C. i Kr. visosti Prestolonasljednika Nadvojvode Franje Ferdinanda i Visoke Mu supruge. Sarajevo 1914.
Osuda Okružnog suda u Sarajevu po završenoj raspravi protiv Gavrila Principa i drugova, radi atentata Njeg. C. i Kr. visosti Prestolonasljednika Nadvojvode Franje Ferdinanda i Visoke Mu supruge. Sarajevo 1914.
Österreich-Ungarns Außenpolitik von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914: Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußern. Bd 8. Wien, Leipzig 1930.
Masleša, Veselin: Mlada Bosna. Beograd 1945.
Bogićević, Vojislav: Sarajevski atentat. Izvorne stenografske bilješke sa glavne rasprave protiv Gavrila Principa i drugova, održane u Sarajevu 1914 g. Sarajevo 1954.
Ljubibratić, Dragoslav: Gavrilo Princip. Beograd 1959.
Tršić, Nikola: Sarajevski atentat u svjetlu bibliografskih podataka. Beograd 1960.
Ljbibratić, Dragoslav: Mlada Bosna i sarajevski atentat. Sarajevo 1964.
Dedijer, Vladimir: The Road to Sarajevo. New York 1966 (dt. Ausgabe: Die Zeitbombe. Sarajewo 1914. Wien, Frankfurt, Zürich 1967).