Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Stefan Nemanjić
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Stefan Nemanjić

Stefan Nemanjić (Stefan Prvovenčani, der Erstgekrönte), serbischer Großžupan 1196 bis 1219 und König 1217-1227/28, * um 1165, † 24.09.1228 (?), zweiter Sohn Stefan Nemanjas.

Leben

St. tritt 1192 zum ersten Mal in das Licht historischer Quellen. Zur Besiegelung des serbisch-byzantinischen Friedensschlusses von 1191 heiratete er die Nichte des byzantinischen Kaisers Isaak II., Eudokia Angela. Nachdem deren Vater 1195 als Alexios III. Angelos Kaiser geworden war, scheint St. den Sebastokratorentitel, das Privileg der kaiserlichen Schwiegersöhne, erhalten zu haben, wie die serbischen, wenn auch keine byzantinischen Quellen berichten. Die daraus folgende enge Verbindung mit Byzanz mag bald darauf Nemanja bewogen haben, in der Thronfolge seinen ältesten Sohn Vukan (Vlkan) zu übergehen und durch St. die nach Byzanz orientierte Politik fortsetzen zu lassen. Um einen reibungslosen Übergang zu sichern, dankte Nemanja am 25. März 1196 auf einem Landtage ab und setzte St. zum Großzupan von Serbien ein. Vukan jedoch, der als „rex Diocleae“ den zur Adria gewandten Landesteil regierte, pflegte die Westbeziehungen, insbesondere zum Papsttum und zu Ungarn, um seinem Bruder bei sich bietender Gelegenheit die Herrschaft streitig zu machen.
Nachdem Nemanja 1199/1200 verstorben war, trug St. der sich deutlich abzeichnenden Machtverschiebung zuungunsten des byzantinischen Reiches Rechnung, indem er seine griechische Gattin unter dem Vorwand der Untreue verstieß und Papst Innozenz III. um das regium diadema ersuchte. Es ist wohl den politischen Verbindungen Vukans zuzuschreiben, daß der ungarische König Emmerich den Papst mit dem Hinweis, Serbien gehöre zum Königreich Ungarn, an der Krönung St.s hinderte.
In den Auseinandersetzungen zwischen den führenden Mächten der Balkanhalbinsel, Ungarn und Bulgarien, in die auch Serbien und Bosnien hineingezogen wurden, wurde St. 1202 vertrieben und Vukan durch ungarische Truppen zum Herrscher des ganzen Landes gemacht. Nun verwandte sich Emmerich beim Papst für eine Königskrönung Vukans, wurde jedoch durch die Ereignisse überholt, als noch im Sommer 1203 bulgarische und bosnische Truppen nach Serbien eindrangen und St. wieder an die Macht brachten.
Das Jahr des Umbruchs 1204 und die Entwicklung bis zum Tode des bulgarischen Zaren Kalojan 1207 scheinen die äußere Lage Serbiens wenig berührt zu haben. Um 1206/1207 einigten sich die drei Söhne Nemanjas darauf, die Gebeine ihres Vaters vom Athos nach Serbien zu überführen. Dieses Ereignis diente wahrscheinlich zum Anlaß, ein Treffen der Brüder zu arrangieren und die Aussöhnung zu erreichen. Die folgenden Jahre finden St. aktiv in das stets wechselnde Kräftespiel der eindeutiger Führungsmächte beraubten Balkanhalbinsel verflochten. Gütliche Einigung mit Vukan und engagierte Unterstützung seines jüngeren Bruders, des Mönches Sava, halfen St., den Besitzstand Serbiens zu erhalten und zu mehren. Daß das serbische Reich zum anerkannten, nicht mehr grundsätzlich in Frage zu stellenden Bestandteil Südosteuropas geworden war, zeigt sich an den Heiratsplänen, die St. in den Jahren 1215/1217 verfolgte. Seine Werbung um die Tochter Michaels I. von Epiros, wie der Plan, seinen ältesten Sohn Radoslav mit einer jüngeren Schwester derselben zu vermählen, schlugen aus kanonistischen Gründen fehl, jedoch gab er seine Schwester an Manuel Komnenos und eine Tochter an den Archonten Gregorios Kamonas. Er selbst vermählte sich um 1216 mit Anna, einer Enkelin des großen Dogen Enrico Dandolo.
Die einflußreiche venezianische Verwandtschaft hat dann wahrscheinlich bei Papst Honorius III. erreicht, daß die seit langem unterbrochenen Verhandlungen um eine Königskrone wieder aufgenommen wurden. Schon ein Jahr später wurde St. von einem päpstlichen Legaten gekrönt, wie u.a. der Chronist Andrea Dandolo berichtet: ,,Ex suasione uxoris, abiecto scismate, per nuncios a papa obtinuit ut regio titulo decoratus esset; et per legatum cardinalem ad hoc missum, una cum coniuge coronati sunt.“
Geht aus den westlichen Quellen das Jahr 1217 für diesen Akt hervor, so verlegen die serbischen Hagiographen das Ereignis in eine spätere Zeit, um die Mitwirkung des heiligen Sava einflechten und die Tatsache der kirchlichen Union verschleiern zu können. Die Möglichkeit, daß St. einige Jahre nach der katholischen Krönung durch seinen Bruder eine zweite, nur orthodoxe Krönung empfangen hat, ist kontrovers. Als St. 1220 an Honorius III. eine Ergebenheitsadresse sandte, war der Überbringer ein Bischof Methodius, der sicherlich nicht gegen den Erzbischof gehandelt hätte, wollte man nicht einen grundsätzlichen Konflikt zwischen den Brüdern voraussetzen. Man darf wohl schließen, daß staatliche und kirchliche Aktionen einer gemeinsamen Strategie folgten. Römische Königskrone und byzantinische kirchliche Autokephalie waren die Ergebnisse zielgerichteten und die politischen Umstände geschickt ausnutzenden Taktierens.
Mit der Erlangung politischer und kirchlicher Autonomie hatten die Brüder die nur auf tatsächlicher Machtausübung beruhende Reichsgründung auf rechtliche Fundamente gestellt, die sie nach außen und nach innen sicherten. Staat und Kirche waren völkerrechtlich legitimiert, lagen in der Hand einer Familie und boten konkurrierenden Ansprüchen keine Möglichkeit. In den folgenden Jahren arbeitete St. an der inneren Durchdringung des Reichsgebietes, wobei die episkopalen Verwaltungen eine wichtige Rolle spielten. Als Zentrum der serbischen Orthodoxie wurde das neuerbaute Kloster Žiča (Baubeginn durch St. um 1207) eingerichtet. Sava erwählte es zur Residenz des Erzbischofs, und St. bestimmte es in der Stiftungsurkunde zum Krönungsort für alle zukünftigen serbischen Könige. Im Heiligenkult Stefan Nemanjas, der bald für alle serbischen Kirchen verbindlich wurde, entstand unter aktiver Mitwirkung St.s eine Staat, Dynastie und Kirche miteinander verquickende Reichsideologie. St. verfaßte die Vita seines Vaters um 1216 und ergänzte sie später um Wunderberichte, in denen Nemanja zum Schutzheiligen des serbischen Reiches stilisiert wurde, dem er durch politische Wunder aus verschiedenen Gefahren hilft. St. hat in die Vita Nemanjas eine ganze Schicht autobiographischen Materials eingearbeitet, so daß seine eigene Rolle in der Gründung und Festigung des Staates herausgestrichen wird. Er erweist sich in diesem Werk, wie schon in seiner Stiftungsurkunde für das Kloster Hilandar und Žiča, als gewandter, im byzantinischen Schrifttum belesener Schriftsteller, der es verstand, die Rhetorik der Heiligenlegende mit zeitgeschichtlicher Apologie zu verknüpfen.
Über die letzten Jahre St.s gibt es keine fixierbaren Daten. Er hat bereits bei der Fertigstellung von Žiča seinen ältesten Sohn Radoslav als Mitherrscher neben sich gehabt, so daß dieser nach dem Tode seines Vaters die Herrschaft übernahm. Radoslav wurde jedoch bald von seinem Stiefbruder Vladislav, dieser vom jüngsten Sohn St.s, Uroš (I.), vom Thron gestoßen.
St. starb am 24. September, wahrscheinlich im Jahre 1227 oder 1228, aber auch das ist nicht sicher, weil u.U. auch das Jahr 1224 in Frage käme. Vor seinem Tode ist St. zum Mönch Simon geweiht worden, offensichtlich in Nachfolge seines Vaters. Darum zeigen ihn bildliche Darstellungen, mit Ausnahme der zeitgenössischen Porträts in Studenica und Mileševa, als Mönch. Als Heiliger der serbisch-orthodoxen Kirche gelangte St. nach der Verbrennung der Reliquien Savas 1594 zu Bedeutung, als sein Kult vom Patriarchat neu belebt wurde. Ende des 18. Jh.s wurde St. zum Schutzheiligen der serbischen Aufständischen; sein Kult verband sich aufs engste mit der staatlichen Erneuerung Serbiens.

Literatur

Franić, Dragutin: Die Lage auf der Balkanhalbinsel zu Beginn des 13. Jahrhunderts. In: Wiss. Mitt. Bosnien u. Hercegovina 5 (1897) 304-336.
Jireček: Bd. 1.
Burian, Maria Luise: Die Krönung des Stephan Prvovenčani und die Beziehungen Serbiens zum römischen Stuhl. In: Archiv für Kulturgeschichte 23 (1933) 141-151.
Stanojević, Stanoje: Stevan Prvovenčani. In: God.Nikole Čupića 18 (1934) 1-56.
Hafner, Stanislaus: Studien zur altserbischen dynastischen Historiographie. München 1964.
Prinzing, Günter: Die Bedeutung Bulgariens und Serbiens in den Jahren 1204-1219 im Zusammenhang mit der Entstehung und Entwicklung der byzantinischen Teilstaaten nach der Einnahme Konstantinopels infolge des 4. Kreuzzuges. München 1972 (mit Bibliographie).

Verfasser

Frank Kämpfer (GND: 129105678)


GND: 119462796

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Empfohlene Zitierweise: Frank Kämpfer, Stefan Nemanjić, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 180-182 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1688, abgerufen am: (Abrufdatum)

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