Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Bogomil

Bogomil (Bogumil), angeblicher Gründer der Bogomilen-Sekte in Bulgarien. Die Aussagen der Quellen zu seiner Person sind so spärlich, daß sie zu zuverlässigen biographischen Auskünften nicht ausreichen. Dieses Schweigen der Quellen zur Person, die sich andererseits über die Lehren der Bogomilen z. T. weitschweifig äußern, hat eine Reihe von Historikern veranlaßt, an der Geschichtlichkeit B.s zu zweifeln.

Leben

B. soll zur Zeit des Bulgarenzaren Peter I. (927-969) gelebt haben. Der älteste zeitgenössische Bericht aus der Regierungszeit Peters ist die Warnung, die der Patriarch Theophylaktos von Konstantinopel (933-956) dem Zaren über das Treiben der Bogomilen zukommen läßt. In diesem Trakat wird B. nicht als Gründer oder Führer der Sekte erwähnt. Daß eine der wichtigsten Quellen zur Geschichte des Bogomilentums keine Aussage über B. macht, kann als wichtiges Indiz gewertet werden, das gegen die Geschichtlichkeit des angeblichen Sektengründers spricht.
Unmittelbar nach dem Tode des Zaren Peter, wahrscheinlich im Jahre 972, verfaßte der Presbyter Kozma seine Schrift über die Häretiker, die, wenn auch nur in einem einzigen Satz, konkrete Angaben über B. als den Sektengründer macht, ln dem „slovo svetago kozmy prezvitera na eretiki“ heißt es: „i jako že cluči se blЪgarstěi zemli vЪ lěta pravoslavnago carja petra byst popЪ imenemЪ bogumilЪ, a po istině bogu ne milЪ, iže nača prvie učiti eresi vЪ zemli blЪgarstěi“. Aus dieser knappen Mitteilung kann lediglich die Historizität der Person angenommen werden, seine Wirksamkeit jedoch bleibt völlig im Dunkeln.
Die Nachricht des Kozma über die Existenz B.s zur Zeit des Zaren Peter wird bestätigt durch den Sinodik des Zaren Boril, der 1211 entstanden ist. Es heißt dort: „poneže vЪselakavy naš vragЪ, po vЪsei blЪgarstě zemli manicheiskae eresЪ razsěa, smesivЪ sia sЪ masalianskoa . .. popa bogomila, iže pri petrě cari blЪgarstěmЪ, bЪspriemšago manicheiskaa sia eresЪ, i vЪ blЪagarstěi zemli razsěvšago . . . anathema.“ So knapp die beiden Notizen bei Kozma und im Sinodik auch sind, so geben sie bei einer exakten wörtlichen Interpretation des Textes doch übereinstimmend einen grundsätzlichen Hinweis. Welcher Wert dem Sinodik in der Relation zu den anderen Quellen zukommt, müßte aufgrund der neuesten Forschungen nochmals überprüft werden, denn es ist bekannt, daß er 1211 auf Befehl des Zaren Boril ist „prěpisanЪ otЪ grЪčЪskago na blЪgarskyi svoi ezЪikb“.
Diese Quellengrundlage ist der Ausgangspunkt für Thesen und teilweise Vermutungen über B. Die Spannweite der Diskussion wird gekennzeichnet etwa durch den Standpunkt des bulgarischen Kirchenhistorikers V. S. Kiselkov, der die Quellenbasis als zu schmal ansieht und in B. eine legendäre Gestalt vermutet, und durch Arno Borst, der in seinem Werk über die Katharer zu der bündigen Feststellung gelangt: „Zur Bezeichnung ,Bogomilen' stand der Name des Stifters Pate, nicht eine Parteibezeichnung.“
Wenn auch die Quellenlage sehr dürftig ist, so besteht doch kein zwingender Anlaß, die Geschichtlichkeit B.s ernsthaft in Frage zu stellen. Problematisch ist allerdings die Beurteilung seiner Rolle innerhalb der Sekte. Die Annahme, daß er das Bogomilentum im Sinne einer theologischen und organisatorischen Grundlegung ins Leben gerufen und dieser Bewegung seinen Namen gegeben hat, wird von keiner Quelle gestützt. Kozma behauptet nur, daß B. im Lande der Bulgaren die bogomilische Häresie zuerst predigte. Auch der Sinodik des Zaren Boril behauptet lediglich, daß B. die manichäische Lehre empfing und sie in Bulgarien verbreitete. Daß er als Sektengründer anzusprechen sei, wird weder behauptet, noch kann dieses gefolgert werden.
Es besteht weitgehend Einhelligkeit darüber, daß die Bausteine zum Lehrgebäude des Bogomilentums aus dem NT und den Systemen der großen theologisch nonkonformistischen Bewegungen des vorderen Orients stammen. Der Terminus „Bogomil“ und „Bogomilen“ ist nicht als Namensbegriff, sondern als religiöser Anspruch zu verstehen. Darauf nehmen schon die grundlegenden Quellen ganz klar Bezug: Kozma hat in seine biographische Notiz ein theologisches Wortspiel eingeflochten, indem er Bogomil (= Gottlieb) apostrophiert als in Wahrheit „Gott nicht lieb“ und Euthymios, ein Mönch des Klosters Peribleptos, dem wir einen wichtigen Begriff über das Bogomilentum verdanken (Migne PG, CXXX), erklärt den Begriff „Bogomilen“ gleichfalls aus dem theologischen Sinngehalt des Wortes. Unter dem Begriff „Bogomilen“ sind Menschen zu verstehen, die, nach ihrer eigenen Auffassung, „Gott lieb sind“. Wie G. Wild aufgezeigt hat, muß gegen A. Borst angenommen werden, daß zuerst die religiöse Bewegung der Bogomilen mit ihrem ganzen radikalen theologischen Anspruch bestand, und daß der Pope B. sich dieser Bewegung angeschlossen, ihren Namen angenommen und sich zu ihrem ersten namhaften Propheten gemacht hat. Von B. sind zwar keine Schriften oder Predigten überliefert, aber neuere Forschungen lassen allmählich erkennen, daß die Bogomilen eifrig und intensiv eine religiöse Propaganda über das Volkslied betrieben haben, das den des Lesens unkundigen breiten Volksmassen das Buch ersetzt hat.
Von Bulgarien aus verbreitete sich das Bogomilentum nach dem Westen, wobei Methoden und Wege der Mission noch weithin unerforscht sind. Sie tauchten in Byzanz und in Konstantinopel auf, so daß sich Kaiser Alexios I. Komnenos um 1110 genötigt sah, gegen die Sekte einzuschreiten. Um 1180 griff die bogomilische Bewegung in Serbien um sich, insbesondere unter dem Adel. Der Herrscher Stefan Nemanja unterdrückte sie grausam. 1199 wurde dem Papst Innozenz III. gemeldet, daß Kulin, der Banus von Bosnien, samt seiner Familie zur Häresie übergetreten sei. In dieser Zeit war die bogomilische Bewegung schon eine gewaltige Kraft, die sich unter verschiedenen Namen anschickte, die Fundamente der katholischen Kirche zu unterwühlen. In Italien traten sie unter der Bezeichnung „Patareni“ auf und in Frankreich als „Katharer“ oder „Albigenser“, deren Geschichte, insbesondere in der Provence, zeitweilig stark verknüpft ist mit der politischen Geschichte des französischen Südens. Auch diese Wanderung der bogomilischen Lehre, vom Balkan nach Italien, an den Rhein und nach Südfrankreich, ist noch weithin unerforscht. Im 12. Jh. stellte sie sich dar als eine religiöse Bewegung von europäischem Ausmaß: Im Mai 1167 fand unter dem Vorsitz des vom Balkan kommenden bogumilischen „Papstes“ Niketas in St. Félix de Caraman bei Toulouse ein Konzil statt, auf dem alle Kirchen und Bistümer der Bogomilen, Patarener und Katharer vertreten waren.
Ähnlich wie in Südfrankreich das Katharertum wurde in Bosnien das Bogomilentum in den Interessenkreis von Politik und Macht einbezogen. Unter Banus Kulin erhielt das bogomilische Bekenntnis den Status einer Staatsreligion, die Bewegung war Stütze des Banus auf der einen Seite gegen Ungarn und den Papst, auf der anderen gegen die adeligen Feudalherren. Die Verbindung mit der weltlichen Macht leitete gleichzeitig einen religiösen, moralischen und ethischen Verfall des Bogomilentums in Bosnien ein. Als die bosnischen Bane sich im 15. Jh., unter der Bedrohung durch die osmanische Invasion auf dem Balkan, wieder dem Papste zuwandten, orientierten die Bogomilen sich politisch auf die mohammedanischen Türken, und als 1463 Bosnien den Osmanen schließlich in die Hände fiel, kam es zu Massenübertritten der Bogomilen zum Islam. Untergründig soll es in entlegenen Gebieten Bosniens und der Herzegowina Anhänger dieser Bewegung bis in das 19. Jh. gegeben haben.

Literatur

Rački, Franjo: Bogomili i Patareni. Beograd 1931(2).
Puech, H. C. und A. Vaillant: Le traité contre les Bogomiles de Cosmas le Pêtre. Paris 1945.
Angelov, Dimitŭr: Der Bogomilismus auf dem Gebiete des byzantinischen Reiches. In: God. Sof. Univ., filos.-ist. Fak. 44 (1947/48) 1-60, 46 (1949/50) 1-45.
Obolensky, Dmitri: The Bogomils. A Study in Balkan Neo-Manichaeism. Cambridge 1948.
Borst, Arno: Die Katharer. Stuttgart 1953. = Schriftenreihe der Monumenta Germaniae historica. 12. (mit Bibliographie). Angelov, D.: Bogomilstvoto v Bŭlgarija. Sofija 1961(2) (mit Bibliographie).
Werner, Ernst: Theofilos-Bogumil. ln: Balkan Studies 7 (1966) 49-60.
Angelov, D., B. Primov und G. Batakliev: Bogomilstvoto v Bŭlgarija, Vizantija i zapadna Evropa v izvori. Sofija 1967.
Wild, Georg: Bogumilen und Katharer in ihrer Symbolik. T. 1. Wiesbaden 1970 (mit Bibliographie).

Verfasser

Georg Wild (GND: 105276049)


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Empfohlene Zitierweise: Georg Wild, Bogomil, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 223-225 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=589, abgerufen am: (Abrufdatum)

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