Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Franz Joseph I.
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Franz Joseph I.

Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 1848-1916 und König von Ungarn 1867 bis 1916, * Schloß Schönbrunn 18.08.1830, † ebd. 21.11.1916, Sohn von Erzherzog Franz Carl (1802-1878), dem jüngeren Sohn von Kaiser Franz I., und der Erzherzogin Sophie (1805-1872), der Tochter des Königs Maximilian I. Joseph von Bayern.

Leben

F. wurde von Anfang an, nicht zuletzt auf Grund der Ambitionen seiner ebenso ehrgeizigen wie religiösen Mutter, unter dem Aspekt der künftigen Herrschaft sehr sorgfältig und mit starken Akzenten auf dem Militärischen erzogen. Auf diese Weise eignete F. bereits sehr früh eine tiefe Überzeugung von der Größe ererbter Traditionen des Hauses Habsburg und der Autorität der Krone, gepaart mit rasch deutlich in Erscheinung tretendem Pflichtbewußtsein, mit Selbstdisziplin und einer tiefen unreflektierten Religiosität. F.s Erziehung vor der Revolution stand im Zeichen vormärzlicher Prinzipien (Metternich), kaiserlicher Macht, Würde und Verpflichtung, sowie einer umfassenden traditionellen Ordnung schlechthin. Die Revolution von 1848 mußte solchermaßen um so mehr zu einer in jeder Hinsicht prägenden Erfahrung für F. werden. Nachdem Kaiser Ferdinand I. in Olmütz am 2. Dezember 1848 abgedankt, sein Vater Franz Carl auf den Thron verzichtet hatte, nachdem der Wiener Aufstand niedergeworfen war, bestieg der 18jährige den Thron in einer Krisensituation. Wie seine Erziehung in manchem noch durchaus unvollkommen war, so verstärkten die Erfahrungen der Jahre 1848/49, insbesondere die Niederwerfung Ungarns durch die Armee, sein Vertrauen in das Militär und seine Überzeugung, die Monarchie auf einer absolutistisch-zentralistischen Basis erneuern zu müssen. Zweifellos brachte das folgende Jahrzehnt eine gewisse äußere Konsolidierung und Ruhe, die jedoch die offenen Probleme nur oberflächlich kaschierte, zumal die zunächst beabsichtigte vorsichtige konstitutionelle Weiterentwicklung unterblieb (Einführung des Neo-Absolutismus durch das Silvesterpatent vom 31. Dezember 1851). Die damals sehr geringe Popularität des Herrschers illustriert das Attentat des Schneidergesellen János Libényi (18.02.1853). In jene Zeit fällt auch F.s Verheiratung mit der bayerischen Prinzessin Elisabeth (24.04.1854). Die für F. auch persönlich sehr enttäuschende Niederlage von 1859 war lediglich äußerer Anlaß für die Notwendigkeit des neuerlichen Aufgreifens der inneren Problematik des Reichs, da sich angesichts der tragenden Funktionen des Bürgertums in wirtschaftlicher und geistiger Hinsicht eine politische Mitwirkung dieser Klasse nicht mehr umgehen ließ. „Oktoberdiplom“ (20.10. 1860) und „Februarpatent“ (26.02.1861) markieren die Abwendung vom absolutistischen System, das F. auch als Garant der Reichseinheit erschien, und das er zunächst nur unter Vorbehalten bezüglich dezidierter Einflüsse und Machtstellungen der Krone aufzugeben bereit war. Solche Schritte erfolgten gegen F.s Überzeugungen, wurden jedoch von ihm, einmal getan, stets strikt beobachtet, obzwar schwere, aus inneren wie äußeren Spannungen resultierende Rückschläge einer konstitutionellen Entwicklung zu verzeichnen sind (Sistierung der Verfassung am 20. September 1865). Während im Äußeren die Entscheidung über die Machtstellung Österreichs im deutschen Gebiete ihrem entscheidenden Höhepunkt zustrebte, nahmen im Inneren die ungarische Opposition und die Spannungen zwischen Liberalen und föderalistischen Konservativen zu. Die Niederlage von 1866 wurde in der Folge primärer Anlaß für die nunmehr an Südosteuropa sich orientierende österreichische Politik, nachdem auch der Einfluß in Italien seit 1859/66 praktisch gebrochen war. Das Jahr 1871 machte schließlich den Wegfall österreichischer Machtpositionen in Deutschland gerade unter einem Herrscher perfekt, der sich selbst bewußt als deutscher Fürst verstand. Wie in einem gewissen Sinne die Niederlage von 1866 zum Ausgleich mit Ungarn führte (neue Verfassungsgesetze in der österreichischen Reichshälfte am 21. Dezember 1867; Abschluß des Ausgleichs mit Ungarn am 15. März 1867), kann man die Enttäuschung F.s über die Bedeutung des Jahres 1871 für Österreich daran ermessen, daß unter Ministerpräsident Karl Sigmund Graf von Hohenwart (ab 7.02.1871) auf der Basis einer im Grunde konservativen Idee der Länderautonomie und des Föderalismus der Versuch gemacht wurde, die Länder der böhmischen Krone („Fundamentalartikel“) zu einer neuen Stütze, in manchem als Gegengewicht zu Ungarn, zu machen. Nachdem dieser Versuch gescheitert war, hielt F. bis zu seinem Tode ganz konsequent am dualistischen Reichsaufbau fest, da ihn mehr und mehr die Überzeugung durchdrang, daß auf Grund der nationalen und sozialen Gegensätze jeder föderalistische Umbauplan ein unberechenbares Risiko darstelle. Diese konservative Grundhaltung des nunmehr konstitutionellen Monarchen bedeutete für ihn nicht nur einen Garanten für den Weiterbestand seiner monarchischen Herrschaftsprärogative, sondern ermöglichte auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine zunehmende Divergenz der beiden Reichsteile, der von F. nur dort eine Grenze gesetzt wurde, wo die Homogenität der gemeinsamen Armee tangiert wurde, jedoch nicht hinsichtlich einer generellen staatsrechtlichen Neustrukturierung. Der gleiche konservative Grundcharakter F.s zeigt sich auch auf außenpolitischem Gebiet, wo die Idee der dynastisch-monarchischen Solidarität allerdings nur in Bezug auf das Deutsche Reich, nicht jedoch auf Rußland zum Tragen kommen konnte, da sich die Interessen Wiens und Petersburgs auf dem Balkan in immer weiter zunehmendem Maße als divergent erwiesen. Obwohl sich aber die Friedensepoche vor 1914 in der beachtlichen Blüte der bürgerlichen und Adelsgesellschaft ausdrückte, vermochte man die eigentlichen Probleme der sog. franzisko-josephinischen Epoche nicht zu lösen. Ausgleichsverhandlungen, zunehmende Entfremdung der slawischen Bevölkerungsteile vom Gesamtstaat, soziale Spannungen illustrieren dies ebenso wie die wirtschaftliche und politische Einflußnahme Berlins auf Wien, die Problematik wirtschaftlicher Entwicklung und Expansion nach außen (Balkan) und eine doch in vielem glücklose Außen- und Bündnispolitik (Italien, Balkan). Trotz allem spannte sich der Bogen der franzisko-josephinischen Epoche auch bis zur Technisierung einer wesentlich immer noch agrarischen Gesellschaft und zum allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht (26.01.1907) zum österreichischen Reichsrat, das jedoch in der politischen Praxis nicht jene Hoffnungen erfüllte, die der Kaiser, wenngleich wohl anders als der durchschnittliche Wahlberechtigte, gehegt hatte, nämlich die Abschwächung der nationalen Spannungen, die Ersetzung der nationalen Parteien durch politische. Es blieb F. immerhin erspart, die letzten Konsequenzen jenes nicht zuletzt auf seiner obersten Entscheidungsgewalt beruhenden Krieges zu erleben, von dem er, möglicherweise irregeleitet von seinen Ratgebern, fälschlich eine Lösung der Probleme erwartet haben mochte.
Hinter dem Mythos auch die Realität zu sehen, fällt besonders bei F. extrem schwer. Durch sein patriarchalisches Alter bereits bei Lebzeiten die Legende seiner selbst, verstand es F., wiewohl kein politisches Genie, mit höchster Delikatesse derart Politik zu machen, daß die Öffentlichkeit wenig davon merkte. Seine politischen Ansichten waren homogener und konsequenter als es heute im Rückblick scheinen mag, er verstand es, sich den Gegebenheiten gerade so weit anzupassen, daß Evolution niemals Tradition in Frage stellen konnte. Ein Mann von mit zunehmendem Alter immer zurückhaltenderem und verschlossenerem Charakter, was zum Teil wohl auf zahlreiche Schicksalsschläge zurückzuführen ist (Hinrichtung seiner Bruders Maximilian in Mexiko am 19. Juni 1867, Selbstmord des Thronfolgers Rudolf am 30. Januar 1889, Ermordung der Kaiserin Elisabeth in Genf am 10. September 1898 usw.), regierte F. eine Großmacht vom Vormärz bis ins hochtechnisierte 20. Jh. unter stets korrekter Einhaltung seiner Verpflichtungen, aber auch überzeugt von der äußersten Legitimität seiner Herrscherwürde. Aber es ist nicht die zeitliche Länge seiner Regierung, die eine Biographie F.s notwendig unzulänglich macht, sondern die Tatsache, daß er vielleicht mehr als jeder andere Herrscher äußerlich unauffällig, aber doch von größter Bedeutung, hinter „seiner“ Epoche zurückgetreten ist.

Literatur

Redlich, Joseph: Kaiser Franz Joseph von Österreich. Berlin 1929.
Corti, Egon Caesar Conte: Vom Kind zum Kaiser. Salzburg, Wien (1950).
Ders.: Mensch und Herrscher. Graz (1952).
Sokol, Hans u. Egon Caesar Conte Corti: Der alte Kaiser. Graz, Köln (1955).
Fellner, Fritz: Kaiser Franz Joseph und das Parlament. Materialien zur Geschichte der Innenpolitik Österreichs in den Jahren 1867-1873. In: Mitt. österr. Staatsarch. 9 (1956) 287-347.
Novotny, Alexander: Franz Joseph I. An der Wende vom alten zum neuen Europa. Göttingen (1968). = Persönlichkeit und Geschichte. 46.
Kann, Robert A[dolf]: Kaiser Franz Joseph und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Eine Betrachtung über den Quellenwert der Aufzeichnungen von Heinrich Kanner. Wien, Köln 1971. = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Sitzungsberichte. Phil.-hist. Kl. 274/3.

Verfasser

Georg Erich Schmid (GND: 13221637X)

GND: 118535013

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118535013.html


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Empfohlene Zitierweise: Georg Erich Schmid, Franz Joseph I., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 529-532 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=831, abgerufen am: (Abrufdatum)

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