Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Gunaris, Dimitrios
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Gunaris, Dimitrios

Gunaris, Dimitrios, griechischer Politiker, * Patras 5.1. 1867, † Athen 15.11.1922, Sohn des Kaufmanns Panajotis G. aus Argos und der Maria Alexopulu.

Leben

Nach Abschluß des Gymnasiums in seiner Heimatstadt (1884) studierte G. Jura an der Universität Athen. Nach einer ausgezeichneten Promotion (1889) setzte er sein Studium in Leipzig, Heidelberg, Göttingen und München, dann in Paris und London fort, wo er Vorlesungen in Politologie und Soziologie besuchte. Nach Patras heimgekehrt (1892), betätigte er sich zunächst als Rechtsanwalt und erwarb sich wegen seiner ungewöhnlichen Rednerkunst bei Strafprozessen hohes Ansehen. 1902 wurde er zum ersten Mal politisch tätig. Er kandidierte bei den Wahlen vom 17. November 1902 und zog, obwohl er mit der großen konservativen Partei des Georgios Theotokis sympathisierte, als unabhängiger Abgeordneter ins Parlament ein. Er scheiterte jedoch bei den nächsten Wahlen vom 20. Februar 1905 wegen seiner unpopulären Haltung in der Steuerfrage. Bei den Wahlen vom 26. März 1906 wurde er dann als Abgeordneter der Theotokis-Partei an der Spitze des Patras-Bezirks ins Parlament geschickt, gründete aber bald mit vier anderen Parlamentariern (Stefanos Dragumis, Emmanuil Repulis, Petros Protopapadakis und Charalampos Vozikis) die sog. Gruppe der „Japaner“ (Iapones), die die Rolle der Opposition übernahm und zu einer demokratischen Erneuerung des politischen Lebens drängte. Zwei Jahre später (21.06.1908) trat G. jedoch als Wirtschaftsminister dem Kabinett Theotokis bei, und die Gruppe wurde aufgelöst. Wegen seiner harten Steuerpolitik wurde er bald zum Rücktritt gezwungen (16.02.1909). Dem Aufstand des „Militärbundes“ (Stratiotikos Sindesmos) vom 15. August 1909, der ein Jahr später Eleftherios Venizelos und mit ihm das liberale Bürgertum an die Macht brachte, stand G. feindlich gegenüber. Deshalb blieb er den Wahlen vom 30. Juni 1910 zum Revisionsparlament fern, kandidierte jedoch bei den Pariamentswahlen vom 11. März 1912 und zog als unabhängiger Abgeordneter ins Parlament ein, wo er Venizelos opponierte. Als es dann im September 1915, mitten im Krieg, zur ersten Konfrontation zwischen König Konstantin und Venizelos kam, wurde G. nach dem Rücktritt von Venizelos (21.02./6.03.1915) mit der Bildung einer königstreuen Regierung beauftragt. Bei den Wahlen vom 31. Mai 1915 erlitt seine Partei „Ethnikofrones“ (Nationalgesinnte) eine schwere Niederlage, G. beteiligte sich jedoch am nachfolgenden Kabinett des Stefanos Skuludis (25.10.1915) als Außenminister, dann als Wirtschaftsminister.
Nach der Absetzung Konstantins durch die Alliierten der Entente (12.06.1917) wurde G. mit anderen royalistischen Politikern nach Korsika deportiert, von wo er Anfang 1919 über Sardinien und Siena nach Rom flüchtete. Nach der Gewährung der Amnestie kehrte G. nach Griechenland zurück. Als Führer der Opposition gegen Venizelos anerkannt, taufte er seine Partei in „Volkspartei“ (Laikon Komma) um und beteiligte sich an den Wahlen vom 1. November 1920, bei denen Venizelos unterlag und sich ins Exil begab. An der darauffolgenden Regierung Rallis (4.11.1920) übernahm G. das Kriegsministerium, das er auch im Kabinett des Nikolaos Kalogeropulos (24.1. 1921) behielt. Zur Lösung der griechisch-türkischen Frage reiste G. zusammen mit Kalogeropulos nach London. Nach seiner Rückkehr wurde er mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (2.03.1922), mußte jedoch nach zwei Monaten zurücktreten. Er beteiligte sich dann am Kabinett von Protopapadakis (9.05.1922) als Justizminister. Zum Chaos der hintereinanderfolgenden Regierungskrisen kam die damit zusammenhängende schwere Niederlage der griechischen Armee in Kleinasien (August - September 1922) hinzu. Nach dem Militäraufstand der Offiziere (Stilianos Gonatas, Nikolaos Plastiras) wurde G. mit anderen für das Desaster verantwortlich gemachten Politikern festgenommen und des Hochverrats angeklagt. G. wurde zusammen mit weiteren vier Vertretern der alten Parteien (Nikolaos Stratos, Petros Protopapadakis, Nikolaos Theotokis und Georgios Baltatzis) und einem General (Georgios Chatzanestis) bei Athen exekutiert.
G. war ein typischer Repräsentant der alten Berufspolitiker in Griechenland, die sich dem Aufstieg der bürgerlich-liberalen Kräfte um Venizelos konsequent und zugleich widersprüchlich widersetzten: Seine besondere Stellung kann zwischen den traditionellen Gruppen (Georgios Theotokis), die die alten Großgrundbesitzer vertraten, und Venizelos gesucht werden, der das neuaufkommende, an England gebundene griechische Großkapital vertrat. So nahm G. etwa 1903 in der „Rosinenfrage“ eine mittlere Stellung ein, die gleichzeitig gegen die Interessen der Kleinbauern und des Großkapitals gerichtet war (sein Vater war Rosinen-Kaufmann). 1905 bezog er Stellung für die Steuererhöhung, ein Jahr später prangerte er als „Japaner“ die volksfeindliche Wirtschaftspolitik des Kabinetts Theotokis an, ließ sich jedoch von ihm anwerben und bald, nach dem Scheitern „seiner“ Wirtschaftspolitik, zum Rücktritt zwingen. Im griechisch-türkischen Krieg schließlich bekämpfte er die Kriegspolitik von Venizelos, nach dessen Fall aber setzte er sie intensiver - aber auch verantwortungsloser als jener - fort. Er wurde dann zum Sündenbock für die kollektiven Fehler einer Klasse, der er zwanzig Jahre lang treu gedient hatte.

Literatur

Gunaris, Dimitrios: Agorefsis en ti vuli... Athen 1915.
Proias, Ekdosis: I diki ton ex. Athen 1926.
Mallosis, Ioannis: I politiki istoria tu Dimitriu Gunari. 2 Bde. Athen 1926/28.
Kampanis, Aristos: O Dimitrios Gunaris ke i elliniki krisis ton eton 1918-1922. Athen 1946.
Triantafillu, Kostas: Istorikon Lexikon ton Patron. Patras 1959, 129-130 (mit Bibliographie).
Ventiris, Georgios: I Ellas tu 1910-1920. Bd 1. Athen 1970(2), 34-35, 307-338.

Verfasser

Georg Veloudis (GND: 124116787)

GND: 13805391X

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd13805391X.html


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Empfohlene Zitierweise: Georg Veloudis, Gunaris, Dimitrios, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 103-105 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=918, abgerufen am: (Abrufdatum)

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