Strossmayer, Josip Juraj, Bischof und kroatischer Politiker, * Esseg (Osijek) 04.02.1815, † Djakovo (Slawonien) 08.04.1905.
Leben
St.s Urgroßvater, Wachtmeister Paul St., kam zwischen 1745 und 1750 aus Linz a. d. Donau nach Esseg, wo er eine Kroatin heiratete. Johann (Ivan) St., der des Lesens und Schreibens unkundige Vater St.s, war Pferdehändler. Er heiratete die Kroatin Anna Erdeljac, die im kleinen St. Liebe und Verständnis für die südslawische Volksdichtung und Literatur durch häufiges Lesen der von Vuk Karadžić gesammelten Volkslieder und insbesondere des „Satyr illiti divyi csovik“ (Satir oder der wilde Mann, 1762, 1779 2. Auflage) von Antun Matija Reljković weckte.
Das Gymnasium besuchte St. zwischen 1825 und 1831 bei den Franziskanern in Esseg, dann studierte er zwei Jahre Philosophie im bischöflichen Seminar Djakovo. Als bester Schüler wurde er ins Zentralseminar nach Pest geschickt, wo er 1837 in Philosophie promovierte. Als Student in Pest begeisterte sich St. für die Ideen des slowakischen Dichters Ján Kollár von der kulturellen und nationalen Wiedergeburt, der slawischen Wechselseitigkeit und der großen Aufgabe der Slawen in der Geschichte. Nach der Priesterweihe (16.02.1838) in Djakovo wurde St. als Kaplan in Peterwardein (Petrovaradin) eingesetzt. 1840 setzte St. sein Theologiestudium im Wiener Augustineum fort und schloß dieses 1842 mit Promotion über die kirchliche Einheit ab. Von 1842 bis 1847 unterrichtete St. am Priesterseminar in Djakovo, als er ins Augustineum zurückberufen und zum Hofkaplan und zu einem der drei Direktoren dieses Instituts ernannt wurde. Im Jahre 1849 wurde St. beauftragt, Kanonisches Recht an der Wiener Universität zu lehren. Aber mit seiner Ernennung zum Bischof von Djakovo am 18. November 1849 endete St.s kaum angefangene akademische Laufbahn und es begann seine kirchenpolitische, kulturpolitische und politische Tätigkeit, mit der er sich als führende Persönlichkeit der Kulturgeschichte der Kroaten in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s behauptet hat.
Die Geldmittel für verschiedene Unternehmungen lieferte ihm sein reiches Bistum, dessen damaliges Jahreseinkommen auf 150000-300 000 fl. geschätzt wird.
Im ersten Jahrzehnt seines Bischofsamtes, d.h. während Bachs Absolutismus (1849-1860) konzentrierte sich St. zunächst auf die kirchliche organisatorische Verbesserung und Aufbauarbeit im Bistum Djakovo, die ihre Krönung im Ausbau des Djakovarer monumentalen Doms im romanischen Stil zwischen 1866 und 1882 fand. Die Entscheidung für den romanischen Stil in einer Zeit der Gotikschwelgerei sollte St.s Bemühungen nach der religiösen und kulturellen Annäherung des Ostens und des Westens, der Welt der orthodoxen Slawen zur Welt des Abendlandes symbolisieren.
Diese Bemühungen konkretisierten sich im mannigfaltigen Eingreifen in das damalige kirchenpolitische, politische und kulturelle Leben. Für die bosnischen Theologiestudenten errichtete St. ein Seminar in Djakovo, wodurch er von 1853 bis 1876 einen starken Einfluß auf die bosnischen Franziskaner ausübte. Als apostolischer Vikar für die Katholiken in Serbien (1851-1897) besuchte St. siebenmal dieses Land und hegte persönliche Verbindungen mit den damaligen serbischen Führungskreisen. Er setzte sich beharrlich - aber erfolglos - für den Abschluß eines Konkordats zwischen Serbien und dem Vatikan ein. Jedoch waren seine Bemühungen um Montenegro mit dem Konkordat und der Erneuerung der Erzdiözese von Antivari (Bar) 1886 wie auch mit der Zulassung der altslawischen Kirchensprache in Montenegro 1887 von Erfolg gekrönt.
Von den Kontakten mit der ostslawischen Welt seien hier St.s Beziehungen mit dem Bahnbrecher der Kirchenunion in Rußland, dem Philosophen Vladimir Sergeevič Solov’ev erwähnt sowie das Glückwunschtelegramm vom 27. Juli 1888 an den Rektor der Kiever Universität anläßlich der 900-Jahr-Feier des Übertritts der Russen zum Christentum, dessentwegen St. von Kaiser Franz Joseph gerügt wurde.
St.s Einsatz für die Kirchenunion gipfelte in seinen berühmten fünf Reden auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (08.12.1869), in denen er die These von der Verschuldung der Reformation für den modernen Rationalismus und Liberalismus als historische Unwahrheit abwies, scharfe Stellung gegen die Definition der Unfehlbarkeit des Papstes einnahm und andererseits für Freiheit und Toleranz, die kollegiale Struktur der Kirche und mehr Selbständigkeit der Bischöfe eintrat und damit den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils antizipierte. Jedoch liegen St.s größte geschichtliche Leistungen in seinem kulturellen Mäzenatentum. Seine Freigebigkeit erreichte alle Slawen, insbesondere die Südslawen. Es gab fast weder eine Institution im damaligen slawischen Süden, an deren Gründung oder Förderung St. nicht beteiligt war, noch einen Vertreter der damaligen südslawischen Kultur, den er nicht unterstützte. Mit der Gründung der „Jugoslavenska akademija znanosti i umjetnost“ 1866 und der modernen Universität 1874 in Zagreb leitete St. die Epoche der neuen Hochkultur in Wissenschaft und Kunst bei den Kroaten und Südslawen überhaupt ein.
Schließlich hat sich St. auch an der Tagespolitik seiner Zeit, insbesondere in den sechziger Jahren des 19. Jh.s, stark beteiligt. Während der Revolution 1848/49 trat St. für eine Föderation der österreichischen Völker ein und schrieb darüber in der kroatischen und tschechischen Presse. In dieser Hinsicht vertrat er die damalige Politik der kroatischen Nationalpartei und des Banus Josip Jelačić und stand damit in einer Linie mit den tschechischen Föderalisten František Palacký und František Ladislav Freiherr von Rieger. In der beginnenden Verfassungsära 1860 trat St. als Vertreter von Slawonien im verstärkten Reichsrat für eine solche Verfassung der Donaumonarchie ein, „daß jedes Volk und jeder Stamm, welcher immer es sei, volle Sicherheit für seine nationalen Institutionen findet“ und forderte zusammen mit Ambroz Vranyczány-Dohrinović die Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien auf Grund des kroatischen historischen Staatsrechts. Dieses politische Programm, nämlich Integrität und Gesamtheit des Königreichs Kroatien-Slawonien-Dalmatien einschließlich Zwischenmurgebiet (Medjumurje), Militärgrenze (Vojna Krajina), Rijeka und Istrien verfocht St., zusammen mit den anderen Mitgliedern der Nationalpartei, weiter als Mitglied der Banuskonferenz zwischen dem 26. November 1860 und dem 17. Januar 1861, dann als Abgeordneter im kroatischen neuberufenen Landtag (Hrvatski Sabor), als Obergespan der Gespanschaft Virovitica 1861-1862 und als Führer der kroatischen regnikolaren Deputation in der Aussprache über die kroatisch-ungarischen Verhältnisse mit Ferenc Deák in Pest im April 1866. Nach der Wahlniederlage der Nationalpartei, dem darauffolgenden Beschluß 1868 und der Revision des ungarisch-kroatischen Ausgleiches 1873, als die kroatischen Vertreter in Pest völlig versagten, zog sich St. von der aktiven parlamentarischen Politik zurück.
Während St. in seiner parlamentarischen Politik das kroatische historische Staatsrecht in den Vordergrund stellte, war seine außerparlamentarische politische Tätigkeit von einem Naturrecht der Völker inspiriert und schreckte nicht vor konspirativer Tätigkeit zurück. Als solche ist seine Beteiligung an den geheimen Plänen zwischen der kroatischen Nationalpartei und der serbischen Regierung über die Befreiung Bosniens vom türkischen Joch und die Gründung eines selbständigen südslawischen Staates im Zusammenhang mit der Niederlage Österreichs bei Königgrätz 1866 zu qualifizieren. Während der orientalischen Krise 1876-1878 trat St. in Korrespondenz mit dem englischen Staatsmann William Ewart Gladstone und befürwortete bei ihm die Vertreibung der Türken aus Europa und die politische Emanzipation der Südslawen, insbesondere der Bulgaren. In diesem Sinne schrieb er auch ein Promemoria 1876 an die russische Regierung. Weiter setzte sich St. für die Okkupation Bosniens durch Serbien und der Herzegowina durch Montenegro ein und stimmte nicht der österreichisch-ungarischen Okkupation 1878 zu.
In den achtziger und neunziger Jahren, d. h. in der Phase einer Annäherung Serbiens an Österreich-Ungarn, Zusammenarbeit der serbischen Politiker in Kroatien mit dem Regime des Károly Khuen-Héderváry und im Zusammenhang damit der Abkehr vom südslawischen Konzept im politischen Leben der Kroaten, befaßte sich St. mit dem Gedanken der trialistischen Lösung der Nationalproblematik in der Donaumonarchie.
In der zahlreichen Literatur, in der eine St.s ganzes Leben und Wirken kritisch darstellende Biographie noch immer aussteht, kann man verschiedene, oft kontradiktorische Bewertungen von St.s Leistungen und Ideen antreffen. Jedoch ist auf Grund des bisherigen Forschungsstandes folgendes als historisch zuverlässig festzustellen: Vom theologischen und kirchenhistorischen Standpunkt aus betrachtet war St. kein katholischer Unionist im pejorativen Sinn, sondern ein toleranter, ökumenisch gesinnter Vorläufer des Zweiten Vatikanischen Konzils. Seine Rolle in der Nationalpartei, obwohl noch nicht genügend erforscht, war beträchtlicher als einige kroatische Historiker (Vera Ciliga, Jaroslav Šidak) möchten. St.s ideologisch-politisches Konzept des Südslawentums stellt das entscheidende Stadium jener politischen Ideologie der Kroaten dar, deren Entstehung mit der Zerstückelung der kroatischen Länder zwischen Osmanischem Reich, Österreich und Venedig und den darauffolgenden Wanderungen und konfessionellen Mischungen der orthodoxen mit den katholischen Südslawen in Zusammenhang zu bringen ist und an deren Gestaltung und Entwicklung sich vor allem die ragusanischen Schriftsteller („slovinstvo“), Juraj Križanić („Panslawismus“), die kroatische „illyrische“ Bewegung und schließlich St.s Generation - vor allem St. selbst und sein enger Mitarbeiter an der Gestaltung des kulturellen und politischen Südslawentums Franjo Rački - am stärksten beteiligten.
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