Davidović, Ljubomir, jugoslawischer Politiker, * Vlaška (Kosmaj) 24.12.1863, † Belgrad 19.02.1940.
Leben
D. absolvierte an der Hochschule in Belgrad ein naturwissenschaftlich-mathematisches Studium und war danach Gymnasialprofessor und -direktor. Als Mitglied der Radikalen Partei (Radikalna narodna stranka) war er ab 1901 Abgeordneter im serbischen Parlament. 1902 gründete er mit Ljubomir Stojanović, Jaša Prodanović und anderen liberalgesinnten Politikern im Kampf gegen die absolutistische Politik der letzten Obrenovići und für die Demokratisierung des Landes sowie die Einführung der bürgerlichen Rechte die Unabhängige Radikale Partei (Samostalna radikalna stranka). Ab 1903 beteiligte sich D. an der Organisierung von Četnici-Aktionen zur Befreiung Mazedoniens von der osmanischen Herrschaft. Im Januar/Februar 1904 war er Minister für das Bildungswesen in der Regierung von Sava Grujić, 1905 Präsident des serbischen Parlaments, 1914-1917 und Februar 1918 - August 1919 erneut Minister für das Bildungswesen in den Koalitionsregierungen Pašić und Protić.
Nach der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS, 01.12.1918) bemühte sich D. zusammen mit Svetozar Pribićević u. a. um die Konstituierung einer alle Gebiete des neuen Staates repräsentierenden, aus heterogenen politischen Gruppierungen des Bürgertums zusammengesetzten „jugoslawischen“ Demokratischen Partei (Demokratska zajednica, später Demokratska stranka = DS), die in D. ihren Vorsitzenden fand. Gemäß ihrer Ideologie des integralen „Jugoslawismus“ bzw. des nationalen Unitarismus der Serben, Kroaten und Slowenen und nach dem Prinzip der Identifizierung von Nation und Staat kämpfte die Partei für einen zentralistischen Staatsaufbau (mit lokaler administrativer Selbstverwaltung auf niederer Ebene), die monarchistisch-parlamentarische Regierungsform und soziale Reformen (vor allem im Agrarsektor).
Von August 1919 bis Februar 1920 war D. Ministerpräsident einer Koalitionsregierung der Demokratischen Partei und der Sozialdemokraten und bemühte sich in erster Linie um die Durchsetzung sozialer Reformen zur Paralysierung der revolutionären Strömungen im Lande.
In der Koalitionsregierung von Milenko Vesnić (Radikalna stranka, DS, Hrvatska zajednica u. a.; ab 18.05. 1920) bekleidete D. den Posten des Innenministers. Die sozialen Unruhen (Bauernaufstand in Kroatien im September 1920 u. a.), die Stärkung der republikanischen und antizentralistischen Kräfte sowie das Problem der sich immer stärker artikulierenden „kroatischen Frage“ und die infolge der territorialen Aspirationen Italiens angespannte außenpolitische Lage bildeten die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit zwischen der großserbisch orientierten Radikalen Partei und der „jugoslawisch“ ausgerichteten Demokratischen Partei unter der Parole „nationaler Einheit“ als Grundlage für einen zentralistischen Staatsaufbau. Zur Zeit der Koalitionsregierung Pašić kam es am 28. Juni 1921 zur Verabschiedung der zentralistischen Verfassung des jungen Staates (Vidovdanski ustav), bei deren Realisierung sich erhebliche Differenzen zwischen der von Pašić vertretenen Politik der „starken Hand“ und der von D. befürworteten „Verständigungs“-politik zeigten. Angesichts der durch die Verfassung und den König Alexander Karadjordjević gestützten serbischen Hegemonie und der dadurch verursachten Abspaltungen aus der Demokratischen Partei entwickelte sich die Partei immer stärker aus einer „jugoslawischen“ zu einer serbischen bürgerlichen Interessenvertretung. Radikale und Demokraten waren damit im wesentlichen auf dasselbe Wählerpotential angewiesen. Im Kampf um die Macht mit der Radikalen Partei suchte D. unter Beibehaltung der „jugoslawischen“ Ideologie die Unterstützung der kroatischen Oppositionspolitiker (Stjepan Radić u. a.) und trat unter der Formel „breiter Selbstverwaltung“ für eine gemäßigte den kroatischen Forderungen entgegenkommende Revision der Vidovdan-Verfassung ein, was zu scharfen Auseinandersetzungen innerhalb der Demokratischen Partei (D. einer-, Pribićević andererseits) und zur schließlichen Spaltung der Partei (Frühjahr 1924) führte. Schon ein Jahr zuvor war diese nach fast vier Jahren Regierungsbeteiligung aus der Koalition mit den Radikalen ausgeschieden.
An der Spitze eines Oppositionsblocks (mit Korošec, Spaho u. a.) gelang es D., eine Verständigung mit Radić herbeizuführen und diesen zur Aufgabe seiner Abstinenzpolitik gegenüber dem Belgrader Parlament zu bewegen. Damit konnte die Pašić-Pribićević-Regierung im Juli 1924 zum Rücktritt gezwungen werden. Die von D. in Koalition mit der kroatischen Bauernpartei (Radić), der Muselmanischen Jugoslawischen Organisation (Spaho) und der Slowenischen Volkspartei (Korošec) geführte Regierung (Juli - November 1924) scheiterte an dem mangelnden Widerstand D.s gegen die unter dem Vorwurf der Staatszersetzung und des Separatismus geführten antiparlamentarischen Intrigen des Hofes und des Militärs.
In der Periode von 1925 bis 1928 traten D. und seine Partei auch weiterhin für eine Verfassungsrevision ein, ohne jedoch eine nachhaltige Aktivität zu entfalten. In der Zeit der durch das Attentat auf Radić (20.06.1928) verschärften innenpolitischen Krise kam es in einem D. ablehnend gegenüberstehenden Flügel der Demokratischen Partei zur Umorientierung nach rechts.
Von 1927 bis zur Einführung der Königsdiktatur am 6. Januar 1929 beteiligte sich die Partei D.s an den Regierungen Uzunović und Vukićević, was in der Demokratischen Partei zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem vom Hof manipulierten, für eine Politik der „starken Hand“ eintretenden rechten Flügel Vojislav Marinkovićs und dem den Parlamentarismus verteidigenden Flügel D.s und zur abermaligen Spaltung der Partei (Anfang 1929) führte.
Nach Einführung der Königsdiktatur und der Verschärfung der „kroatischen Frage“ gehörte D. mit Maček u. a. zu den Führern der für die Wiedereinführung des Parlamentarismus und einen föderalistischen Staatsaufbau kämpfenden „Vereinigten Opposition“.
Literatur
Misli i težnje Davidovićeve stranke. Zagreb 1927.
Spomenica Ljubomira Davidovića. Beograd 1940.
Knežević, L. Radoje: Ljubomir Davidović 1863-1940. Beograd 1940.
Ders.: Lj. Davidović veliki narodni tribun. Beograd 1940.
Stojkov, Todor: Opozicija za vreme šestojanuarske diktature (1929-1935). Beograd 1968.
Gligorijević, Branislav: Demokratska stranka i politički odnosi u Kraljevini Srba, Hrvata i Slovenaca. Beograd 1970 (mit Bibliographie).