Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Glinos, Dimitrios

Glinos, Dimitrios, griechischer Pädagoge, Publizist, Philosoph und Politiker, * Izmir (Smyrna) 3.09.1882, † Athen 26.12.1943.

Leben

Nach Absolvierung des Gymnasiums an der griechischen „Evangelischen Schule“ in Smyrna (1893-1899) immatrikulierte sich G. an der Philosophischen Fakultät der Universität Athen. Als Student beteiligte er sich am blutigen Streit, der anläßlich der Übersetzung des „Neuen Testaments“ durch Alexandros Pallis in Athen entflammte („Evangeliaka“: November 1901). Aus Geldmangel mußte er bald sein Studium abbrechen und an griechischen Schulen in Kleinasien arbeiten.
1903 kam er nach Athen zurück, wurde aber als Rektor der griechischen Schule nach Lemnos geschickt. 1904 war er wieder in Athen und ein Jahr später erhielt er sein Doktordiplom. Von 1905 bis 1906 war er als Rektor der „Anaxagoras-Schule“ in Vurla bei Smyrna, dann (1906-1908) als Gymnasialprofessor am „Griechisch-deutschen Lyceum“ in Smyrna tätig. 1908 begab er sich nach Deutschland, wo er, zunächst in Jena, bei Rudolf Eucken, dann in Leipzig, bei Wilhelm Wundt, Pädagogie, Philosophie und Psychologie studierte. 1911 kehrte er nach Athen zurück, wo er sich zunächst als Gymnasiallehrer betätigte.
Im selben Jahr trat er dem „Ekpedefdikos Omilos“ (Erziehungsverein) bei, einer Vereinigung fortschrittlicher Pädagogen, die auf eine Reformierung des griechischen Erziehungswesens hinarbeitete. Von der aus der Revolution von 1909 hervorgegangenen Regierung Venizelos wurde er zunächst (September 1912) zum Rektor der Pädagogischen Hochschule Athen (Didaskaleion) ernannt, dann (1913) vom Kultusminister Ioannis Tsirimokos mit der Redaktion der neuen erziehungspolitischen Vorlagen beauftragt. Nach dem Fall der Venizelos-Regierung (Februar 1915) wurde G. infolge einer Verleumdung drei Monate lang wegen „Majestätsbeleidigung“ in Untersuchungshaft gehalten, dann, nach der Bildung einer Gegenregierung durch Venizelos in Saloniki (Oktober 1916), von der königlichen Regierung in Athen aus dem Amt entlassen und Ende desselben Jahres erneut ins Gefängnis geworfen. Nach seiner Freilassung (1917) begab er sich nach Saloniki, wo er zum Vorsitzenden des „Ekpedefdiko Simvulio“ (Erziehungsrates) der Venizelos-Regierung ernannt wurde. Die Entthronung des Königs Konstantin (Juni 1917) brachte Venizelos und mit ihm G. nach Athen zurück. Als Staatssekretär im Erziehungsministerium leitete G. die grundlegendste Reform des griechischen Erziehungswesens seit Bestehen des griechischen Staates ein. Nach den für Venizelos verlorenen Wahlen vom 1. September 1920 und der Rückkehr Konstantins trat G. von seinem Amt zurück und wandte sich zwei Jahre lang der publizistischen und freien pädagogischen Tätigkeit zu. 1921 gründete er die „Höhere Frauenschule“.
Der Militäraufstand von 1922, der der griechischen Niederlage in Kleinasien folgte, brachte G. ins Erziehungsministerium zurück. G. setzte seine Reformbestrebungen auch bis nach der Ausrufung der Republik (März 1924) fort. Neben seiner gesetzgeberischen Tätigkeit gründete er die „Pädagogische Akademie“ (1924), an der er selbst lehrte, und verfaßte die Satzung der neugegründeten Universität Saloniki (1925). Die Diktatur des Generals Theodoros Pangalos (Juni 1925 bis August 1926) entfernte ihn aus dem Amt und löste die „Pädagogische Akademie“ auf. In den nachfolgenden Jahren widmete sich G. der publizistischen Tätigkeit (Zeitschrift „Anajennisi“), Vorträgen zu erziehungspolitischen Themen und dem „Erziehungsverein“, der sich jedoch infolge interner Richtungskämpfe 1929 auflösen mußte.
Nach 1930 näherte er sich immer mehr dem Marxismus: 1933 hielt er einen Vortrag über Marx, 1934 reiste er mit Kostas Varnalis in die Sowjetunion, und nach seiner Rückkehr wurde er von der Diktatur Kondilis festgenommen und nach Hagios Eustratios deportiert. Nach seiner Freilassung (Weihnachten 1935) kandidierte er bei den Januar-Wahlen 1936 für die „Volksfront“ und zog als Abgeordneter der KPG ins Parlament ein. Die Diktatur Metaxas (Putsch vom 4.08.1936) verbannte ihn zusammen mit anderen kommunistischen und demokratischen Politikern ins Konzentrationslager nach Anafi, dann nach Nauplia und Santorin. Ab 1939 stand er in Athen unter Hausarrest. Nach der Okkupation wurde er eine Zeit lang von den italienischen Faschisten festgehalten (1941). Nach seiner Freilassung beteiligte er sich an der Organisierung des Widerstandes gegen die Okkupanten (u. a. Gründung der „Nationalpatriotischen Jugendorganisation“ [Ethniki Patriotiki Organosi Neoleas == EPON], Vorbereitung der politischen Organisation der „Nationalen Befreiungsfront“ [Politiki Epitropi Ethnikis Apeleftheroseos = PEEA] u. a.). Er starb bei einer Leberoperation in einem Athener Krankenhaus.
G.’ Werk zeichnet sich durch eine äußere Vielfalt und eine innere Einheit aus. Als Pädagoge setzte er einen Reformmechanismus in Gang, der weit über die bürgerlich-liberalen Absichten der Regierungen Venizelos (1912-1920) und der aus dem Aufstand von 1922 bis 1925 hervorgegangenen Regierungen hinausging, und deshalb rückgängig gemacht wurde. Seine politische Entwicklung vom Bürgerlich-Liberalen zum Kommunisten war für viele Intellektuelle der Zeit 1910-1935, wie etwa für Kostas Varnalis, typisch. G.’ publizistisches und theoretisches Werk ist von nachhaltiger Bedeutung. In den Zeitschriften „Deltio tu Ekpedeftiku Omilu“ (Bulletin des Erziehungsvereins, 1911-1927), „Agoji“ (Erziehung, 1915), „Anajennisi“ (Wiedergeburt, 1926-1927), „O Neos Dromos“ (Der neue Weg, 1928), die er herausgab, veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze: seine Kommentare zu Plato (Sophist, 1940), seine philosophisch-historischen Schriften „Dimiurjikos istorismos“ (Der schöpferische Historismus, 1920) und „Jinekios anthropismos“ (Frauenhumanismus, 1921), seine politischen Schriften „Ta simerina provlimata tu ellinismu“ (Die heutigen Probleme des Griechentums, postum 1944) und „I trilojia tu polemu“ (Die Trilogie des Krieges, postum 1945), ferner seine pädagogischen Schriften „Hoi choiroi hyizousin“ (Die Schweine grunzen, 1921) und „Enas atafos nekros“ (Ein unbegrabener Toter, 1925). Seine Schriften haben ihm den Ruf des bedeutendsten marxistischen Theoretikers Griechenlands eingebracht.

Literatur

Sti Mnimi Dimitri A. Glinu. Athen 1946.
Vurnas, Tasos: Dimitris Glinos. O daskalos tu jenus. Athen 1960.
Papajeorjiu, P.: I morfi tu Glinu. Athen 1960.
Dimitrios Glinos. Politikes ke Logotechnikes Ekdosis. [Bukarest] 1964 (mit Bibliographie).
Afieroma sto Glino. In: Epitheorisi Technis 20 (1964) 119/120, 387-549.
Glinos, D.: Eklektes selides. 3 Bde. Athen 1971/72 (mit Bibliographie).
Vurnas, Tasos: Dimitris Glinos. O stochastis, o agonistis, o daskalos tu jenus. Athen 1975.

Verfasser

Georg Veloudis (GND: 124116787)


GND: 132083167

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/132083167

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Empfohlene Zitierweise: Georg Veloudis, Glinos, Dimitrios, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 58-60 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=885, abgerufen am: (Abrufdatum)

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