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Haxhi Qamili, Führer des muslimischen albanischen Bauernaufstandes 1914-1915, * Sharrë bei Tirana (?), † Durazzo Juni 1915.
Leben
H. war Schejch einer Tekke des Derwischordens der Melamiye, dessen Anhänger in Nachfolge des Führers des sozial-religiösen Aufstandes in Rumelien zu Beginn des 15. Jh.s, Schejch Bedreddîn, für soziale Gleichheit und Abwendung von Reichtum und Luxusleben eintraten. Auf der politischen Szene Albaniens tauchte H. im Frühjahr 1914 auf, als in Mittelalbanien der muslimische Bauernaufstand ausbrach. Die eigentlichen Ursachen für diesen Bauernaufstand sind noch im Jahre 1913 zu suchen, als die Regierung von Valona die „Albanische Nationalbank“ gründete und dabei dem österreichischen und dem italienischen Kapital (über den „Wiener Bankverein“ und die „Banca Commerciale d'Italia“) große Konzessionen versprach. Die Regierung gab dem ausländischen Kapital das Recht, mit dem landwirtschaftlichen Grundbesitz zu operieren, worüber unter den Bauern große Unruhe ausbrach, denn sie befürchteten, daß das in der „Albanischen Nationalbank“ vereinigte fremde Kapital wegen der großen Armut der Bevölkerung das Land aufkaufen und in seine Hände nehmen könnte. Auf der anderen Seite spitzten sich auch die religiösen Gegensätze zu, als Esad Pascha Toptani die Regierung von Ismail Qemal Bey Vlora wegen ihrer prowestlichen Orientierung verließ. Als besonders aktiv erwies sich die jungtürkische Propaganda, die ihre Emissäre - zumeist ehemalige türkische Offiziere albanischer Herkunft, an ihrer Spitze Qamil Haxhi Fejza - nach Albanien schickte. Diese Propaganda, die sich hauptsächlich gegen den Fürsten Wied richtete, fand großen Anklang unter den zahlreichen ehemaligen türkischen Beamten und besonders bei der muslimischen Geistlichkeit, die starken Einfluß auf die Bauernschaft hatte. Die allgemeine Unzufriedenheit fand ihren Ausdruck in dem Aufstand, der am 17. Mai 1914 um Shijak und Kavajë ausbrach. Bereits am 18. Mai nahmen die Aufständischen Tirana, wenig später rückten sie nach Durazzo vor, um dort ihre Forderungen zu stellen, wurden aber mit Waffengewalt zurückgewiesen. Um die Aufständischen zu befriedigen und sie von den Einflüsterungen Esad Paschas fernzuhalten, wurde Esad Pascha von der albanischen Polizeitruppe, die unter der Leitung holländischer Offiziere stand, gezwungen, Albanien zu verlassen und nach Italien zu emigrieren. Am 3. Juni 1914 versammelten sich die Aufständischen in Shijak, um ihr Programm zu definieren. Darin forderten sie die Entfernung des Fürsten Wied, die Wiederunterstellung Albaniens unter türkische Verwaltung oder daß ein osmanischer Prinz unter der Oberhoheit des Sultans gemäß den Şeriats-Gesetzen das Land regieren sollte. An Stelle der albanischen führten die Aufständischen grüne Fahnen mit Halbmond und Stern. In Shijak wurde als Führungsspitze ein „Ober-Zentrum“ gebildet, dem Mustafa Ndroqi als Präsident, Xhenabi Adil als Stellvertreter und Qamil Haxhi Fejza als Hauptkommandant der Truppen vorstanden und Musa Qazim, der Mufti von Tirana, sowie H. als Mitglieder angehörten. Der geistige Führer der Bauern war aber zweifellos H., der sich von Gott dazu berufen fühlte, eine gerechte Gesellschaftsordnung einzuführen und die seit Jahrhunderten bestehenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Zuerst verteilte er seinen Besitz unter die Armen und Waisen, dann zog er von Ort zu Ort, beschlagnahmte Güter und Häuser der Reichen und gab sie den Armen, die ihn deshalb „Baba Qamili“ (Vater Qamil) nannten. Der Aufstand nahm solche Ausmaße an, daß im Laufe des Juli 1914 ganz Albanien bis auf Durazzo, Valona und Skutari in den Händen der Aufständischen war. In Durazzo und Valona konnte sich noch die Regierung Wied halten, Skutari stand unter internationaler Kontrolle. Im August 1914 rückten die Aufständischen unter H. bis Valona vor und schlugen die schwachen Regierungstruppen, die die Stadt verteidigen sollten, bei Lushnja. Es begannen Verhandlungen, die damit endeten, daß sich Valona den Aufständischen ergab. Am 1. September zogen diese in Valona ein, lösten die Verwaltung des Fürsten Wied auf, setzten ihre eigene ein und hißten die Halbmondflagge. Der Fall Valonas bedeutete einen schweren Schlag für den Fürsten Wied, der am 3. September 1914 nach sechsmonatiger Regierung Albanien auf einem italienischen Schiff verließ. Die Aufständischen konnten nun auch in Durazzo einziehen und erklärten es zu ihrer Hauptstadt. Bald begann sich aber wieder Esad Pascha in die albanischen Angelegenheiten einzumischen; er hatte am 18. August sein italienisches Exil verlassen und war über Athen, wo er mit der griechischen Regierung Gespräche führte, nach Niš gekommen (15.09.1914). In Niš, wo sich damals der Sitz der serbischen Regierung befand, kam es zu einem Übereinkommen zwischen Esad Pascha und Pašić, das militärische und finanzielle Hilfe, die künftige Stellung Albaniens als selbständiger Staat unter der Oberhoheit eines noch zu schaffenden jugoslawischen Staates sowie Grenzkorrekturen zu Gunsten Serbiens zum Gegenstand hatte. Von Niš aus begab sich Esad Pascha nach Debar, wo er eine Truppe von 5 000 Söldnern aufstellte. Am 3. Oktober traf er in Durazzo ein und zwang das „Ober-Zentrum“ (in einigen Quellen auch „Senat“ genannt), ihn zum „Vorsitzenden der Provisorischen Regierung“ und zum Oberkommandierenden der Truppen einzusetzen. Esad Pascha, der sich der islamischen und protürkischen Parolen der Aufständischen bediente, gelang es, ganz Mittelalbanien unter seine Kontrolle zu bringen. Allerdings teilte das „Ober-Zentrum“, das ihn als Vorsitzenden der Regierung anerkannt hatte, nicht seine serbische Orientierung und war auch nicht bereit, eine Alleinherrschaft: des Paschas zu dulden, denn die Aufständischen waren auf eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei hin orientiert. Esad Pascha erkannte die Gefahr und suchte die Führer zu beseitigen. Als erster wurde Qamil Haxhi Fejza verhaftet, was zum Bruch zwischen den Aufständischen und Esad Pascha führte. Als dann Ende Oktober die Türkei in den Krieg eintrat und der Sultan alle Muslime zum Heiligen Krieg gegen die Entente-Mächte aufforderte (14.11.1914), kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Aufständischen und Esad Pascha. H. griff am 23. November 1914 mit seinen Leuten Tirana an, besetzte es und ließ die Paläste Esad Paschas und anderer flüchtiger Feudalherren niederbrennen. Binnen kurzer Zeit wurden die Truppen Esad Paschas aus ganz Mittelalbanien vertrieben. Durazzo wurde eingeschlossen, konnte von den schlecht bewaffneten Aufständischen aber nicht genommen werden. Obwohl die Macht Esad Paschas stark geschwächt war und er verzweifelt Serben und Montenegriner ersuchte, Elbasan bzw. Skutari zu besetzen, besserte sich die Lage der Aufständischen nicht, denn Ende Oktober 1914 war die griechische Armee in Südalbanien einmarschiert. Am Ende des Jahres landeten die Italiener in Valona; sie begründeten diesen Schritt ebenso wie die Griechen damit, daß sie die Anarchie beenden wollten. Die größte Gefahr aber drohte von den Serben, die schon ab Sommer 1914 Vorbereitungen für einen Einmarsch in Albanien trafen. Um Serbien keinen Vorwand für den Einmarsch zu geben, schickten die Führer der Aufständischen, unter denen H. ab Mitte Mai als Oberbefehlshaber der Truppen die bedeutendste Rolle spielte, eine Note an Serbien und an die Großmächte, in der sie Friede an den Grenzen anboten und ihren Willen bekräftigten, keiner Seite als Söldner zu dienen. Bereits am 2. Juni 1915 marschierten aber dennoch serbische Truppen von Mazedonien aus in Albanien ein. Die Truppen H.s leisteten bei Qukës und auf der Qafa e Krrabës erbitterten Widerstand, wurden aber geschlagen; der Mufti Musa Qazim und H. gerieten in serbische Gefangenschaft. Am 11. Juni 1915 erreichten die Serben Tirana und zwei Tage später Durazzo, wo sie Esad Pascha befreiten, der seit acht Monaten von den Aufständischen belagert worden war. Ihm übergaben sie die beiden gefangenen Führer der Aufständischen. Nach einem kurzen Prozeß wurden H., Qamil Haxhi Fejza, Musa Qazim und einige andere von Esad Pascha zum Tode verurteilt und gehenkt, eine weitere Anzahl von Aufständischen wurde erschossen. Damit war der Aufstand niedergeschlagen und der Türkei endgültig jegliche Einflußmöglichkeit in Albanien genommen.
Literatur
Chekrezi, Constantine A.: Albania. Past and Present. New York 1919.
Swire, Joseph: Albania. The Rise of a Kingdom. New York 1930.
Frashëri, Kristo: Kryengritja e fshatarësisë së Shqipërisë së mesme (1914-1915). In: Bul. Shk. shoq. 1 (1954) 15-54.
Historia e popullit shqiptar. Bd 2. Prishtinë 1968.
Goslinga, Gorrit T. A.: The Dutch in Albania. In: Shêjzat 15 (1971) 117-130, 224-238; 16 (1972) 14-51.
Ekmečić, Milorad: Ratni ciljevi Srbije 1914. Beograd 1973.
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