Mavrokordatos, Alexandras, griechischer Politiker, *Arnavutköy bei Istanbul 1791, † Ägina 18.08.1865, Sohn des Nikolaos M. (Nicolae Mavrocordat) und der Smaragda Karadza (Caragea), entstammte einem der bedeutendsten Fanarioten- geschlechter. Seine beiden Söhne aus der Ehe mit der Schwester des Politikers und Rechtsgelehrten Perikles Argiropulos (1809-1859), Chariklia, waren im Staatsdienst tätig: Nikolaos M. (1837-1903) als Abgeordneter, Minister und Gesandter, Georgios M. (1839-1902) als Gesandter. Der Ehe seiner Schwester Ekaterini mit Spiridon Trikupis entstammte Charilaos Trikupis.
Leben
Der in Istanbul und Italien erzogene, westlich gebildete und sieben Sprachen beherrschende M. diente bei seinem Onkel Joannis Karadzas (loan Caragea), 1812-1818 Fürst der Walachei, als Postelnik und arbeitete maßgeblich an Verwaltung und Gesetzgebung („Legiuirea Caragea“ 1818) mit. Im September 1818 flüchtete er mit dem Fürsten über Österreich nach Italien. Ab 1820 Mitglied des revolutionären Geheimbundes Filiki Eteria traf er am 2. August (21.07.) 1821 in Mesolongi ein, um am griechischen Unabhängigkeitskrieg, den er für verfrüht hielt, teilzunehmen, und versuchte sofort, Militär und Verwaltung auf dem westlichen Festland (Ätolien/ Akarnanien) zu organisieren. Trotz kühler Distanz zu Dimitrios Ipsilantis hielt sich M. aus den schweren Konflikten heraus, in die jener als Verweser seines Bruders Alexandros mit den Honoratioren der Peloponnes wegen seines Führungsanspruchs geraten war, und ließ sich von ihm am 7. September (26.08.) 1821 zum Beauftragten für das Festland ernennen, wies aber ohne dessen Zustimmung bei der anschließenden Zusammenkunft in Vytina das östliche Festland dem Theodoros Negris zu. Im Westen gelang es M. rasch, sich bei den rivalisierenden, auf eine effektive Verwaltung angewiesenen Armatolenclans und Freischarenführern ebenso durchzusetzen wie bei den hier schwächer entwickelten zivilen Selbstverwaltungsorganen. Die von M. einberufene Versammlung der Vertreter Westgriechenlands (Mesolongi 16. [4.] - 21. [9.] 11. 1821) billigte das im wesentlichen von ihm ausgearbeitete Statut des Senats und die Bildung einer provisorischen Exekutive: Die zentralen Instanzen wurden gegenüber dem Militär und den lokalen Organen gestärkt. Die erste Nationalversammlung, an deren Verfassung er wesentlich mitarbeitete, wählte ihn am 1. Januar 1822 (20.12.1821) zu ihrem Präsidenten, am 27. (15.) Januar 1822 zum Vorsitzenden des Exekutivausschusses. In Verbindung mit Markos Botsaris leitete M. den am 23. Mai beginnenden Westfeldzug, der nach dem Ende des Ali Pascha von Janina (05.02. [24.01.] 1822) und der Auflösung des Bündnisses mit den muslimischen Albanern notwendig geworden war. Die verlustreiche Niederlage bei Peta (16. [04.] 08.) erschütterte die griechische Position auf dem Festland. Am 30. (18.) April 1823 berief ihn die zweite Nationalversammlung zum Generalsekretär der Exekutive; am 23. (11.) Juli zum Präsidenten der Legislative gewählt, trat er wegen des Konflikts mit Theodoros Kolokotronis zurück. Als Generalgouverneur Westgriechenlands verwaltete er die erste griechische Ausländsanleihe, arbeitete eng mit Lord Byron zusammen und war 1824/25 maßgeblich an den Bemühungen um Hilfe der europäischen Mächte und um die Auswahl eines Fürsten für Griechenland beteiligt. M. wurde der Führer der Englischen Partei: An der Seite Englands könne Griechenland am besten geschützt werden, aber auch seine nationalen Ziele (Befreiung der unter türkischer Herrschaft verbliebenen Connationalen) langfristig am sichersten erreichen, weil London beim fortschreitenden Zerfall des Osmanenreiches Athen als Juniorpartner gegen Rußland brauche, dessen möglicher Griff nach Istanbul mit griechischen Ansprüchen konkurriere. Im Gegensatz zu Ioannis Kolettis plädierte M. dafür, Griechenland nach britischem Vorbild eine liberale innere Ordnung zu geben. Unter Ioannis Kapodistrias wurde M. Ende März 1828 in das Panhellinion berufen, übernahm die Leitung des Frontistirions (Finanzverwaltung der Streitkräfte), zog sich aber 1830/31 nach Hydra, dem Zentrum der konstitutionalistischen Opposition zurück. Nach der Ermordung des Regenten stand er auf der Seite der unter Ioannis Kolettis’ Schutz in Megara versammelten Konstitutionalisten und wurde hier im Dezember 1831 Staatssekretär; seit dem 25. (13.) April gehörte er als Finanzminister dem Ministerausschuß des Interregnums an. Die bayrische Regentschaft ernannte ihn am 6. Februar (25.01.) 1833 zum Finanz-, am 24. (12.) Oktober 1833 zum Außenminister, entließ ihn aber 1834 wegen seines Einspruchs gegen den Kolokotronis-Prozeß und stellte ihn 1834 als Gesandten in München und Wien, später in London innenpolitisch kalt. Als Frankreich in der vom türkisch-ägyptischen Konflikt ausgelösten Nahostkrise 1839-1841 vorübergehend isoliert war und den Briten die Vorherrschaft im östlichen Mittelmeerraum hatte überlassen müssen, berief Otto M. am 6. März (22.11.) 1841 zum Außenminister, am 18. (06.) Juli zum Innenminister. In den langwierigen Verhandlungen konnte M. den König letztlich doch nicht zur Annahme aller Vorbedingungen für den Übergang zum Verfassungsstaat (Stärkung der Gemeinde- und Provinzselbstverwaltung, Unabhängigkeit der Justiz, Geschworenengerichte, Pressefreiheit, Entlassung der bayrischen Offiziere, Auflösung des Kronrats, Budgetkompetenz des Staatsrats, Ministerverantwortlichkeit, Ministerpräsidentenamt) bewegen. Sein Rücktritt am 20. (08.) August 1841 fiel mit der Rückkehr Frankreichs ins europäische „Konzert“ als Signatarstaat der Meerengenkonvention vom 13. Juli 1841 zusammen, so daß Otto jetzt auf die Unterstützung François Guizots, der eine Verfassung für verfrüht ansah, rechnen konnte und M. als Gesandten nach Istanbul abschob. Nach der unblutigen Militärrevolte vom 15. (03.) September 1843 gehörte M. dem Übergangskabinett des Andreas Metaxas vom 16. (04.) September 1843 - 09. März (26.02.) 1844 als Minister ohne Geschäftsbereich an und machte seinen Einfluß in der Konstituante, in der er sich durch geschickte Vermittlung zwischen den Parteien auszeichnete, zugunsten einer gemäßigten Verfassung geltend. Er bildete die erste konstitutionelle Regierung Griechenlands unter Otto (11.04. [30.03.] - 16. [04.] 08. 1844). Der inneren Krise infolge der Aushöhlung der verfassungsmäßigen Ordnung durch Otto und Ioannis Kolettis wollte M. 1848 mit dem Angebot der Kabinettsbildung Herr werden. Doch konnte sich Otto wie 1841 nicht zur Annahme der Bedingungen des M. (Beschränkung des Königs auf seine konstitutionellen Rechte, Neuwahlen) entschließen. 1850-1853 war M. Gesandter in Paris. Auch seine im Krimkrieg auf Druck der Westmächte zustandegekommene Regierung (29. [17.] 07. - 04.10. [22.09.] 1854) blieb eine Episode. Nach Ottos Sturz zog sich M. wegen eines Augenleidens aus der Politik zurück.
Literatur
Yemeniz, W.: Alexandre Mavrocordato d’après des documents inédits. Paris 1866.
Gudas, Anastasios: Vii parallili ton epi tis anagenniseos tis Ellados diaprepsanton andron. Bd 6. Athen 1874, 185-242.
Vernardakis, Dimitrios: Kapodistrias ke Othon. [Triest 1875] Athen 1962(2). = Ekdosis Galaxia. 47.
Protopsaltis, Emmanuil (Hrsg.): Alexandros Mavrokordatos. Istorikon archion. 3 Bde. Athen 1963/69.
Ders.: O. Alexandros Mavrokordatos ke to ergon tu kata tin Epanastasin tu 1821. In: Afieroma is ta 150 chronia apo tis Epanastaseos tu 1821. Thessaloniki 1971.
Petropulos, John Anthony: Politics and Statecraft in the Kingdom of Greece 1833-1843. Princeton, N. J. 1968.
|