Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Midhat Pascha, Ahmed Şefik
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Midhat Pascha, Ahmed Şefik

Midhat Pascha, Ahmed Şefik, osmanischer Staatsmann, * Istanbul 10.11.1822, † (ermordet) Ṭā’if (bei Mekka) 08.05.1884, Sohn des Kadi Hacı Mehmed Eşref aus Ruse (Rusçuk).

Leben

M. gelangte bereits als Kind durch Versetzungen seines Vaters 1833/34 nach Vidin und 1835/36 nach Loveč (Lofça); er arbeitete 1834/35 kurze Zeit als Lehrling im kaiserlichen Staatsrat (Divan-ı Hümayun), bemühte sich um eine klassische Ausbildung und lernte auf Empfehlung von Mustafa Reşid Pascha auch französisch. 1840 trat er in das Büro des Kanzleichefs (mektubî) im Großwesirat ein, war ab 1842 in Damaskus und Sayda (Sidon) und ab 1845 zuerst in Konya, dann in Kastamonu als Sekretär tätig. Ab 1849 im Obersten Justizrat (Mecles-ı Vâlâ) beschäftigt, wurde er im folgenden Jahr als Inspekteur nach Syrien entsendet und konnte eine Reihe von Mißständen in der Zollverpachtung und Militärverwaltung aufdecken. 1854/55 bereiste er in ähnlicher Funktion die Gebiete von Sliven (Islimye) und Šumen (Şumnu) und richtete eine Reformdenkschrift an Reşid Pascha.  1857 untersuchte er Vorfälle in Vidin, Silistra und Tŭrnovo (Tırnova); als seine Ermittlungen über namhafte
 Persönlichkeiten vom Palast zurückgewiesen wurden, erbat er Urlaub und hielt sich sechs Monate in Paris, London, Brüssel und Wien auf. 1859 Chefsekretär des Obersten Justizrates, wurde er unter dem dritten Großwesirat von Kıbrıslı Mehmed Pascha (27.05.1860 - 06.08.1861) im Januar 1861 zum Vali des Eyalets Niš mit dem Rang eines Wesirs ernannt. M. bemühte sich so erfolgreich um die Bekämpfung der Räubereien im Lande, die Eindämmung der dadurch veranlaßten Auswanderung der Bulgaren nach Serbien und um eine allgemeine soziale und wirtschaftliche Entwicklung, daß ihm 1863 auch das in chaotischen Verhältnissen befindliche Prizren (Perzerin) unterstellt wurde. Im folgenden Jahr wurde in Konferenzen zwischen ihm sowie Ali und Fuad Pascha eine Reform der Verwaltung nach dem Muster der in Niš eingeleiteten Maßnahmen beschlossen und zunächst unter M. durch Vereinigung der Eyalete Niš, Vidin und Silistra eine Musterprovinz, das Donauwilajet (Tuna vilâyeti), gegründet. Der Umfang der von M. in den folgenden drei Jahren durchgeführten oder eingeleiteten Reformen läßt sich nur andeuten; sie schlossen Straßen- und Brückenbauten, die Gründung einer Donauschiffahrtsgesellschaft, von Kreditinstituten und Gewerbeschulen, die Ordnung des Steuerwesens und des Provinzialhaushalts, die Einrichtung eines Postdienstes und von Kommunalverwaltungen ein. Schlagkräftige Militär- und Polizeiverbände erhöhten die öffentliche Sicherheit und entzogen der bulgarischen Befreiungsbewegung für längere Zeit den Boden. Ab 1867 sollten M.s Reformpläne auf den größten Teil des Osmanischen Reiches übertragen werden; er selbst wurde im März 1868 zum Vorsitzenden des Staatsrates (Şura-ı Devlet) ernannt, griff im Sommer des gleichen Jahres erneut in Bulgarien ein und leitete die Vernichtung der Freischar von Chadži Dimitŭr und Stefan Karadža.  Differenzen mit Großwesir Ali Pascha (ab Februar 1867) führten zu M.s Entfernung aus der Hauptstadt durch seine Ernennung zum Vali der Provinz Bagdad (27.11.1869), die unter Einbeziehung von Mosul, Basra und as-Sulaimaniya den Umfang des heutigen Irak erhielt und wo die neue Wilajetsverfassung angewendet und Reformen wie in Bulgarien eingeleitet wurden. M. war Gastgeber für Nāsir ud-Dīn Schah von Persien, der die heiligen Stätten der Schiiten besuchte; am Persischen Golf erweiterte er das osmanische Herrschaftsgebiet über Kuwait und al-Ahsa bis Qatar und schuf dort einen neuen Sandschak Necid (an-Nağd). Von dem neuen Großwesir Mahmud Nedim Pascha (ab 08.09.1871) aus Bagdad abberufen, wurde er am 26. Juli 1872 zum Vali von Edirne ernannt, fünf Tage später von Sultan Abdülaziz anstelle von Mahmud Nedim zum Großwesir berufen, doch schon am 19. Oktober 1872 wieder abgesetzt und durch Mütercim Rüşdî Pascha ersetzt. 1873 Justizminister, 1873/74 kurze Zeit Vali von Saloniki, dann eineinhalb Jahre im Privatleben, kehrte er bei der Ausweitung des Aufstandes in der Herzegowina 1875 für drei Monate auf den Posten des Justizministers zurück. Die zunehmende innen- und außenpolitische Krise der Türkei 1876 veranlaßte ihn im März zur Abfassung einer geheimen Denkschrift, die den Außenministern der Großmächte außer Rußland zugestellt und worin vor allem auf die Notwendigkeit der Absetzung von Sultan Abdülaziz hingewiesen wurde. Am 10. Mai 1876 wurde nach 13 einer Demonstration der Theologiestudenten der rußlandfreundliche Mahmud Nedim Pascha gestürzt und durch Mütercim Rüşdî abgelöst, am 30. Mai Sultan Abdülaziz abgesetzt; sein Nachfolger Murad V. folgte ihm am 31. August wegen Geistesgestörtheit, und an seine Stelle trat Sultan Abdülhamid II. M., ab 5. Juni wieder Vorsitzender des Staatsrates, war die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung gewesen und hatte für das Osmanische Reich eine Verfassung (kanun-ı esasî) vorbereitet, die am 23. Dezember 1876, vier Tage nach seiner zweiten Ernennung zum Großwesir, mit Zustimmung Abdülhamids verkündet wurde. Der Sultan, der M. fürchtete und mißtraute, benutzte Artikel 113 der Verfassung, der dem Herrscher Sonderrechte einräumte, um ihn am 5. Februar 1877 abzusetzen und nach Europa in die Verbannung zu schicken. Über Brindisi und Neapel reiste M. nach Spanien, besuchte die islamischen Denkmäler in Andalusien und hielt sich dann in Paris und London auf, während die Türkei den Krieg gegen Rußland verlor und der Berliner Kongreß die Verhältnisse auf dem Balkan neuordnete. Im August 1878 erreichte M. in Schottland die Begnadigung mit der Auflage des Wohnsitzes auf Kreta. Nach kurzem Aufenthalt in Chania wurde er am 10. Dezember des gleichen Jahres zum Vali von Syrien ernannt. Wieder bemühte er sich unter ungünstigen Bedingungen um die Entwicklung der Provinz, während seine Gegner in Istanbul und am Hof gegen ihn arbeiteten. Am 4. August 1880 als Vali des Wilajets Aydin nach Izmir versetzt, rieten ihm seine Freunde vergeblich, nach Europa zu fliehen. Im Mai 1881 entzog er sich der Verhaftung durch Flucht in das französische Konsulat, übergab sich nach Zusicherung von Leben und öffentlichem Gerichtsverfahren und wurde im Juni durch ein Sondergericht des Palastes zusammen mit Damad Mahmud und Nuri Pascha wegen Beteiligung an der Ermordung von Sultan Abdülaziz zum Tode verurteilt, dann aber zur Verbannung begnadigt. Am 28. Juli 1881 wurde er nach Tä’if im Hedschas verbracht und dort fast drei Jahre später auf Befehl Abdülhamids erwürgt. Seine sterblichen Überreste wurden erst im Juni 1951 nach Istanbul überführt und auf dem Heldenfriedhof Hürriyet Tepesi beigesetzt.

Literatur

Kanitz, F[elix]: Donau-Bulgarien und der Balkan. 3 Bde. Leipzig 1875/79. 1882(2).
Midhat bey, Ali Haydar: Midhat-Pacha, sa vie - son oeuvre. Paris 1908.
Ders.: Midhat Paşa. Hayat-ı siyasiyesi, hidematı, menfâ hayatı. 2 Bde. Istanbul 1325/1909.
Inal, Ibnülemin Mahmud Kemal: Osmanlı devrinde son sadıazamlar. 14 Teile. Istanbul 1940/50.
Lewis, Bemard: The Emergence of Modern Turkey. London 1961.
Devereux, Robert: The First Ottoman Constituţional Period. A Study of the Midhat Constitution and Parliament. Baltimore 1963.
Uzunçarşılı, Ismail Hakkı: Midhat Paşa ve Yıldız Mahkemesi. Ankara 1967.

GND: 123618460

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd123618460.html


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Empfohlene Zitierweise: Hans-Jürgen Kornrumpf, Midhat Pascha, Ahmed Şefik, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 192-194 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1357, abgerufen am: (Abrufdatum)

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