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Tsaldaris, Panajis, griechischer Politiker, * Kamari (bei Korinth) 17. (5.)03. 1867, † Athen 17.05.1936.
Leben
T., der dritte und einzige überlebende Sohn des verarmten Weinbauern und -händlers Epaminondas T. und der Kalliopi geb. Panagopulu, erhielt seine Elementarschulbildung in Kamari und Xylokastron, besuchte 1879- 1883 das Gymnasium in Korinth und begann 1883 an der Universität Athen das Studium der Rechte, das er dank der Unterstützung durch Verwandte 1889 mit der Promotion abschloß. 1890 war er kurze Zeit als Anwalt tätig. 1890/91 studierte er in Göttingen, wo er Dimitrios Gunaris als Kommilitonen kennenlernte, 1891/92 in Leipzig, 1892/93 in Paris und nahm schließlich 1893 seinen Beruf in Athen wieder auf. 1910 begann seine politische Laufbahn: Als Abgeordneter von Argolis und Korinth gehörte er dem 1. Verfassungsändernden Parlament an; 1911 wurde er Mitglied der Kommission für den Entwurf eines BGB. An den Wahlen zum 2. Verfassungsändernden Parlament am 28. November 1910 beteiligte er sich aus rechtlichen Bedenken gegen die Auflösung des 1. Revisionsparlaments nicht und zog erst nach den Wahlen vom 11. Mai 1912 als Unabhängiger wieder in die Kammer ein. Als Anhänger des Dimitrios Gunaris wurde er am 10. März 1915 Justizminister in dessen Kabinett. Nachdem König Konstantin I. in der großen Auseinandersetzung mit Eleftherios Venizelos über die Voraussetzungen des Eintritts Griechenlands in den Krieg das Parlament 1915 zum zweiten Male aufgelöst hatte, wurde T. als Abgeordneter der von Gunaris geführten Partei der Nationalgesinnten wiedergewählt, übernahm aber 1916/17 kein Ministerium. Wie alle anderen Mitglieder seiner Fraktion erschien er nicht zu den Sitzungen der aus den ersten Wahlen von 1915 hervorgegangenen Volksvertretung, als sie Venizelos nach seinem Einzug in Athen 1917 in Anbetracht ihrer verfassungswidrigen Auflösung durch Konstantin I. wiedereinberief („Parlament der Lazarusse“); am 22. Januar 1918 verbannten ihn die Liberalen zunächst nach Hydra, später nach Skopelos. Am 10. Juni 1919 heiratete er die zweite Tochter des Byzantinisten und ehemaligen Ministerpräsidenten Spiridon Lampros, Lina, die ebenfalls im öffentlichen Leben hervortrat. Nach dem Wahlsieg der Antivenizelisten am 14. (1.) November 1920 gehörte T. 1920-1921 als Innen- und Verkehrsminister den Regierungen Dimitrios Rallis und Nikolaos Kalogeropulos sowie als Verkehrsminister dem Kabinett Gunaris an, trat aber am 15. November 1921 aus Rücksicht auf seine Gesundheit zurück. Als das von Nikolaos Plastiras und Stilianos Gonatas geführte Militärregime sich in Athen etabliert und fünf Politiker, unter ihnen Gunaris, die für die katastrophale Niederlage in Kleinasien verantwortlich gemacht worden waren, hingerichtet hatte, zerfiel die führerlos gewordene Gruppe ehemaliger Abgeordneter des inzwischen in „Volkspartei“ umbenannten Zusammenschlusses im Streit um die Politik und den Parteiführungsstil des Gunaris und seiner engeren Mitarbeiter wie T., dem jedoch dank seiner bedächtigen, den Ausgleich erleichternden Haltung bald der Parteivorsitz übertragen wurde. In den Auseinandersetzungen um die Abschaffung des Königtums, welche die Royalisten wegen der vom putschenden Militär erzwungenen Abdankung Konstantins I. und der erst nachträglich unter Beibehaltung des Belagerungszustandes durch ein anfechtbares Plebiszit bestätigten Ausrufung der Republik durch das Parlament als rechtswidrig betrachteten, trat T. als Anwalt der Verfassung und der Volkssouveränität auf. Illegale Aktionen wünschte er ebensowenig wie einen scharf antirepublikanischen Obstruktionskurs der Partei; vielmehr sah er in der innenpolitischen Entspannung die Voraussetzung für einen fairen Volksentscheid, den T. seinem Verständnis der Volkssouveränität entsprechend als neue Entscheidungsprozedur für wichtige Fragen in die Verfassung eingeführt sehen wollte. T. konnte die auf Verständigung abzielende Politik in seiner Partei durchsetzen, weil über das parlamentarische Regierungssystem zwischen der Volkspartei und den Liberalen ein Fundamentalkonsens bestand; strittig war nur, ob ein König als Staatsoberhaupt ein überparteilicher Garant der Stabilität oder eine Gefahr für die Verfassungsordnung und ob die Republik 1924 legal eingeführt worden sei. Daher beteiligte sich die Volkspartei nach dem Sturz des Diktators Theodoros Pangalos an der Koalitionsregierung, in der T. am 4. Dezember 1926 das Innenministerium übernahm. Fernziel seiner Politik war die Förderung der Landwirtschaft und der Ausgleich der Spannungen, die der soziale Wandel im Gefolge der Modernisierung erzeugte, Nahziel die Reaktivierung der seit 1922 entlassenen Offiziere. Nach zähen Verhandlungen erreichte er in dieser Angelegenheit einen Kompromiß, nicht jedoch in der dornigen Frage des Eigentums der Banknotendeckung, die bei der vom Völkerbund als Bedingung für weitere Anleihen geforderten Gründung einer Notenbank auftauchte, so daß die Volkspartei am 11. August 1927 in die Opposition ging. In den Wahlen, die am 19. August 1928 nach der Rückkehr des Venizelos in die Politik durchgeführt wurden, erhielt die Volkspartei 23,9% der Stimmen, infolge des Mehrheitswahlsystems aber nur 7,6% der Mandate. Obwohl T. seine Bereitschaft zu konstruktiver Mitarbeit erkennen und keinen Zweifel daran ließ, daß die Volkspartei daran festhielt, die Frage der Staatsform nicht in Parlamentswahlen, sondern nur in einem Plebiszit entscheiden zu lassen, ein Wahlsieg der Volkspartei folglich keine Gefahr für die Republik heraufbeschwöre, erzeugte Venizelos durch schwach begründete Verdächtigungen wachsende Bedenken vor allem unter den politisierenden Offizieren und schürte durch Provokationen alten Zwist, um die auseinanderstrebenden Kräfte des liberalen Lagers zusammenzubinden und von Mißerfolgen abzulenken. Nachdem die Volkspartei in den Wahlen vom 26. September 1932 mehr Stimmen als die Liberalen (33,8% gegenüber 33,42%) und fast ebenso viele Mandate (95 gegenüber 98) erhalten hatte, erklärte T. in zwei Schreiben an Staatspräsident Alexandros Zaimis am 30. September und 3. Oktober, daß die Volkspartei keine Vorbehalte gegenüber der republikanischen Verfassung mehr habe. Dieser Ausgleich ermöglichte T. die Bildung einer von Venizelos vorübergehend tolerierten Koalitionsregierung. Die instabilen Mehrheitsverhältnisse im Parlament machten Neuwahlen am 5. März 1933 erforderlich, aus denen die Volkspartei mit 118 von 248 Sitzen gegenüber 80 der Liberalen als Sieger hervorging. In der folgenden Nacht unternahm Plastiras einen von Venizelos offensichtlich begünstigten Putsch, der jedoch mißlang, so daß eine Ubergangsregierung der Generäle T. den Weg zur Bildung seiner Regierung freimachte, die am 10. März 1933 vereidigt wurde. In seinem Regierungsprogramm kündigte T. äußerste Sparsamkeit an, um Steuererhöhungen zu Lasten der Bezieher kleiner Einkommen zu vermeiden. Dank der Unterstützung durch seine qualifizierten Mitarbeiter Dimitrios Maximos und Spiros Loverdos, gelang es T., den Notenumlauf zu 72,57% durch Gold zu decken, den Haushalt auszugleichen, den Anstieg der Lebenshaltungskosten zu bremsen und so die Folgen der Weltwirtschaftskrise abzuschwächen. Insbesondere die Förderung der Landwirtschaft wirkte sich vorteilhaft auf die Zahlungsbilanz aus. In der Außenpolitik wich T. durch den Beitritt zum Balkanpakt vom 10. Februar 1934 von der Linie des Venizelos ab: Griechenland übernahm Verpflichtungen für den Fall des Angriffs einer nichtbalkanischen Macht und eines Balkanstaates auf einen Vertragspartner.
Der kranke, bedächtige, auf Ausgleich und strikte Legalität bedachte T. war in den folgenden Jahren nicht in der Lage, die Zuspitzung der innenpolitischen Konflikte durch die Radikalen in beiden Lagern zu verhindern. Nach dem Putsch von 1933 mehrten sich in der Volkspartei die Rufe nach einer entschlossen antivenizelistischen Politik und der Restauration des Königtums; Venizelos ermutigte republikanische Offizierszirkel zu einem neuen Staatsstreich, um die befürchtete Rückberufung des Königs zu verhindern und ein Regierungssystem mit gestärkter Exekutive, notfalls die Diktatur einzuführen. Der Militärputsch vom 1. März 1935, den T. entschlossen niederschlagen ließ, rief die Gefahren, die er abwenden wollte, erst hervor. Zur Säuberung von Militär und Verwaltung erließ T. illegale Notstandsmaßnahmen, verkündete die Abschaffung des Senats und die Revision der Verfassung durch das Parlament, jedoch ohne Änderung von Regierungssystem und Staatsform. Unter dem wachsenden Druck der radikalen Royalisten, zu deren Wortführern sich Georgios Kondilis und Ioannis Metaxas machten, gestand T. widerstrebend ein Plebiszit über die Restauration zu, wurde aber, da er eine Staatsstreichlösung ablehnte, am 10. Oktober 1935 durch das Militär abgesetzt. Der würdige, aber ineffektive Auszug der Volkspartei-Mehrheit aus dem Parlament ermöglichte den verbliebenen Abgeordneten, die Wiedereinführung des Königtums und der Verfassung von 1911 zu beschließen. Nach der Rückkehr Georgs II. trat T. beharrlich für eine Koalition der Volkspartei und der Liberalen ein, um den Gefahren vorzubeugen, die der Demokratie durch geschäftsführende und außerparlamentarische Regierungen drohten, hatte aber wegen des Gegensatzes zwischen beiden Parteien in der Frage der Reaktivierung gemaßregelter Offiziere keinen Erfolg.
Literatur
Vuros, Georgios: Panajis Tsaldaris. 1867-1936. Athen 1955.
Hering, Gunnar: Griechenland 1923-1974. In: Schieder, Theodor (Hrsg.): Handbuch der europäischen Geschichte. Bd 7. Stuttgart 1979, 1313-1338.
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