Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf
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Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf

Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf, österreichischer Staatsmann, * 11.12.1702, † Knönitz (Kinitz, Knínice, Bezirk Datschitz, Mähren) 11.09.1765.

Leben

Einem alten schlesischen Adelsgeschlecht entstammend trat H. um 1725 als Beamter der schlesischen Landesverwaltung in den österreichischen Staatsdienst ein, den er durch seinen großen Fleiß und Eifer bald von Grund an kennenlernte, mit allen seinen inneren Schwächen, die im Zuge der Auseinandersetzung mit Preußen sich als die entscheidende Existenzfrage des Habsburgerstaates herausstellten. Hatte bereits Prinz Eugen eine staatsrechtliche Zusammenfassung aller österreichischen Länder gefordert, dem als Haupthindernis der Gegensatz der Stände zum Landesfürsten gegenüberstand, so nützte Maria Theresia gleich ihr erstes Friedensjahr, um die so dringlich gewordene Staatsreform „ihrem großen Minister und wahren Freund“ H. anzuvertrauen. Geistig vom Werk der drei großen deutschen Kameralisten Johann Joachim Becher, Philipp Wilhelm von Hörnigk und Wilhelm von Schröder ausgehend, das praktische Vorbild der Staatseinrichtung Preußens vor Augen, hatte H. sein System bereits ab 1742 als Präsident der zentralen Landesverwaltung Rest-Schlesiens ausgebildet und dort mit Erfolg angewandt. Sein Grundgedanke bildete die endgültige Ausschaltung der Stände von jedem Einfluß auf die „politica und cameralia“, die H. als Einheit begriff und in einem Verwaltungsapparat zusammenfaßte, der der unmittelbaren und ausschließlichen Verfügungsgewalt des Landesfürsten unterstand. Nachdem im Sinne des Modells Schlesien der ständischen Mißwirtschaft in Krain und Kärnten 1747 von H. persönlich ein Ende bereitet und auch dort neue Landeszentralverwaltungen eingeführt worden waren, erstellte H. im Auftrag der Kaiserin ein „Hauptsystem“ für Wehrmacht und Finanzen der gesamten Erbländer, das die Bereitstellung aller notwendigen Mittel für die Erhaltung einer Armee von rund 100.000 Mann auch in Friedenszeiten gewährleisten sollte. In engem Zusamenhang mit dieser Steuerreform stand die im Oktober 1753 angeordnete (und 1754 vor genommene) Volkszählung in den österreichischen-böhmischen Erbländern, die allererste ihrer Art, die zunächst alle drei Jahre, von 1762 an jährlich von den weltlichen und geistlichen Behörden gleichzeitig durchgeführt wurde. Ab 1772 finden sich amtliche statistische Zahlen auch für Triest, Istrien, Galizien, Bukowina, Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien-Slawonien und die Militärgrenze.
Trotz der starken ständischen Opposition bis hinauf in Ministerkreise ist dank der Entschlossenheit der Kaiserin und der unbeeinflußbaren Zähigkeit von H. selbst sein großes Werk verwirklicht worden. Unter dem Deckmantel einer Verwaltungsreform hatte der Umbau der Zentralbehörden auf das wirksamste in die Entwicklung der Staatsbildung über- und eingegriffen: An die Stelle der beiden Hofkanzleien, der böhmischen und der österreichischen, trat ein einziges Exekutivorgan, das „Direktorium in publicis et cameralibus“, das die politische und Finanzverwaltung in einer Hand vereinigte, die Trennwand zwischen den deutschen Erbländern und den Ländern der böhmischen Krone beseitigte und somit die innere Einheit, den absoluten, zentralistisch regierten Gesamtstaat „Österreich“ begründete. Mit der Auflösung aller Sonderrechte der Länder der Wenzelskrone wie der einzelnen Landstände, denen nur noch die Justizpflege in der mittleren Instanz verblieb, mit der einen Obersten Justizstelle und dem einen Direktorium ist der endgültige Sieg des aufgeklärten Absolutismus in Österreich besiegelt worden. Von der Reform ausgenommen blieben die Niederlande, die italienischen Provinzen und Ungarn (nicht aber das Banat und Siebenbürgen!), das nunmehr einer einheitlichen westlichen Reichshälfte - Zisleithanien - gegenüberstand (wir erkennen darin das bereits vorgebildete Fundament des dualistischen Systems nach 1867). Um allen Untertanen einen direkten Zugang zu ihrem Landesherrn zu ermöglichen, der für diese bis dahin nur auf dem Umweg über die Stände erreichbar war, wurde die im Bereich der Wenzelskrone bereits übliche Einrichtung der Kreisämter auf alle übrigen Erbländer übertragen. Zwischen diesen und dem Direktorium bildeten die in den einzelnen Ländern errichteten „Repräsentationen und Kammern“ als regionale Zentralverwaltungen das notwendige Bindeglied. Doch in dem sich anschließenden Jahrzehnt zeigte es sich, daß H. zwar ein ausgezeichneter Organisator, aber - zum Schaden seines Werkes - ein keinesfalls ebenso guter Administrator gewesen ist. Die magnethafte Wirkung seines zentralistischen Behördenapparates führte zu seiner Überlastung durch einen sich unaufhörlich ausweitenden Kompetenzbereich, wodurch die gerade im Siebenjährigen Krieg erforderliche Schlagkräftigkeit der Verwaltung Schaden litt. Die damit ausgelöste Krise führte unter dem maßgeblichen Einfluß des Staatskanzlers Wenzel Anton Graf von Kaunitz 1760 zum Sturz von H., der in den neugebildeten Staatsrat versetzt aus dem politisch aktiven Leben ausschied, sowie zu einigen administrativen Veränderungen. Mit deren Erfolglosigkeit und Kurzweiligkeit sollten sich aber rasch die gegen H. erhobenen Beschuldigungen als unzutreffend herausstellen. Jedenfalls blieb das Fundament der Staatsreform von 1749 im Wesentlichen unberührt; ihre Prinzipien haben sich bis 1918 als geschichtliche Triebkräfte von beachtlicher Wirksamkeit erwiesen, obwohl es den unmittelbaren Nachfolgern von H., auch Kaunitz, sehr an Geschick und dem nötigen innenpolitischen Weitblick mangelte, die damit gegebene Grundlinie in entsprechender Form und Kontinuität, d. h. ohne Überstürzungen wie unter Joseph II., weiterzuentwickeln.

Literatur

Haugwitz, Eberhard Graf: Die Geschichte der Familie von Haugwitz. 2 Bde. Leipzig 1910.
Walter, Friedrich: Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung in der Zeit Maria Theresias. Wien 1938. = Die österreichische Zentralverwaltung. Hrsg. Heinrich Kretschmayr. II. Abt. Bd 1/1.
Ders.: Männer um Maria Theresia. Wien 1951, 39-65.
Ders.: Die theresianische Staatsreform von 1749. Wien 1958.  

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 118773437

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118773437.html


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 126-128 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=937, abgerufen am: (Abrufdatum)

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